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Ausgabe:

1885 Nr. 21

Spalte:

492-494

Autor/Hrsg.:

Glock, J. Ph.

Titel/Untertitel:

Die Gesetzesfrage im Leben Jesu und in der Lehre des Paulus. Eine biblisch-kritische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der Einwendungen Ed. v. Hartmanns und der Prätensionen der Wortführer

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 21.

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nichts. Man darf aber fchwerlich mit dem Verf. fchliefsen:
weil über diefe Jahrhunderte nichts berichtet werde, könne
fich in ihnen auch nichts zugetragen haben (S. 55). Es
giebtim Gegentheil Anzeichen genug, dafs fich mancherlei
zutrug. Ebenfo wenig ift mit der Verficherung geholfen,
dafs ,nach allen Autoritäten' Aegypten und Edom, be-
fonders aber Aegypten in der perfifchen Zeit den Juden
freundlichgewefen fei' (S.51). Was find hier,Autoritäten'?
Pofitiv foll nach des Verfaffers Meinung der Ausdruck
rYniE> 31© 4, I die nachexilifche Entftehung des Joel aus-
fchliefsen (S. 58). Schliefslich kommt er zu dem Re-
fultat, dafs mit D^iSÜ 4, 1 vor allem Sifak und die mit
ihm verbundenen Edomiter und Ifraeliten (!) gemeint
feien, die Joel zu den Heiden rechne (S. 120 ff.). Allerdings
müfste man fich höchlich wundern, wenn Ifrael bei
einem vorprophetifchen Joel gar nicht vorkäme. Nun
bezeichnet Joel aber mit Ifrael Juda (2, 27) und gebraucht
diefe Namen promiscue (4, I. 2.). Alfo lebte er min-
deftens nach dem Untergang Ephraim's.

Das hauptfächlichfte Intereffe des Verf. geht in-
zwifchen auf die im Buche Joel vorausgefetzten cultifchen
und allgemein religiöfen Verhältnifse, die er als dem
Prieftercodex analog bezeichnet und als vorexilifch nachweifen
möchte. Thatfächlich wird er hierdurch immer
wieder auf den Verfuch geführt, die Vorausfetzungen
des Prieftercodex in der vorexilifchen Zeit aufzuzeigen
(S. 64-114). Was der Verf. hier vorbringt, ift von
keinerlei pofitivem Werth, gleichwohl meine ich einige
feiner Sätze mittheilen zu follen. Man hat gemeint,
einem vorexilifchen Propheten ftehe das Intereffe, das
Joel am Cultus nehme, nicht wohl an. Aber: The Pro-
phets neitlier expressly command, nor expressly forbid the
offerings as such; the former not, because it was clear
enough then, as at all times and in every religious System,
that the externalities would not be neglected; the latter not,
because it zuas not their vocation, nor any part of their
duty to oversce the Services of the Temple (S. 71 f.). Man
hat Anftofs genommen an der Rolle, die die Priefter
nach dem Buche Joel in Jerufalem zu fpielen fcheinen.
Indeffen: Wlien the hing disappears, the High-priest rises
at once to tlie regency. This only shows that the sanctuary
was more important than the State, and that the Kingdom
consisted of Sanctuary and State rather than State and
Sanctuary. Thatisftwas theocracy (S.82f.). Weiterkommt
der Verf. auf die verfchiedene Auffaffung des Urfprungs
der Leviten bei Ezechiel und im Prieftercodex. If as is
assumed by the new school, Ezra continucd the work, which
Ezekiel hat begun, viz., to devise and codify the Priest-
code as a system in the name of Moses, then Ezra mis-
understood Ezekiel in this particular — who will venture
to assume it? — or the Levites hat constituted a particular
class of priests for centuries. A third alternative is, that
these authors resorted to the so-called ,legalfiction1, and in
that case they must have continued the same systematically
for generations (S. 85). Man hat gemeint, dafs der Tempel
zu Jerufalem, fo lange das Nordreich beftand, keine
fo einzigartige Bedeutung beanfpruchen konnte, wie Joel
fie ihm beilegt. Nach Wellhaufen ift es ein ftarker Anachronismus
, wenn das Königsbuch annimmt, dafs dies
Gotteshaus von jeher der wahre Mittelpunkt der Ge-
fchichte Ifraels gewefen fei. Dem Verf. erfcheint diefe
Meinung geradezu facrilegifch (S. 90). Entrüftet fragt
er: Was Jereboam then not a rebel and Israel an apo-
state? ... Or should the historians have given the ca-
pital of Samaria and the sanctuaries at Bethel and Dan
the greater part of their attention? (S. 94). Geradezu erklärt
er den nordifraelitifchen Cultus für heidnifch (S.
97), wodurch er freilich mit 1 Sam. 9. 1 Kön. 18, 30.
19, 10 in fchlimme Verlegenheit kommt (S. 102 f.).
Bleibt fchliefslich noch das Alter des Prieftercodex zu
beweifen, fo heifst es S. 92: No nation constructs a grand
cdifice for Parliament zvithout a State Constitution, nor zvill
a people erect a finc Temple in a world-renowned capital]

city withaut riies and ordinances of zvorship.....The

natural order is, first the ritual and the priests, etc. — if
writing is known, the formal code soon follows, — then
I the Temple as a necessity (S. 92). Nach alledem erfcheint
die hiftorifche Zuverläffigkeit des Königsbuchs
und der Chronik überall eine völlige (S. 95) und damit
die neuere Pentateuch-Kritik gänzlich widerlegt zu fein
(S. 113 f.).

Dem Verf. fleht feine Meinung von vornherein feft.
Die Sammler des Kanons haben Joel unter die älteften
der kleinen Propheten geftellt, er hat deshalb für alt zu
gelten, bis das Gegentheil klar bewiefen ift (S. 4. 119.
125. 154). Welche Beweife aber genügen würden, ilt
nicht abzufehen. Denn wie Viele, die weit gefchickter
find als er, fragt der Verf. nicht nach der hiftorifchen
Wahrfcheinlichkeit, fondern nach der Möglichkeit, die
Tradition irgendwie zu halten (S. 105). Er findet 2 Kön. 12
in Einklang mit 2 Chr. 24 (S. 138), ficht nur fcheinbare
Differenzen zwifchen der Chronik und den Büchern Sa-
muelis (S. 89), hält auch betr. Jef. 40—66 (S. 73), Zach.
9—14 (S. 75), Daniels (S. 58) und der Reden Elihu's (S.
112) die Tradition aufrecht und huldigt der Lehre vom
doppelten Schriftfinn (S. 108). Es giebt alfo für ihn
Thatfächlich keine wiffenfchaftlicheBehandlung des Alten
Teftaments. Wenn nun aber feiner Schrift eine philofo-
phifche Doctor-Differtation wenigftens zu Grunde liegt,
fo kann wohl mancher auch hier die Frage nicht unterdrücken
, wie doch eine derartige Arbeit vom profan-
wifferifchaftlichen Standpunkt aus gewürdigt werden
konnte.

Uebrigens ift es aber von Intereffe zu fehen, in
welchem Mafse von diefer neueren Apologetik das A. T.
herabgewürdigt wird. Auf Schritt und Tritt finden fich
in diefer Schrift Beifpiele dafür. Ich wähle nur eins von
vielen aus. Bei Joel fehlt die eigentliche Bufspredigt, er
nennt keinerlei Sefondere Sünden, die den Zorn Jahve's
erregen, fondern ermahnt einfach zur Bufse (2, 13). Damit
wiffen feine Hörer offenbar, was fie nun zu thun
haben. Auch hierin unterfcheidet fich Joel wefentlich
von den Propheten, er fetzt eben ihre Bufspredigt als
bekannt und anerkannt voraus. Der Verf. meint dagegen
, die Zeit Rehabeam's fei freilich fehr gottlos, aber
auch fehr unglücklich gewefen. In der Zeit fchweren
Unglücks fuche nun fchon ein weifer Politiker vor allem
die Hoffnung zu beleben, wie vielmehr ein Prophet
(S. 124)!

Bafel. Rudolf Smend.

Glock, Pfr. J. Ph., Die Gesetzesfrage im Leben Jesu und in
der Lehre des Paulus. Eine biblifch-kritifche Unter-
fuchung mit befonderer Berückfichtigung der Einwendungen
Ed. v. Hartmanns und der Prätenfionen der
Wortführer des modernen Judenthums. Karlsruhe,
Reuther, 1885. (XII, 159 S. gr. 8.) M. 2.—

Eine felbftändige wiffenfchaftliche Untcrfuchung ift
die vorliegende Schrift nicht. Wie fie mit Vorliebe in
Citaten redet, fo ift, abgefehen von einzelnen aus andern
Gedankenkreifen aufgenommenen, nicht immer ganz
harmonifch fich einfügenden Elementen, und einzelnen
eigenen Wagnifsen, doch ganz vorwiegend Holtzmann
ihr Gewährsmann. Wie fie überall mehr den vollen
Bruftton warmer Begeifterung oder die pointirte Sprache
modernen Feuilletonftils redet, als die einer ftrengwiffen-
fchaftlichen Discuffion, fo ift auch ihre Tendenz eine
wefentlich praktifche. Es gilt, wie fchon der Titel fagt,
die Einwendungen Ed. v. Hartmann's und der Wortführer
des modernen Judenthums gegen die Originalität Chrifti
und des Chriftenthums zurückzuweifen; und die Gefetzes-
frage ift nur der Boden, auf dem diefer Streit ausgefochten
werden foll. Die Hauptfrage bei dem Buche, bei der wir
alle lebhaft betheiligt find, ift alfo die, wie weit es diefen