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Ausgabe:

1885

Spalte:

345-348

Autor/Hrsg.:

Schwartz, W.

Titel/Untertitel:

Indogermanischer Volksglaube. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte der Urzeit 1885

Rezensent:

Bradke, Peter

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack und D. E. Schürer, Profif. zu Giefsen.

Erfcheint Pre's
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 16 Mark.

N°- 15. 25. Juli 1885. 10. Jahrgang.

Schwartz Indogermanifcher Volksglaube | Haupt, Die deutfche Bibelüberfetzung der
(von Bradke). mittelalterl. Waldenfer in dem Codex Teplen-

Vogel, Nach Kanaan (Guthe). I fis (A. Harnack).

Obfer, Wilfrid der Aeltere, Ilifchof von York
(Loofs).

Uhlhorn, Die chriftliche Liebesthätigkeit. 2.Bd.
Das Mittelalter (Weizfäcker).

Gottfchick, Luther als Katechet (Befler).

Ritfehl, Gefchichte des Pietismus. 2. Bd.

I. Abth. (Weizfäcker). von einem Veteranen (Härtung).

Leufchner, Soll § 14 der Kirchen-Gemeinde-
Ordnung geändert werden? (Köhler).

Frantz, Die Wahlberechtigung der Geiftlichen
bei den kirchlichen Gemeindewahlen (Köhler).

Der gefchjchtliche Chriftus und feine Idealität,

Schwartz, l'rof. Gymn.-Dir. Dr. W., Indogermanischer

Volksglaube. Ein Beitrag zur Religionsgefchichte der
Urzeit. Berlin, Seehagen, 1885. (XXIV, 280 S. gr. 8).

M. 8. —

Im Verlaufe der letzten Jahrzehnte hat fich, wenn
ich nicht irre, gerade unter den Vertretern der indoger-
manifchen Philologie eine gewiffe Skepfts gegenüber der
indogerni. Religions- und Mythenforfchung ausgebildet.
Während die indogerni. Linguiftik, als einmal die Grundlage
gewonnen war und die Grenzen feftftanden, mit
wachfendem Erfolge danach ftrebte, nicht nur die allgemeinen
Bedingungen des Sprachlebens zu erkennen, fondern
auch jede einzelne Sprache in den ihr eigenthüm-
lichen Neigungen zu begreifen; den urfprachlichen Befitz
eines Volkes vom fpäter erworbenen oder entlehnten zu

Perfon ohne Weiteres auf folche ihr vielleicht ganz zufällig
anhaftende Sagen oder Anekdoten zu gründen. —
Die indogerm. Religions- und Mythenforfchung wird es
ebenfowenig, wie die indogerm. Sprachkunde und Cultur-
gefchichte umgehen können, fich in die Schranken einer
ftrengeren Methode zu fügen. Wenn wir zu den religiö-
fen Vorftellungen unferer Urzeit gelangen wollen, fo
werden wir bei der Unterfuchung der religiöfen An-
fchauungen, wie fie in den einzelnen Zweigen unferes
Stammes gehegt wurden, zunächft mehr und mehr diejenigen
Vorftellungen ausfeheiden müffen, welche der
Entlehnung verdächtig find. So dürften z. B. lateinifche
Sagen und Mythen nur mit grofser Vorficht für diefen
Zweck ausgebeutet werden; und je jünger die Quellen
find, um fo verdächtiger müffen fie erfcheinen. Wie
viele Anfchauungen und Ideen diefer Art mögen fich

fondern und fo eine fichcre Bafis für die Eruirung des ! aufserdem hie und da felbftändig entwickelt haben;
älteften erreichbaren Zuftandes zu fchaffen; — während j wie viele von nicht indogerm. Völkern entlehnt fein!
die altindogcrm. Culturgefchichte durch die plauzenden Mit gröfserer Sicherheit werden wir nur folche Sagen
Eorfchungen Hehn's auf eine neue Grundlage geftellt und Mythen für die indogerm. Urzeit in Anfpruch nehmen
ward: — ift die indogerm. Mythologie und Religions- dürfen, welche, bei einer gewiffen Eigenartigkeit, unter
crefchichte, foweit ich fehen kann, im Allgemeinen dort mehreren indogerman. Stämmen verbreitet find, ohne daf

flehen geblieben, wo ihre Begründer, Jac. Grimm, Kuhn
und Max Müller fie hingeftellt haben; nicht ganz feiten
dürften felbft methodifche Rückfehritte zu verzeichnen
fein. Die Begründer diefer Wiffenfchaft hatten natur-
gemäfs in erfter Linie Möglichkeit und Nothwendigkeit
derfelben zu erweifen, ihren Umfang und ihre Tragweite
in allgemeinen Zügen feftzuftellen; fie thaten mehr: ihnen
verdanken wir zum nicht geringen Theil das Befte, was
bis jetzt an Detailunterfuchungen auf diefem Gebiete
vorliegt. Unterdeffen hat das Material bedeutend zugenommen
: eine Reihe indogermanifcher Philologien ift
erftarkt und Denkmäler, die vor einigen Jahrzehnten nur

doch eine Entlehnung wahrfcheinlich wäre. Den relativ
ficherften Boden hat, wenn ich nicht irre, die Verglei-
chung der älteften Cultusformen und religiöfen Bräuche
bei den einzelnen indogerm. Völkern — befonders aber
die Vergleichung der Namen und der feftftehenden Epitheta
der Götter. Das Wort, der Name ift der fichere
Damm, der durch das fchwankende Gebiet mythifcher
Vorftellungen führt. Wie weit er uns führen wird, und
welche andere Wege fich uns darbieten werden, wenn
wir uns feinem Ende nähern: das liegt im Schofse der
Zukunft verborgen. Jetzt läfst fich nur foviel fagen, dafs
die bisher gemachten Verfuche zum Vorwärtsfchreiten

"ViVr-B waren find jetzt in Jedermanns auf diefem Wege einzuladen feheinen.
Wenigen Zugang!"* wäre Combinationen ift Herr Dr. W. Schwartz, der fich um die Sagenkundc
Händen. Eine rune U1> ty d icht ear v;eie unter mannigfache Verdienfte erworben hat, fucht in dem Werke,
denn auch auf uns ^Xir«nd in das Dunkel der Sage welches uns hier befchäftigen foll, den Mythos der Inden
Geftalten, welche 11c K Schickfale entgangen dogermanen in feiner Entftehung und Entwickelung zu
zu verlieren feheinen, wer o£n vorftcnen zu müffen. verfolgen und pfychologifch zu erklären; ein Verfuch,
fein, Sonnen- oder Gewiue ^.^^ jn der Rege) find, ! der auch dann, wenn er in befchränkterem Umfange
Wie unficher folche Com in , . t werden: es I unternommen wäre, ebenfo intereffant wie fchwierig erbraucht
heutzutage kaum menr D_"LUIV___„i„w—W. I r^»-- ifchein-

e Ver-
■.......- er die

hiftorifche Geftaltung der religiöfen Vorftellungen in
der Urzeit mitunter aus den Augen verloren zu haben.
Es fei mir geftattet, hier befonders auf einen Punkt hinzuweifen
, der für die Auffaffung und Behandlung der
indogerm. Mythologie und Religionsgefchichte von ent-
fcheidender Bedeutung ift: ich meine die Frage, ob die
Indogermanen in der Urzeit, d. h. etwa zur Zeit der
Trennung der indogerm. Stämme, den Begriff der Gott-

'n letzter Initanz urauen uiyt«.>,

gehörte; wandern doch auch heute Anekdoten und bleiben
hier und dort an folchen Perfönlichkeiten haften,
deren Eigenheit zum Glauben an diefe Anekdoten einladet
. Wenn es uns nun auch mitunter möglich ift, feftzuftellen
, dafs die betreffende Sage oder Anekdote nur
zufällig gerade hier haftet— ihren Urfprung werden wir nur
JO den feltenften Fällen ergründen können: keinesfalls
wir aber berechtigt, unfer Urtheil über die ganze

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