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Ausgabe:

1885

Spalte:

589-590

Autor/Hrsg.:

Bauer, B.

Titel/Untertitel:

Der Eid. Eine Studie 1885

Rezensent:

Thoenes, Karl

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5S9

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ten Wiffenfchaft, dafs fie (fie?) einen phyfifch ruinirt,
gegen das Elend diefer Welt aber nichts und für die !
Ewigkeit gar nichts nützt'. Dahin wird auch das ungc-
meffene Lob des Bieres, welches das ganze Buch durchzieht
, und dabei das Schwärmen für die Askefe, die doch
heften Falles nur fittliche Gymnaftik ift, zu rechnen fein
(S. 282 ff.). Freilich wollen wir nicht verhehlen, dafs
auf dem Hintergrunde jenes Peffimismus um fo wohl-
thuender nicht nur die Freude an Gottes fchöner Welt,
fondern vornehmlich auch das pietätvolle Andenken uns
anmuthet, das der Herr Verf. Manchen feiner Lehrer und
andern braven Leuten bewahrt hat, die fegnend ihm begegnet
find.

Der Herr Verf. ftellt S. 314 uns die Erzählung feines
weiteren Lebens und Wirkens in Ausficht. Wir halten
ihn beim Worte, denn wir hören ihn gern.

Marburg. Achelis.

Bauer, Stadtpfr. B., Der Eid. Eine Studie. Heidelberg,
C. Winter, 1884. (VII, 128 S. gr. 8.) M. 2. 80.

Der wefentliche Inhalt der Studie des Herrn Ver-
faffers ift der, dafs auf dem Boden des neuen Bundes der
gefetzliche Eid keine berechtigte Stelle habe. Auch fei 1
in der fchuldigen Rückfichtnahme auf den Staat für die
Kirche Recht und Pflicht des Eides nicht begründet.
Bedürfe der Staat auch der Religion, fo fei es doch ein I
Wahn, diefes Bedürfnifs durch den Eid befriedigen zu j
wollen.

Wenn nun Bauer zur Begründung feiner Anficht von
der Nothwendigkeit der Abschaffung des Eides fich auf j
Matth. 5, 33—37 und Jac. 5, 12 beruft, fo ift er ohne
Zweifel darin im Rechte, dafs er in beiden Stellen ein [
abfolutes Eidesverbot findet, nicht aber darin, dafs diefes
letztere als ein äufseres Rechtsgefetz gemeint fei.
Denn was die erftere Stelle betrifft, fo ift die in der Berg- I
predigt (ich findende Gefetzesauslegung Chrifti überhaupt
nicht als neues Rechtsgefetz gemeint, welches in der Ge- j
meuifchaft feiner Anhänger gelten folle, fondern nur als I
Darfteilung des vollkommenen Gottcswillens, die dazu 1
benimmt ift, für die Erfüllung des fchon beftehenden j
Gefetzes Regulator der Gewiffen zu werden. Und Jac. 5, j
12 ift offenbar nur der im Munde des Jüngers fich findende
Nachklang des Wortes des Meifters und daher
ebenfo zu erklären. Aus keiner der beiden Stellen läfst
lieh fomit u. E. die von Bauer verfochtene Thefe genügend
begründen, um fo weniger, als ja fowohl Jefus
felbft, wie auch der Apoftel Paulus, was beides zugegeben
wird (S. 51 ff), Eide gefchworen haben. Allerdings
fucht Bauer das Schwören Jefu mit deffen abfolutem
Kidesverbot durch den Hinweis darauf in Einklang zu
bringen, dafs er der Sündlofe war, bei dem jedes Be- I
denken gegen eine Eidesleiftung habe fortfallen müffen, '
und was Paulus betrifft, fo foll diefer haben fchwören
dürfen, weil in ihm das neue Leben Chrifti gewefen,
,des Glaubens und der Liebe lebendige, Gott treu ergebene
Macht', die den Chriften zum Appell an Gott
treiben und ihn veranlaffen könne, ihm, als Kind feinem
Vater, Herz und Leben allezeit offen darzulegen, ein
Appell, der nach Zeit und Gelegenheit auch mit befon-
derem Nachdruck (d. h. durch einen Schwur) vollzogen
werden möge (S. 56). Aber man erkennt leicht, dafs
Jefus nicht etwa deshalb gegen fein abfolutes Eidesverbot
vor dem Hohenpriefter felbft gehandelt hat, weil
er der Sündlofe war, fondern weil er vor dem höchften
Gerichte feines Volkes ftand, und ebenfowenig durfte
Paulus, wenn der Herr fein Eidesverbot als ein äufseres
Gefetz gemeint hatte, um deswillen dennoch fchwören,
weil er als Erlöfter und Verlohnter im Befitz des neuen
Lebens war. Denn was den übrigen Gliedern des Reiches
Chrifti galt, die ja doch auch Erlöfte waren, mufste auch
ihm gelten.

Hiermit foll natürlich nicht gefagt fein, dafs gegenüber
den vielen Uebelftänden, welche die bisherige Handhabung
des Eideswefens mit fich gebracht hat, Staat und
Kirche nicht ernftlich an Abhülfe»denken müfsten, möchte
diefe auch vielleicht noch nicht, wie Bauer wünfeht, in
der Abfchaffung des Eides beftehen.

Lennep. Lic. Dr. Thon es.

Urkunde der Wissenschaft. Grundrifs zur fyftematifchen
Encyklopädie für Wiffenfchaft, Kunft und Religion, mit
einem befonderen Abfchnitt: Gefetz des Kreifes und
einem Anhang: Tabellarifche Ueberficht der Kunft-
gefetze. Berlin, Bohne, 1885. (VIII, 147 S. gr. 8.)
M. 5. -

Es ift für einen Rccenfenten unangenehm, einem
anonym erfchienenenBuch allen wiffenfehaftlichenWerth
abfprechen zu müffen. Denn nur zu leicht entfteht der
Verdacht, dafs der Recenfent in der Anonymität des
Verfaffers die Legitimation zu einem rückfichtslofen Angriff
auf denfelben erblicke. Aber dennoch kann ich
nicht umhin zu behaupten, dafs in dem Buch die Wiffenfchaft
von willkürlichen Phantafien ganz überwuchert ift.

Das Ganze ift eine Art von Encyklopädie der Wiffen-
fchaften, aus welcher die gefammte Weltanfchauung des
Verf.'s entnommen werden kann. Diefelbe ift nach des
Verf.'s eigener Erklärung die chriftliche und die Schrift
trägt in der That einen apologetifchen Charakter an fich;
doch find feltfame gnoltifche Ideen mit dem Chriften-
glauben amalgamirt. Oefters wiederholt der Verf. den
Gedanken, dafs ,die Materie diefer Welt nur der allerdings
fehr greif- und fafsbare Wiederfchein der uncr-
fchaffenen Welt ift, deren ewigem Leben fie in keiner
Weife entfpricht' (S. 97). Der ganze gegenwärtige Zu-
ftand der Welt ift nur eine Auflöfung feiner urfprüng-
lichcn . . . Beltimmung' (S. 50) und fpeciell bei dem
Menfchen ift der Zuftand der Gefchlechtlichkeit ,die Auflöfung
feiner urfprünglichen Beftimmung', der Andro-
gynie (S. 123. 146;. In diefer gegenwärtigen Welt ift
denn auch die Wirkfamkeit eines Geiftes des Böfen deutlich
zu erkennen, welcher, nichts anderes als der Fürft
diefer Welt d. h. der Teufel ift', und ,von deffen Herrfchaft
es keine andere Erlöfung giebt, als den Glauben
an das heilige Blut, das diefe Erde als Sold für ihn und
als Sühne vor Gott getrunken hat' (S. 124). Das Ende
des Weltproceffes kann nur ,in einem plötzlichen Aufhören
der Weltgefchichtc beftehen' (S. 96); in dem Glauben
des Chriftenthums liegt aber für den Chriften die Gewähr
eines ewigen Lebens, ,deffen Geifteszuftand nur in
einer Zufammenfaffung der in dem gegenwärtigen Leben
von einander gefchiedenen Geiftesthätigkeiten (Denken,
Wollen, Fuhlen; beftehen kann' (S. 97).

Doch eine derartige Zufammenftellung der Gefammt-
anfehauung des Verf.'s finden wir in dem Buche nicht;
dasfelbe hat vielmehr zum nächrten Zweck eine Einthei-
lung der Wiffenfchaften und Künfte, eine Eintheilung,
aus deren Princip zugleich ,das letzte Urtheil über die
jeder einzelnen Wiffenfchaft und Kunft zuftehenden Com-
petenzen' und eine Belehrung über Herkunft und Beftimmung
des Menfchen fich ergeben mufs (S. 1). Diefe Eintheilung
foll durch eine apriorifche Deduction aus den
Grundelementen des Geiftes gewonnen werden. Wenn
der Verf. bei diefer feiner Forderung abfprechend über
Kant's Verfuch einer Deduction der Verftandeskategorien
a priori fich vernehmen läfst, fo könnte man einen An-
fchlufs an Hegel's Deductionsmethode vermuthen. Einiges
erinnert auch an Hegel (vgl. S. 4: ,der Begriff des
Däferns ift zugleich derjenige des Denkens'; S. 6: Thefis,
Antithefis, Synthefis; S. 19: Gott felbft bekundet fein
Leben in der Form der idealen Wiffenfchaften d. h. in
der dialektifchen Methode); aber bald merkt man, dafs
der Verf. feinen eigenen Weg geht. Und was für einen
Weg! FY. A. Lange fagt einmal, ein .folglich' bedeute