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Ausgabe:

1885 Nr. 24

Spalte:

587-589

Autor/Hrsg.:

Hansjakob, Heinr.

Titel/Untertitel:

Aus meiner Studienzeit. Erinnerungen 1885

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 24.

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cialifirung der Wiffenfchaft hat freilich Befchränktheiten
und fchroffe Einfeitigkeiten im Gefolge, allein die Leiftun-
gen find um fo gründlicher, während der Polyhiftor der ;
Gefahr feiten entgehen wird, über der Breite feines Wif- i
fens die Tiefe zu vernachläffigen. Völlig fcheint der i
Herr Verf. diefer Gefahr nicht entgangen zu fein. Bei j
den ,Wiedertäufern' vermifst man ungern die Hinweifung I
auf die Vorgefchichte der focialen Revolution in den Bewegungen
des 14. und 15. Jahrhunderts; in dem inter-
effanten Panegyrikus auf Paul Flemming, ebenfo in der
Abhandlung über Angelus Silefius und P.Gerhardt fcharfe
Charakteriftik und fefte Mafsftäbe der Beurtheilung. In
dem Hymnus auf die heil. Elifabeth fehlt es ja nicht an
Bemerkungen über die Abirrung ihrer Frömmigkeit,
wohl aber an dem unmifsverftändlichen Urtheil, dafs die
Frömmigkeit jener fo lieblichen Geftalt doch nur einZerrbild
evangelifchen Glaubenslebens fei. Der Sinn, welcher
fichin allen vorliegenden Abhandlungen offenbart, ift ohne ]
Frage, wie das Vorwort es ausfpricht, ,der Glaube, welcher
in der Liebe thätig ift'; allein wir halten die Glaubens- j
pofition nicht genügend gewahrt, wenn Chriftus (in ,Chriften- j
thum und Menfchenwürde') als das Menfchheitsideal, das |
in der Gemeinfchaft mit Gott begründet ift, gezeichnet,
und die Sorge um die eigene Seele als ,berechtigter j
Egoismus' befchrieben wird. Dasfelbe macht fich geltend !
in der Abhandlung über Adam Smith. Das wunderliche
Gemifch von religiöfer Unklarheit, fittlicher Weichlichkeit
und hausbackener Philifterhaftigkeit, das den faden Gedankenbau
beherrfcht, hätte einer weit ftrengeren Be- |
urthtilung bedurft, als der Herr Verf. demfelben an-
gedeihen läfst. Befremdend war dem Referenten die
Empfehlung von Fortbildungsfchulen als alleiniges Gegengewicht
gegen die zur Mechanifirung und zur Geiftlofig- 1
keit des Arbeiters führende Arbeitstheilung in den Fa- j
briken. Wird dem Arbeiter weiter nichts zu Theil, fo
wird die Kluft zwifchen theoretifchem Können und Wif- !
fen und praktifcher Leiftung noch unheilvoller. Hier hilft (
nur eins, wenn der Fabrikarbeiter der geiftigen Stumpf-
heit und dem focial-revolutionären Taumel entgehen foll, j
und dies Eine ift religiös-fittliche Charakterbildung
. Smith hat völlig Recht, dafs in der Entwicklung
der gewerblichen Production der Kirche eine un-
ermefslich grofse Aufgabe zufällt; nicht freilich, wie
Smith unklar will, als ,Unterrichtsanftalt für alle Alters- j
klaffen', auch nicht durch Aufftellung focial-politifcher ;
Programme, wohl aber nach der Seite hin, dafs durch
die fich fteigemde Gediegenheit religiöfer und fittlicher
Bildung die Mechanik der Arbeit geheiligt werde.

Indem wir von einzelnen ftiliftifchen Unebenheiten
in dem fliefsend gefchriebenen Buche abfehen, fei nur 1
noch bemerkt, dafs die S. 56 Anm. behauptete Verfaffer-
fchaft des Gottfried v. Strafsburg hinfichtlich des Liedes
, nicht Spruches: ,Wer Gottes Minne will erjagen,
Der mufs ein zagendes Herze tragen' u. f. w. doch wohl ;
eine zwar traditionelle, aber unrichtige Annahme ift.

Die ,Glaubenskämpfe und FViedenswerke' find gewifs
geeignet, nicht nur angenehme, fondern auch belehrungs- !
reiche Unterhaltung auf oft ferner liegenden Gebieten zu j
gewähren. Um fo lieber feien fie empfohlen, als die
Tendenz, alles im Lichte des Evangeliums zu fchauen,
unverkennbar ift.

Marburg. Achclis.

Hansjakob, Dr. Heinr., Aus meiner Studienzeit. Erinnerungen
. Heidelberg, Weifs' Verl., 1885. VII, 317 S. 8.)
M. 3 -; geb. M. 4. -

Flin Buch, das erft auf der letzten Seite Unluft
erweckt, und nur aus dem Grunde, weil es zu Finde ge-
lefen ift. Nicht befonders grofse Dinge werden uns erzählt
, auch nicht der Reflex von grofsen Dingen in der
Seele eines werdenden und ftrebenden Jünglings. Aber
eine kernige, ehrliche, volksthümliche Perfönlichkeit redet

zu uns; fie führt uns in das badifche Volksleben ein mit
feinen leichtlebigen und doch nicht feiten eigenartigen
Geftalten, in die Leiden und Freuden, in das Ringen
und Werden des eigenen Sclbft mit feinen Wirkungen
und Widerfahrnifsen. Alles in plaftifcher Darfteilung, in
ungefuchter, mitunter zu kräftiger Derbheit fich fteigern-
der Einfachheit, mit grofser Offenherzigkeit und unverblümter
Kritik nach rechts und links. Das Wort der
Frau von Stach le style cest l"komme führt der Herr
Verf. einmal an, um in Selbftironie — in dem Artikel
macht Verf. wohl zu viel — feinen eigenen Stil zu bemitleiden
; dazu ift keine Veranlaffung; das Wort pafst zu
feinen Ehren; in Inhalt und Form kann er nicht anders
fchreiben, wenn er fein will was er ift, der zwar ftreng
ultramontane, aber dem ,politifchenKatholicismus' höchft
abholde und fehr freimüthige Prieftcr und ehemalige
Landtagsabgeordnete.

Den Wunfeh zu ftudiren fehen wir in dem Bäckerjungen
zu Haslach im Kinzigthal entftehen; der Traum
der Jugend wird auch in den Lateinftunden bei dem
geliebten Herrn Kaplan weiter geträumt, bis er auf dem
Gymnafium zu Raftatt ein jähes Ende findet. Aber der
Eingefchüchterte leidet und kämpft fich durch, bis er
fich zu einem ,urgermanifchen Fiegel' entwickelt, deffen
Ideale auf der Bierbank liegen. Mit der Bierbank theilen
dann die alten Klafliker die Begeifterung; verbotene
Schülerverbindungen hören wir warm vertheidigt, betrü-
gerifche Schulfünden und ,Lumpereien' fehen wir als
harmlos belächelt, und unmäfsiger Biergenufs und ebenfo
unmäfsiges Tabackrauchen bleibt bis Finde der Univer-
fitätszeit vorhergehendeLeidenfchaft, in welcher trotz der
Verarmung der Eltern leichtfinnig gewirthfehaftet wird.
Die bleibende nervöfe Verffimmtheit des Mannes ift als
Memento juvenem fuisse gar fehr verftändlich. Allerdings
gehen geiftige Intereffen nebenher, fie wachfen fogar zu
erfreulicher Flöhe, allein bedenklich bleibt es, wie der
Verf. unter folchen Verhältnifeen fich für den Priefter-
ftand entfeheiden kann. Er felbft bekennt, es fei eigentlich
nur aus Oppofition gegen das allgemeine Urtheil über
ihn gefchehen ; erft im zweiten Jahre feines Convictlebens
ift bei ihm von religiöfem Glauben überhaupt die Rede.
Von jetzt an wird die Geiftesrichtung ernfter, die Entwicklung
lenkt in geordnete Bahnen ein, bis wir dem
Herrn Verf. nach feiner Prieftcrweihe zum wohlbeltan-
denen philologifchen Staatsexamen gratuliren können.
Ueber manches Erzählte würde Referent ein weit tieferes,
gehaltvolleres Urtheil wünfehen; allein der Mangel hindert
nicht, dafs der Blick auf manche Erfcheinungen in
der ftudirenden Jugend hoffnungsfroher fich erhebt, wenn
man fleht, dafs auch aus folchem Fohlen fchliefslich ein
fchmuckes Pferd werden konnte.

Der Herr Verf. ift infolge trüber Erfahrungen, welche
in feinem Ultramontanismus und in feiner Gegner-
fchaft gegen den ,politifchen Katholicismus' ihren Grund
haben, ein Peffimitt geworden. Er macht daraus keinen
Hehl. Schopenhauer ift fein Philofoph. Weltfchmerz
ift fein Element. Obgleich er noch nicht fünfzig Jahre
zählt, fühlt er fleh alt. Perfoncn und Verhältnifsc werden
mit dem Auge eines enttäufchten und nichts mehr hoffenden
Mannes beurtheilt. Wir wollen nicht den Sittenrichter
fpielen, wohl aber dem Bedauern Ausdruck geben,
dafs jener Peffimismus der Wirkung feines Buches Eintrag
thut. Was der Herr Verf. mit herbem und doch
gewifs noch zu mildem Urtheil über die römifchen Katechismen
(S. 155 ff) über das Leben im Convict (S.
228 ff.)und fpäter im Priefterfeminar.übcr dasDenuncianten-
thum, die Verketzerungsfucht mancher Capläne u. dgl.
fagt, würde, weil es aus treuefter Katholikenfeele kommt,
weit durchfchlagender fein, wenn es nicht mit theilweife
aller Nüchternheit ermangelnden Ausbrüchen durchfetzt
wäre. S. 155 lefen wir: ,der Teufel hat zuerft den Satz
des badifchen Minifters Jolly: ,felbft ift der Mann' pro-
clamirt' (Gen. 3); S. 291: ,das hat man von diefer verfluch-