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Ausgabe:

1885 Nr. 18

Spalte:

434-435

Autor/Hrsg.:

Gerok, Gust.

Titel/Untertitel:

Himmelan! Ein Jahrgang Evangelienpredigten aus Württemberg 1885

Rezensent:

Schlosser, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 18.

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Priefterthums jedesmal in Zeiten der Erneuerung des
kirchlichen Lebens in den Vordergrund getreten. Wenn
die officiellen Autoritäten in der Kirche den Dienft verfügen
, und ihre Mittel fich zur Erhaltung und Erweckung

fo in unmittelbarem perfönlichem Verhältnifs zu Gott
fleht. Zu diefer priefterlichen Würde ift er erwählt und
geweiht durch die Taufe, und die Heiligkeit des priefterlichen
Standes eignet ihm durch den Befitz des heiligen

^eiftlichen Lebens unzulänglich erweifen, dann fchaaren j Geiftes. Diefes Priefterthum ift allgemein, denn einmal
Cefa die, in welchen noch geiftliches Leben vorhanden ! ift es für alle zugänglich und beruht nicht auf einem
ift, unter der Fahne des »einheilen Priefterthums zufam- Ding, durch welches fonft nach der Ordnung der Natur
men zum Kampf für den «Glauben und feine Ideale. Auf Unterfchiede unter den Menfchen bedingt würden, und
das' geiftliche Priefterthum hat fich Luther berufen, da zum anderen flehen allen die gleichen Quellen und Hilfs-
er den chriftlichen Adel deutfeher Nation, die Raths- j mittel zur Förderung des Lebens zu Gebote: der eine
herren der Städte und das gefammte Volk aufforderte [ und felbe Geift, Gebet und Gnadenmittel, namentlich
zur Mitarbeit an der Erneuerung der Kirche. An des I auch der Zugang zu den wefentlichen Wahrheiten der
allgemeinen geiftlichen Priefterthums Pflicht und Recht Schrift. Aus diefem priefterlichen Verhältnifs der Chriften
mannt Spener. Und es ift nicht zufällig, dafs in unferer j zu Gott werden als die priefterlichen Thätigkeiten abge-
Zeit die ftärkere Heranziehung der Gemeinde zur Mit- leitet: 1) das Opfern, nämlich das Brandopfer des eigenen
Wirkung auf den verfchiedenften Gebieten des kirchlichen Lebens, das ganz in Gottes Dienft geftellt und ihm geLebens
, in Synoden und im Vereinsleben, alsbald die heiligt wird, und die täglichen Opfer des Lobes und
erneute'Erörterung diefes Begriffs zur Folge hatte. Der Dankes, wobei durch die Einwohnung des Geiftes der
Verf. hat aber an allen bisherigen Behandlungen desfel- Lebenstrieb des Gottesreichs zum ureigenften Lebenstrieb
ben auszufetzen, dafs fie faft lediglich von praktifchen wird, 2) das Verftändnifs und die Deutung des Willens
Geflchtspunkten ausgehen, und dafs es dabei meift nur Gottes. Die Beantwortung der Frage, wie weit der ein-
um die praktifchen Folgerungen zu thun fei, welche aus 1 zelne Chrift diefe Thätigkeit in einem amtlichen Thun
der Lehre vom geiftlichen Priefterthum der Chriften für | zu üben habe, lehnt der Verf. als aufserhalb feiner Auf-
die Betheiligung der Laien am kirchlichen Leben und gäbe liegend ab. Nachdem er noch im VII. Abfchnitt
deren Verhältnifs zum kirchlichen Amte gezogen werden : durchaus im Sinne Luthers von dem geiftlichen Königkönnen
. Im Gegenfatz dazu will der Verf. gerade von thum der Chriften gehandelt hat, — allerdings nicht

diefen praktifchen Fragen, deren Erledigung die Erörte
rung noch anderer Begriffe nöthig machte, ganz abfehen.
Es ift ihm vielmehr nur darum zu thun, den fchrift-
m äfsigen dogmatifchen Begriff des geiftlichen Prie-

ganz im Einklang mit feiner Exegefe von 1 Petr. 2, 9
(S. 12 u. 13, wo er ßuotaov paffivifch nimmt und die
activifche Bedeutung im Widerspruch mit Joh. 4, 47 für
ßauiXinos refervirt) — giebt er noch eine kurze Ueber-

fterthums der Chriften zu gewinnen. Zu diefem Be- ficht über die Entwicklung und Verwendung des Begriffs
hufe unternimmt er, nachdem er das Vorhandenfein . in unferer Kirche. Luther habe den Herzfchlag des geift-
diefes Begriffes im N. T. nachgewiefen und feine Bedeu- liehen Priefterthums erfafst und feine grundlegende Betung
in den einzelnen Stellen dargelegt hat, zuerft eine j deutung erkannt, ohne es begrifflich fcharf zu entwickeln;
eingehendere Unterfuchung des Wefens des altteftament- [ Spener habe ihm wieder praktifch zum Recht verholfen,
liehen Priefterthums und fodann eine umfaffendere Deu- ; aber ohne rechte Einficht in feine wefentlichen Gründe

tung der einzelnen Züge desfelben auf das Wefen und
den Inhalt des chriftlichen Lebens. Mit Recht m. E.
weift er die Ableitung des neuteftamentl. geiftlichen Priefterthums
von dem fehattenhaften allgemeinen Priefterthum
des altteftamentl. Gottesvolkes, das erft im levitifchen
Priefterthum zu feiner Klarheit und Beftimmtheit

und mit fehr einfeitigem Abfehen auf die private gegenteilige
Erbauung.

Bekanntlich ift bei der Lutherfeier in Wittenberg der
Behandlung des geiftlichen Priefterthums eine hervorragende
Stelle zugewiefen worden. Wenn daraus ge-
fchloffen werden darf, dafs man auch darin wieder in

gelange, zurück. Als Grundzüge des levitifchen Priefter- Luthers Bahnen einzulenken fich bemüht, fo ift eine Dar-

ftellung diefes Begriffes, die ihn in folcher Tiefe und Fülle
erfafst als den Ausdruck eines menfehlichen Lebens, ,das
da ruht in der unmittelbaren Gemeinfchaft mit Gott und
von diefer Quelle aus durch freie Aneignung den Geift
Gottes in alle feine Lebensäufserungen verpflanzen kann',
und dadurch ebenfo vor pietiftifcher Enge, wie vor einem
,übereilten Optimismus', der ,das geiftliche Priefterthum
fchlecht und recht zu einem demokratifchen Princip in
einer empirifchen Kirchengemeinfchaft machen und dem-
gemäfs alle Mitglieder fo behandeln wollte, als lebten
fie im Ideal', fchützt, gewifs höchft zeitgemäfs und aller
Beachtung werth.

Oiefsen. Gg. Schloffen

thums ergeben fich ihm nun folgende drei: Erwählung,
Heiligkeit und freier Zugang zu Gott; als feine eigen-
thumlichen Thätigkeiten in erlter Linie das Opfern, fodann
als eine damit in Zufammenhang flehende Reihe: Aus-
theilen des Segens und Auslegung des Gefetzes. Wenn
der Verf. bei diefer Feftftellung des Thatbeftandes auf
die neueren Verhandlungen über das levitifche Priefterthum
keine Rückficht nimmt, fo hat das m. E. infofern
feine Berechtigung, als die Bildung des neuteftamentl. Begriffs
des geiftlichen Priefterthums fich unter dem ent-
i'cheidenden Einflufs der in der apoftolifchen Zeit herrfchen-
den Auffaffung vom Wefen des levitifchen Priefterthums
und feiner hiftorifchen Entwicklung vollzogen hat, ob fie
nun hiftorifch zutreffend war oder nicht. Andererfeits hat
das freilich zur Folge, dafs damit die Aufgabe der Ge-
fetzesauslegung aus der Reihe der wefentlichen Functio- Gerok, Guft., Himmelan! Ein Jahrgang Evangelienpredig-
nen des Priefterthums ausfeheidet, da diefe längft auf ten aus Württemberg. In Verbindung mit vielen
den Stand der Gefetzeslehrer übergegangen war. Aber ; Geiftlichen hrsg. Stuttgart, Krabbe, 1884 (VIII s4sS
der Verf. gebraucht auch die Vorficht, was er davon im » ^ ' c' 10ö4- l^, 545

geiftlichen Priefterthum des N. T. nachgebildet findet, j ir- 80 M- 3- —i geb. M. 4. 20.

aus der wefentlichen Function des Opferns, als dann An Predigtbüchern fehlt es heutzutage nicht. Zu

mitgefetzt, abzuleiten. Es ift nun des Verf.'s Meinung, den immer wieder neu herausgegebenen alten gefellen
und zwar im Gegenfatz zu den lutherifchen Dogmatikern fich die beliebten modernen Prediger mit mehr oder we-
des XVII. Jahrh., dafs die Verwendung diefes Begriffs niger originellen Gaben, und auch an eigentlichen Sammdurchaus
nicht metaphorifeh zu faffen fei, fondern als lungen aus den verfchiedenften Gefichtspunkten ift kein
ein eigenthümlicher und werthvoller Gefichtspunkt des , Mangel. Referent hat gerade in feinem Wirkungskreis
chriftlichen Lebens, der dem Begriff der Heiligung neue noch wenig Gelegenheit gehabt, befonderes Bedürfnifs
Beleuchtung zuführe. Der Chrift hat priefterliche Würde, nach Predigtbüchern zu beobachten, und ift daher ge-
indem er durch Chriftus freioffenen Zugang zu Gott hat, neigt, an eine Ueberproduction auf diefem Gebiet zu
ohne dafür menfehlicher Mittlerfchaft zu bedürfen, und 1 glauben. Wenn Jemand aber ein Predigtbuch zu befitzen