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Ausgabe:

1885 Nr. 15

Spalte:

352-353

Autor/Hrsg.:

Haupt, Herm.

Titel/Untertitel:

Die deutsche Bibelübersetzung der mittelalterlichen Waldenser in dem Codex Teplensis und der ersten gedruckten deutschen Bibel nachgewiesen. Mit Beiträgen zur Kenntniß der romanischen Bibelübersetzung

Rezensent:

Harnack, Adolf

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35i

Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 15.

352

und fonftige Bedürftige und Bedürfnifse. Das dritte 1 lieh bei Seite zu laffen. Wenn man beobachtet, wie eine
Buch zeigt für die letzten zwei Jahrhunderte das Auf- Menge von Inftitutionen, welche nicht nur die Idee der
kommen der genoffenfehaftlichen und die Anfänge der j Weltverleugnung, fondern auch den Wohlthätigkeits-
bürgerlichen Armenpflege. Wo überall eine ausgedehnte : zweck verwirklichen füllten, wie im Verhängnifse bald in

kirchliche Wohlthätigkeitsübung befteht, ift diefelbe nicht
nur im allgemeinen ihrem Wefen und ihren Gewohnheiten
nach gezeichnet, fondern dies auch durch emfig
zufammengetragene Beifpiele, ganz befonders aus dem
nördlichen Deutfchland, belegt. Wenn man trotz aller

das Gegentheil umgefchlagen find, fo follten doch auch
die Stimmen nicht unerwähnt bleiben, welche damals
fchon die Erkenntnifs diefes Uebels und feiner Urfachcn
ausgefprochen und die Abhilfe verlangt haben. Seit
dem Inveftiturftreit ift Jahrhunderte hindurch die fchiefe

gefchickten Individualifirung des Hiftorikers den Ein- Stellung, in welcher fich die Kirche diefer Aufgabe ge-
druck einer gewiffen Monotonie bekommt, fo liegt die j genüber befindet, beleuchtet und wohl auch die Reform
Urfache ohne Zweifel darin, dafs die Sache fich Jahr- | dafür als ein Werk der Caritas bezeichnet worden. Die
hunderte hindurch gleich bleibt, oder nur wenig verän- | wohlthätigen und gemeinnützigen Leinungen der Albi-
dert. Es ift daher bei aller Bemühung, nichts irgend hie- | genfer, welche ihren Einflufs zum guten Theil bedingen,

gehören in diefe Gefchichte, fo gut als die Armen von
Lyon und die lombardifchen Humiliaten, als fpäterhin
die Wiklifiten, die Huffiten und noch Savonarola. Der
Verfaffer hat fich auf die Kirche im engeren Sinne be-
fchränkt. Aber das Bild wäre unftreitig durch diefe Ergänzung
nicht nur farbenreicher, fondern auch lichtvoller
geworden. Im Uebrigen wäre ja wohl zu manchem
Einzelnen ein Fragezeichen zu machen, wie im Eingang
zu den Urtheilen über die arianifche Kirche, die fich
doch kaum unkräftiger zu ihrer Ausbreitung und ebenfo
zur Bewältigung des Heidenthums bewiefen hat, als die

her Gehöriges auszulaffen, im Ganzen doch nur ein be-
fchränkter Stoff, der fich der Bearbeitung darbot. Nehmen
wir die Capitel heraus, welche nur die Vorausfetzungen
und den Gegenftand behandeln, wie I, 1. II, 1. III, 1. 2,
und denken wir im Uebrigen auch noch die zahlreichen
Excurfe in allgemeiner Richtung hinweg, fo würde das
nur um fo ftärker hervortreten. Der Verfaffer hat alles
gethan, trotzdem dem Ganzen Farbe zu verleihen. Und
er ift den Leiftungen diefer mittelalterlichen Kirche mit
einer fo günftigen Auffaffung gegenüber getreten, hat
den Bedingungen des Zeitalters fo ausgiebig Rechnung

getragen, dafs das Bild im Ganzen trotz aller Mängel erften katholifchen Germanenkirchen, dann zu den mifs-

doch als ein Lichtbild erfcheint. Es ift ein fchönes
Denkmal proteftantifcher Sachgerechtigkeit, was diefe
Gefchichtfchreibung aufrichtet, und in diefem Sinne dürfen
wir ftolz darauf fein, doppelt in diefem Augenblicke,
wo von anderer Seite einemafslofe Idealifirung fo mangelhafter
Zuftände, verbunden mit anderweitiger Ungerechtigkeit
, zu einem ganz anderen Verfahren herausfordern
kann. Das zwar läfst fich nicht verbergen und wollte
nicht verborgen werden, dafs die überwiegende Triebfeder
diefer Wohlthätigkeit in allen möglichen Formen
die Furcht einestheils und die Lohnhoffnung anderer-
feits ift. Ebenfo wenig, dafs die Kirche Vorftellungen
von den Gütern diefer Welt und dem Berufe in derfel-
ben, von Eigenthum und Armuth gepflegt hat, welche
eine gefunde und aufbauende Wohlthätigkeit gar nicht zu
Stande kommen laffen; dafs endlich auch die beften
Leiftungen ihr Gepräge mehr von dem Eifer der Selbft-
und Weltverleugnung als von der Liebe bekommen.
Aber der Verfaffer wird nicht müde, darin dennoch die
Spuren des chriftlichen Geiftes und die Züge der Wahr-

verftändlichen Bemerkungen über Laien in Klöftern S. 91,
96, 174, zu der Verherrlichung der Zunfteinrichtung und
Aehnlichem ; aber das Alles mindert Werth und Verdienft
des fchönen Buches nicht ab.

Tübingen. C. Weizfäcker.

Haupt, Biblioth.-Sekr. Dr. Herrn., Die deutsche Bibelübersetzung
der mittelalterlichen Waldenser in dem Codex
Teplensis und der ersten gedruckten deutschen Bibel nachgewiesen
. Mit Beiträgen zur Kenntnifs der romanifchen
Bibelüberfetzung und Dogmengefchichte der Wal-
denfer. Würzburg, Stahel, 1885. (VII, 64 S. gr. 8.)
M. 1.60.

Diefe kleine, aber inhaltsreiche Schrift verdient eine
befondere Aufmerkfamkeit. Der Verf. verfolgt in ihr
eine Entdeckung Keller's (Die Reformation und die
älteren Reformparteien S. 256 ff.) und gelangt durch eine
Unterfuchung der dem Codex Teplensis beigegebenen
heit nachzuweifen; er zeichnet mit Liebe die Ideale i Stücke fowie durch eine Vergleichung der Bibelüber-
innerhalb ihrer Schranken. Man könnte fagen, dafs er

faft nur ungerne an entfeheidenden Punkten, wie früher
die Gefetzgebung Karl's des Grofsen, und in den letzten
Zeiten die bürgerliche Armenpflege, der Wahrnehmung
gerecht wird, wie überall da ein Höheres aufkommt, wo
die Arbeit, ohne die chriftlichen Motive zu verlieren, doch
der Kirche entzogen wird. In der That redet die unbefangen
gewürdigte Gefchichte ebenfo gut wie davon,
dafs das Chriftenthum diefe Liebesthätigkeit immer fchaf-
fen mufs, auch davon, dafs damit keineswegs ein ausgezeichneter
Beruf der Kirche als folcher für diefelbe
gegeben ift, jedenfalls aber, dafs die mittelalterliche Kirche
neben dem Guten, was fie gewirkt, wenn nicht ebenfo
viel, doch immer genug zerftört und verdorben hat. Das
bleibt beftehen, wenn man auch noch fo viel von ihrer
Verantwortlichkeit für die faulen Zuftände abfetzt, und
auf Rechnung der ftaatlichen und focialen Verhältnifse
bringt. Gerade eine fo billige, fo überall zur Anerkennung
bereite Berichterftattung mufs das, weil frei von
aller Abfichtlichkeit, um fo mehr beweifen. Hiebei wird
fich aber dem Lefer unwiderftehlich eine Frage aufdrängen
, nämlich was den Verfaffer bewogen hat, während
er doch foweit ausgreift im Hereinziehen der allgemeinen
Zuftände der Kirche, und aller der Verhältnifse und
Motive, welche auch nur entfernt auf diefes Gebiet Einflufs
gehabt haben, die Stimmen des Widerfpruchs gänz-

fetzung in diefem Cod. mit der romanifchen Bibelüberfetzung
der Waldenfer zu dem überrafchenden Ergebnifs,
dafs in dem Cod. Teplensis die deutfehe Bibelüberfetzung
der Waldenfer vorliegt und dafs
fämmtliche der Bibelüberfetzung der Tepler Handfchrift
vorausgefchickte und derfelben angehängte Aufzeichnungen
waldenfifchen Urfprungs find. Aber noch mehr:
durch eine Vergleichung der Bibelüberfetzung in dem
Cod. Tepl. mit den erften gedruckten deutfehen Bibeln
Hellt der Verf. feft, dafs die erfte gedruckte deutfehe
Bibel mindeftens in ihrem NTlichen Theile mit Fug und
Recht als waldenfifche Bibel bezeichnet werden darf und
dafs auch die folgenden vorlutherifchen Bibeln als mehr
oder weniger eingreifende katholifche Bearbeitungen der
waldenfifchen Bibel zu bezeichnen find. Von diefem
Ergebnifs aus wendet fich der Verf. zu der noch wenig
erörterten Frage, welchen Standpunkt die Hierarchie
und fpeciell der deutfehe Epifkopat dem geradezu er-
ftaunlich maffenhaften Erfcheinen der vorlutherifchen
deutfehen Bibeldrucke gegenüber eingenommen hat.
Ohne diefe Frage auf Grund des vorhandenen Materials
z. Z. noch löfen zu können, hat der Verf. doch eine
Reihe von fchwerwiegenden Gründen und ein directes
Zeugnifs dafür beigebracht, dafs die Haltung des Epi-
fkopats eine entfehieden ablehnende gewefen ift (Erlafs
des Erzbifchofs v. Mainz, Berthold, v. 4. Jan. i486 —;