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Ausgabe: | 1885 |
Spalte: | 558-559 |
Autor/Hrsg.: | Ochsenbein, G. F. |
Titel/Untertitel: | Ein Flüchtling der St. Bartholomäusnacht 1885 |
Rezensent: | Schott, Theodor |
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feflbr Knöll veranftaltete Ausgabe ftand ein Apparat zur
Verfügung, welcher durch feine Reichhaltigkeit in Verlegenheit
fetzte. Die Herausgabe hat fich angefichts der
Maffe der Handfchriften auf die Ausbeutung der älteften
Codd. aus dem 7. bis 9. Jahrhundert befchränkt, und
von jüngeren lediglich den Cod. Vercellensis XXX. 94
saec. X herbeigezogen. Zur Grundlage der Textrecen-
fion ift Cod. Vatic. 3375 saec. VII(V) genommen; da
diefe Handfchrift aber jetzt am Anfang und am Schluffe
lückenhaft ift, fo wird, wo der Text derfelben fehlt, der
aus dem Vatic. gefloffene Codex von Middlehill, aus dem
8. Jahrhundert {Cod. Mcdioniontanus), jetzt in der Bibliothek
von Thomas Philipps zu Cheltenham, (M) zu Grunde
gelegt. Nächft den codd. VM kamen in Betracht: der
fchön gefchriebene cod. Paris, lat. 2109 olim Tellerianus
Rcmensis 259 saec. IX, ein Prachtftück der Parifer Na-
tionalbibliothek (T) und ein leider nur fehr fragmenta-
rifch erhaltener Palimpfeftcodex in Mailand aus dem
7. Jahrhundert, cod. Ainbros. C. 73 (A), welcher nur noch
ein kleines, in Folge der Verfuche Angelo Mai's, die Ur-
fchrift (einen Commentar zum Ivvangelium des Lucas
aus dem 6. Jahrhundert) lesbar zu machen, überdies zum
grofsen Theile zerftörtes Bruchftück der Excerpte enthält
. Eine näher zufammengehörige Familie bilden ferner
die von Knöll mit DGPv bezeichneten Handfchriften:
ein arg verderbter Codex im Befitz von Mr. Desnoyers,
Nr. 1720, saec. VIII, welcher jedoch, als er noch voll-
ftändig war, nur die 185 erften Capitel enthielt (U); ferner
die erften 219 Blätter des cod. Paris, lat. 11642 olim
S. Gennani a Pratis 264, saec. VIII (P), wogegen der
zweite Theil desfelben Codex (Q), welcher die Capitel
340—348 enthält, enger mit VM verwandt und befonders
wichtig ift durch die hier noch erhaltene Subfcription j
der im Jahre 581 auf Befehl des Bifchofs Redux von j
Neapel wahrfcheinlich aus dem Archetypus abgefchriebe-
nen alten Handfchrift des Notarius Peter; weiter gehört !
hierher der Cod. Sangall. 176 saec. IX (G), welcher noch
den vollftändigen Text der Excerpte mit der epist. ad
Probam und der tabula capitum enthält; endlich der mit
G aus gemeinfamer Quelle gefloffene cod. Vercell. XXX.
94 saec. X, in welchem der Schlufs von Cap. 330 an
jetzt verloren ift. Die meiften diefer Handfchriften find |
von Knöll felbft vollftändig oder gröfstcntheils verglichen
; von M hat H. Sedlmayer einige Capitel, von
P A. Engelbrecht die Capp. 274—330 collationirt. Aufser-
dem verzeichnet die Pracfatio noch 8 andere, nur gelegentlich
eingefehene Handfchriften aus dem IO.—14.
Jahrhundert. Der Apparat unter dem Text ift äufsertt
knapp gehalten und nur auf das Nothwendigfte befchränkt;
über die Gründe, welche den Herausgeber veranlafst
haben, den Cod. V bei Conltituirung des Textes zum
Führer zu nehmen, wird eine an anderem Orte abzulegende
ausführliche Rechenfchaft in Ausficht geftellt.
Dm ganze Arbeit macht den Eindruck grofser Sorgfalt
und Zuverläffigkeit. Doch kann Ref. fchliefslich nicht
umhin, dem Wunfche Ausdruck zu geben, dafs in der
Sammlung des Wiener Corpus scriptorum ecclesiasticorum
latinorum doch endlich auch die gröfseren lateinifchen
Kirchenfchriftttcller an die Reihe kommen möchten,
deren neuer Bearbeitung man fchon längft mit lebhafter
Erwartung entgegenfieht. Bei der Herausgabe von Schrift-
ftellern wie den zuletzt edirten, fo dankenswerth diefelbe
an fich auch ift, fpringt für die patriftifchen Studien im
Grunde doch herzlich wenig heraus.
Jena. Lipfius.
1. Salis, Pfr. Arnold v., Agrippa d'Aubigne. Eine Huge-
nottengeftalt. Heidelberg, C. Winter, 1885. (XII,
128 S. gr. 8.) M. 2. 40; geb. M. 3. 50.
2. Ochsenbein, Pfr. G. F., Ein Flüchtling der St. Bartholomäusnacht
. Bern, Schmid, Francke & Co., 1885.
(80 S. gr. 8.) M. 1. 20.
Es ift ftets eine verdienftliche Aufgabe, in kleinen
1 gutgefchriebenen Biographien die Helden des franzöfi-
1 fchen Proteftantismus einem gröfseren Kreife bekannt zu
machen; denn die Energie, mit welcher diefelben ihren
Glauben bekannt und vertheidigt haben, ift für jeden
guten Proteftantcn Vorbild und Stachel, und die wech-
lelvollcn Schickfale, welche die unruhigen Zeitläufte den
| Meiften derfelben brachten, bieten den Reiz des Inter-
I effanten und Anziehenden.
Zu den intereffantelten Geftalten der II. Hälfte des
I 16. Jahrhunderts gehört jedenfalls Theodor Agrippa
d'Aubigne, der Kampfgenoffe Heinrich's IV., der Dichter
der Tragiques, der Verfaffer einer höchft beachtens-
werthen Gefchichte feiner Zeit und feines Lebens, ein
echtes franzöfifches Original, vielfeitig wie kaum ein
anderer Zeitgenoffe — der feinere, ftaatsmännifch bedeutendere
Marnix von St. Aldegonde gleicht ihm hierin
am meiften — ein ganz eigenthümlicher Typus des hu-
genottifchen Geiftes, glaubenseifrig und doch zu Zeiten
tief verfunken in die Galanterie des Jahrhunderts, frei-
müthig bis zum Excefs, verwegen bis zur Tollkühnheit,
mit Leib und Seele und vor Allem Soldat, aber dabei
wohl bewandert in Sprachen und Literatur, ein ftreit-
fertiger Theologe, ein feiner Kopf, dem die treffendfte
Wendung, der zierlichfte Vers ftets zu Gebot ftand. Einen
höchft ehrenvollen Platz nimmt er ein in der an Talenten
nicht allzureichen fchönen Literatur des 16. Jahrhunderts
, einen unvergänglichen Namen bewahrt er bei
feinen franzöfifchen Glaubcnsgenoffen; denn höher als
alles Andere galt ihm Ja cause', feine proteftantifche
Sache und Partei; die unendliche, beinahe ermüdende
Reihe von Gefechten und Schlachten, an denen er
Theil genommen, von Abenteuern und Gefahren, denen
er fich ausgefetzt, traf ihn in ihrem Dienft; ihr zu lieb
wurde er vier Mal zum Tode verurtheilt, und mufste, ein
70j'ähriger Greis, das Vaterland verlaffen, um in Genf
feine Tage zu befchliefsen. Gewifs ein Mann und ein
Leben, der Befchreibung werth; die Liebe, welche der
Verf. feinem Helden entgegenträgt, fpricht aus jeder Zeile
des anziehenden Buches. Baum in ,Der Hugenott von
altem Schrot und Korn 1854', und Reaume, Etüde histo-
rique et litterairc sur Agrippa d'Aubigne Fans 1883 waren
feine hauptfächlichften Vorgänger. Aber der Verfaffer
hat fich nicht begnügt, aus dem letzteren vorzüglichen
Werke einen Auszug zu geben , fondern die bekannten
Werke über den franzöfifchen Proteftantismus, hauptfächlich
aber die Schriften d'Aubigne's felbft fleifsig benutzt;
die umfangreichen werthvollen Anmerkungen legen vollgültiges
Zeugnifs dafür ab. Pur d'Aubigne's Würdigung
als Dichter wäre Lotheifsen, Gefchichte der franzöfifchen
Literatur, Bd. I, bei einer II. Auflage zu berückfichtigen,
ebenfo wäre die Ungleichmäfsigkeit in der Schreibart:
La Trimouille (S. 56) und La Trcnwillc (Anm. 96) zu
ändern, auch die unfaubere Gefchichte Anm. 29 wegzu-
laffen. Die Behauptung: FYancoife d'Aubigne habe als
Frau von Maintenon vom Papfte eine geheime kirchliche
Trauung mit Ludwig XIV. erlangt u. dafür diefem die Aufhebung
des Edictes von Nantes abgenöthigt, ift alles, nur
nicht bewiefen und ftimmt in ihrem letzten Theile durchaus
nicht mit der Proteftantenverfolgung', welche ihrer
Ehe (1684 oder 85?) voranging. Ein gutes Bild d'Aubigne
's ziert das gefchmackvoll ausgeftattete Buch.
Eine populärere Farbe trägt die II. Schrift; der Verf.,
auch fonft bekannt durch Studien über den franzöfifchen
Proteftantismus, erzählt anfpruchslos aber feffelnd das