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Ausgabe:

1885 Nr. 20

Spalte:

474-477

Autor/Hrsg.:

Nitzsch, Karl Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichte des deutschen Volkes bis zum Augsburger Religionsfrieden. 3. Bd.: Vom Tode Heinrichs VI. bis zum Augsburger Religionsfrieden 1885

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 20.

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meift nur referirt, d. h. das Material beibringt, ohne es
weiter zu verarbeiten. Was dem Buche hauptfächlich
mangelt, find durchgreifende Gefichtspunkte und orga-
nifche Darstellung.

Das Buch ift, wie wenig andere, sine ira et studio
gefchrieben. Aber nicht nur, dafs Langen es, wie er bereits
im Vorwort andeutet, möglichft vermieden hat, fich
auf Hypothefen einzulaffen, er hat überhaupt auf jede
Combination, fofern fie ihm nicht unumgänglich an die
Hand gegeben war, verzichtet: dadurch ift feine Darftel-
lung eine fehr einfache, aber auch fehr einförmige geworden
. Der unbedingten Objectivität, mit der das Buch
gefchrieben ift, fteht leider Mangel an Frifche und Lebendigkeit
zur Seite. Das gewifs richtige Princip, die
Quellen möglichft felber reden zu laffen, hat Langen auf
die Spitze getrieben, indem er uns einen nur wenig verarbeiteten
Stoff direct aus den Quellen bietet und feine
Beurtheilung desfelben faft durchweg zurücktreten läfst.
Zu bedauern ift, dafs gerade bei den beiden bedeutendften
Päpften diefer Epoche, Leo I. und Gregor I., uns keine
GefchichteihresPontificatesgeboten wird, fondern lediglich
ein Auszug aus ihren Briefen, bei dem nicht die
fachliche, fondern die chronologifche Reihenfolge beobachtet
wird. Die directe Folge davon ift eine Zer-
ftückelung des Stoffes, die uns zwingt, das Zufammen-
gehörige erft zufammen zu fuchen. Führt uns ein Brief
in den Orient, fo find wir mit dem nächften wieder in
Gallien, gleich darauf in Spanien, vielleicht in Afrika.
Es ift fomit vollftändig unmöglich, ein irgendwie klares
Bild der Entwicklung der Vorgänge zu erhalten. Auch
kann dabei unmöglich das richtige Verhältnifs der Wichtigkeit
der einzelnen Briefe beobachtet werden: die gleich-
gültigften Privatbillete flehen zwifchen den wichtigften
Schreiben und nehmen oft keinen geringeren Raum ein.
Es kommt hinzu, dafs diefe Briefe faft ausnahmslos in
indirecter Rede mitgetheilt werden, wiees überhauptfür
das Langen'fche Buch charakteriftifch ift, dafs bei weitem
mehr als die Hälfte davon in indirecter Rede gefchrieben
ift. Wie fehr dies Verfahren gefchadet hat, zeigt
befonders ein Vergleich des Capitels über Gregor I. bei
Langen mit dem gleichen Abfchnitt bei Baxmann. Ein
Hauptvorzug der letzteren Darftellung ift das frifche
Leben, das in ihr pulfirt, zugleich aber auch die wirklich
organifche Behandlung des Stoffes. Langen giebt,
fo oft auch feine Erzählung ihn zwingt, Ereignifse der
byzantinifchen oder fränkifchen oder langobardi Sehen
Gefchichte zu berückfichtigen, feiten mehr als kurze
Notizen über diefelben: man mufs erft andere Quellen
ZU Rathe ziehen, will man die Bedeutung mancher Vorgänge
in Byzanz etc. verliehen, in welche die Politik
der Päpfte verwickelt wurde. Noch mehr ignorirt Langen
die allgemeinen welthiftorifchcn Gefichtspunkte, welche
zu erörtern gerade eine Gefchichte der römifchen
Kirche die belle Veranlaffung gegeben hätte.

Mit feinem eigenen Urtheil hält Langen, wie fchon
erwähnt, fo viel wie möglich zurück. Faft nur, wenn
eine Stelle in den Briefen der Päpfte für ihre Auffaffung
vom Primat charakteriftifch ift, unterbricht eine Bemerkung
das Referat, dann geht es im gleichen Tone fort. Eine
zufammenfaffende Betrachtung aber, wie fie uns der Ver-
faffer am Schlufs etwa des E/xcerptes aus Gregor's Brief-
fammlung bietet, kann unmöglich als Erfatz dienen. An
andererStelle (p'ag. 318) erfahren wir zwar, dafs Langen
mit dem Urtheil Ranke's über Jultinian nicht einverftan-
den ift; wie er felbft über den Kaifer denkt, darüber giebt
er uns keinen Auffchlufs. So läfst er auch die berüchtige
Entfcheidung des Honorius über den Monotholetismus,
ohne irgend welche Bemerkung im Zufammenhange daran
zu knüpfen, vorübergehen (pag. 512). So wird die
von ihm felbft als die ,folgenreichfte und kühnfte That'
des Zacharias bezeichnete Bethciligung desfelben am
Sturz der Mcrowingerdynaftie (pag. 645) mit 10 Zeilen
abmacht. Derartige Beifpiele liefsen fich noch in Menge

anführen. Unfer Gefammturtheil kann demnach kaum
anders lauten, als dafs Langen den grofsen Stoff, den er uns
bietet, nicht genügend zu einer wirklichen Gefchichte
verarbeitet, zuweilen fogar ganz unbearbeitet, wie er vorlag
, uns überliefert hat. Dennoch glauben wir nicht,
unfere im Eingang geäufserte Anficht, dafs auch diefer
Band gelefen werden wird, ändern zu müffen: die Zu-
verläffigkeit bis in kleinfte Einzelheiten hinein durften
wir ja oben fchon rühmen; und es ift auf jeden Fall
dankenswerth, dafs wir durch Langen's Buch eine folche
zuverläffige Zufammenftellung des Materials erhalten
haben. Aber es fragt fich doch, ob man nicht beffer
thut, die Briefe Leo's und Gregor's etc. im Original zu
lefen, wenn anders man es überhaupt über fich gewinnt, fie
allehintereinander zu lefen. Es iftübrigens zu erwarten, dafs
Langen feine Methode im folgenden Bande modificiren
wird; denn eine aus Fragmenten zufammengefetzte Gefchichte
Gregor's VII. wird diefem Manne aus einem
Gufs fchwerlich gerecht werden. Die Ausftattung des
Buches ift eine ausgezeichnete, der Druck ein äufserft
forgfältiger. Die unbedeutenden Druckfehler, welche
dem Referenten aufgefallen find (pag. 24, 18 448 ftatt
449; pag. 45, falfche Angabe der Seitenzahl; pag. 523,
4 Syodal ftatt Synodal; pag. 651, 11 uad ftatt und; pag.
675, 23 Difiderius ftatt Dcfiderius; pag. 682, 19 empfig
ftatt empfing; pag. 694, 7 Diacon ftatt Diaconen; pag.
808, 14 inzwizehen ftatt inzwifchen) können, felbft wenn
fie nicht die einzigen fein füllten, diefe Ausfage nur
beftätigen.

Giefsen. Guftav Krüger.

Nitzsch, Karl Wilh., Geschichte des deutschen Volkes bis

zum Augsburger Religionsfrieden. Nach deffen hinter-
laffenen Papieren und Vorlefungen hrsg. von Dr.
Georg Matthäi. 3. Bd. Vom Tode Heinrichs VI.
bis zum Augsburger Religionsfrieden. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1885. (XIV, 458 S. gr. 8.)
M. 9.60.

Indem ich hier den dritten und letzten Band von
Nitzfch's DG. zur Anzeige bringe, erinnere ich zunächft
an die Worte, mit denen ich meine Abficht bei der Be-
fprechung des zweiten Bandes umgrenzt habe (Th. LZ.
1884. Sp. 527), damit nicht etwa der Schein entfliehe,
dafs ich den ganzen Inhalt des Buchs hier in der Kürze
vorzuführen gedenke.

Wenn fchon der zweite Band die deutfehe Gefchichte
vorzugsweife unter dem Gefichtspunkt der königlichen
Verwaltung und ihres Zusammenhangs vor allem mit
derjenigen der kirchlichen Mittelpunkte, aber auch der
Laienfürften dargeftellt hatte, wenn er fo grofsentheils
zu einer Gefchichte der Minifterialität geworden war, fo
gilt dies durchaus auch von diefem letzten Band, wenigstens
feiner erften Hälfte, welche die Zeit der fpäteren
Staufer umfafst. Man kann kurz fagen, dafs hier ge-
fchildert wird, wie feit Heinrich's VI. Tod die beiden
grofsen Verwaltungsgebiete, das Königthum und die
Kirche, die durch Otto L in engfte Verbindung gefetzt
und durch Friedrich L wiederum zufammengefchweifst
waren, fich definitiv von einander löfen und wie dadurch
fowohl die alte deutfehe Verfaffung, wie auch das Königthum
einer- und die deutfehe Kirche andererfeits auseinanderbrechen
.

Zunächft ziehen fich die bifchöflichen Minifterialen
feit Friedrich's I. Tod mehr und mehr auf die ftädtifche
Verwaltung zurück und gewinnen, da fich die ftädtifchen
Intereffen auch in Deutfchland trotz Heinrich's VI. zurückhaltender
Stellung immer mehr Geltung verfchaffen, den
Bifchöfen gegenüber eine Stets wachfende Selbständigkeit.
Sodann aber beginnt Sich auch die königliche Verwaltung
und der Zufammenhang ihres hauptsächlichen Organs,
der ftaufifchen Minifterialität, mit dem Königthum zu

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