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Ausgabe:

1885

Spalte:

482-485

Autor/Hrsg.:

Frank, F. H. R.

Titel/Untertitel:

System der christlichen Wahrheit. 1. Hälfte. 2. verb. Aufl 1885

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 20.

482

im Allgemeinen zugeftanden werden können, auch wenn
es offenbar ift, dafs ein Katholik oft mit der Kürze der
pofitiven Darlegung der katholifchen Lehre oder der
gefchichtlichen Entwicklung unzufrieden fein kann. Eine
Kürze, die z. B. vom Cölibat fagt S. 35: ,Ein römifcher
Bifchof Siricius erhob fie (die Ehelofigkeit) imj. 385 zum
Gefetz. Doch hat erft Gregor VII. fie mit Gewalt durchgeführt
.' — eine folche Kürze ftreift doch dicht an Unrichtigkeit
. Völlig fehlen auch zweifellofe Unrichtigkeiten
nicht, z. B. ift nicht die Ehefchliefsung der katholifchen
Kirche ein Sacrament (S. 70), fondern die Ehe;
von einem ,facramentalen Zugeführtwerden' des Weibes
durch den Priefter ift im Mittelalter noch lange Zeit,
nachdem die Ehe als Sacrament zu gelten angefangen
hatte, nicht die Rede. Noch heute kann das Sacrament
der Ehe da, wo das Tridentinifche Recht nicht verkündet
ift, ganz ohne priefterliches Zuthun zuttandekommen.

Ueber die Forderung der Vollftändigkeit läfst fich
bei einem fo endlofen Stoff fchlecht rechten. Doch
werden gewifs viele dem Ref. gleich über die Zweck-
mäfsigkeit der getroffenen Auswahl hier und da anderer
Meinung fein als der Verf. Es ilt Ref. beifpielsweife
unfafsbar, wie der Herr Verf. es hat über fich bringen
können, über die Unfehlbarkeit weiter nichts zu fagen,
als das, was fich S. 50 f. findet, nur Clemens' XIV. und
Pius' VII. divergirendc Anflehten über den Jefuitenorden
als Gegeninftanz anzuführen, zu fchweigen von Honorius
(deffen Verurtheilung gelegentlich S. 356 erwähnt wird),
von Liberius, von Calixt, von Bonifaz VIII. und feinen
Nachfolgern. Hier mufs eine moderne Polemik ausführlicher
fein, denn wie Taufenden von Altkatholiken der
Infallibilität gegenüber die Augen aufgegangen find, fo
werden gerade hier auch andere an der Verwerflichkeit
ihres letzten Refultates die Irrigkeit der ganzen Entwicklung
des Papalfyftems erkennen. — Ueberhaupt
würde man gern die Gefchichte der Kirche noch mehr
verwerthet fehen. Nicht vollftändig genug ift ferner
z. B. m. E. die Polemik gegen das Mefsopfer S. 59 f.

Unbedingter wird man die Anordnungs- und Dar-
ftellungsweife zweckentfprehend finden. Wenige Do-
centen werden ohne Mühe ganz den Ton der gebildeten
Converfation treffen und auch Tfch.'s Buch ift an einigen
Stellen noch ein Zwitter zwifchen einem Leitfaden für
Studenten der Theologie und einem Buche für Gebildete
weiterer Kreife; man vergleiche z. B. S. 69: ,Verltanden
werden kann die calvinifche Sacramentslehre nur im Zu-
fammenhange der Lehre von der Erwählung und vom
Glauben, auf welche wir hier nur verweifen.' Doch im
Grofsen und Ganzen ift das Buch allgemein verftändlich.

Am meitten Bedenken wird man haben müffen hin-
fichtlich des dritten oben erwähnten Erfordernifses.
Entfchieden ift diefe Polemik allerdings, aber fie ift zu
entfehieden. Bodenlofe Anmafsung S. 22, himmelfchreien-
des Unrecht S. 26, nichts als Hochmuth S. 29 — dergleichen
, an fich ja durchaus berechtigte Aeufserungen
der Entrüftung kommen m. E. zu oft und zu fchnell.
Die Art, in der S. 205 über römifche Kunft oder S. 229
über das Brevier geredet wird, oder gar die Apoftrophe
an die Cölibatäre S. 19O laffen den Adel der Hafe'fchen
Polemik vermiffen. Bezeichnend ift für den Unterfchied
der Hafe'fchen und Tfchackert'fchen Diction die verfchie-
denartige Benutzung eines gleichen Bildes: Hafe fagt in
der Vorrede zur erften Auflage (S. IV der 4. Aufl.), noch
müffe der Proteftantismus fein gutes altes Schwert zur
Hand halten, die Stellung des borghefifchen Fechters,
die doch nur eine Grenzwacht fei, komme ihm beffer
zu als die des fterbenden Fechters auf dem Capitol;
Tfchackert gebraucht in feiner Vorrede einen Theil
diefes Bildes: die idealen Güter der modernen Welt
würden vergiftet und zertreten, wenn wir es unterliefsen,
gegenüber der vaticanifch jefui'tifchen Kirche wenigftens
die ,borghefifche Fechterftellung' einzunehmen. Was ift
da aus Hafe's feinfinnigen Worten geworden! Unfchön

: ift es z. B. auch, dafs die in ihrer Form nicht zarte Anklage
, dafs im katholicismus ,das Weib für den Priefter
zu fchlecht fei', nicht weniger als dreimal (S. 36.70. 189)
wörtlich wiederkehrt.

Doch folche Mängel find kein Vorwurf gegen den

I Verf. Einen wirklichen Vorwurf aber wird man Tfch.
nicht erfparen können: der letzten aber nicht geringften
Forderung der Gerechtigkeit und Billigkeit genügt feine
Polemik nicht überall. Ift es wirklich nichts als Hochmuth
, dafs die katholifche Kirche allein die immer fieg-
hafte und unvergängliche fein will (S. 26)? Ift es wirklich
fo, dafs die Kirche die Ehefchliefsung (vgl. oben)

[ zum Sacrament gemacht hat, um die chriftliche Familie
durch den Priefter beherrfchen zu laffen (S. 70)? Haben
wirklich die chriftlichen Geiftlichen das Mefsopfer gemacht
', um den Juden und frommen Heiden nicht nach-

i zuftehen (S. 60) ? Wozu für abfichtslofe Entwicklung
nach verwerflichen Motiven fuchen! Wozu foll es dienen,
dafs mehrfach in rnalam parteih gewandt wird, was
ebenfo gut auch in bonam partem gekehrt werden kann!

I Weshalb beleuchtet z. B. Tfch. die römifche Anerkennung
der Ketzertaufe nur mit den Scheiterhaufen der
Inquifition? Ihrer Entftehung nach hat fie ganz andere
Bedeutung. Bifchof Stephan liefs die Ketzertaufe gelten

— das Rheinen mir die Cyprian'fchen Briefe zu beweifen

— nicht zunächft einer Theorie zu Liebe, fondern aus
weitgehender, von Cyprian getadelter Toleranz gegenüber
den Novatianern. Und noch einige Beifpiele.
Glaubt Herr Prof. Tfch. wirklich (vgl. S. 414 Anm. 85 a),

j dafs nur katholifche Apologeten unter dem in Sardinien
verehrten St. Lucifer den Lucifer von Calaris verliehen,

; den das von ihm angezettelte Schisma um die Anerkennung
feiner Heiligkeit gebracht hat? Hält er es
wirklich für wahrfcheinlicher, dafs St. Lucifer ,eigentlich
,der heilige Satan' wohl eine Art chriftlicher Pluto' (S. 147)
fei? Und bilden wirklich die Verläumdungen, welche
Leo XIII. gegen den Proteftantismus gefchleudert hat,

den Höhepunkt aller Gehäffigkeit (S. 358 r

Umgekehrt fehlt allzufehr ein Hinweis auf die Schäden
bei uns. Dürfen wir in einer Polemik über den
limbus infantum uns erzürnen (S. 159), ohne daran zu
denken, wie manche Väter unferer Kirche über das

Loos ungetauft fterbender Kinder anders gedacht haben,
wie wir jetzt. Ift der Spott der älteren Calviniften über
die Nothtaufe jetzt völlig gegenftandslos? Und, kennt
der evangelifche Pfarrer wirklich kein ,Carrieremachen'
(S. 349)?

Doch wozu noch mehrere Beifpiele. Der Herr Verf.
möge es dem Ref. nicht verargen, dafs er diefe angeführt
hat. Es ift ja gar erklärlich, dafs einem Polemiker
römifcher Anmafsung gegenüber die Galle überläuft,
aber gewifs es dient der Sache nicht. Und um der
Sache willen durften diefe und andere Bedenken nicht
verfchwiegen werden. — Tfch.'s fo fehr zeitgemäfses
Buch hat gewifs noch weitere Auflagen vor fich. Möge
denn der Herr Verf. freundlichft nicht Tadelfucht darin
1 erkennen, dafs Ref. feinem willkommenen Buche gegen-
! über nicht völlig ungeteilter Freude Ausdruck geben
konnte.

Leipzig. F. Loofs.

Frank, F. H, R., System der christlichen Wahrheit. 1. Hälfte.
2. verb. Aufl. Erlangen, Deichert, 1885. (X, 525 S
gr.8.) M.8.-

Diefe Auflage nennt fich eine verbefferte und ift es
auch infofern, als fie reichlicher mit einer Polemik ausgefluttet
ift, in welcher der Verfaffer dem Auffchwunge
zahlreicher Paftoralconferenzen zu folgen bemüht ift.
Schon in der Vorrede zu dem ,Syftem der chriftlichen
Sittlichkeit' war diefes Beftreben des Verf.'s, feiner Zeit
gerecht zu werden, Mark zu verfpüren. Hatte er fich
I doch in jener Vorrede als Befchirmer der Myftik und