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Ausgabe:

1885 Nr. 14

Spalte:

335-340

Autor/Hrsg.:

Rohmer, Friedr.

Titel/Untertitel:

Rohmer‘s Wissenschaft und Leben. 2. Theil. A. u. d. T.: Wissenschaft und Menschen. Auf Grund mündlicher Ueberlieferung und schriftlicher Aufzeichnungen bearb. von Rud. Seyerlen. 2 Hälften 1885

Rezensent:

Reischle, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 14.

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bedenklich fei; und aus dem philofophi f che n, weil Analogie, fondern einen inneren Zufammenhang zvvifchen
ja Luft- und Unluftgefühl nur der phänomenalen Welt 1 den Gliedern der einen und anderen Reihe,
angehören. Allein auch die factifch vollzogene Unluft- | In jedem der acht Seelenvermögen müffen wir aber
bilanz wird als unrichtig und einfeitig auf allen Gebieten bei genauerem Zufehen eine zweifache Thätigkeit unter-
nachgewiefen. Ref. ftimmt der frifch, klar und fcharf fcheiden, eine folche, welche das durch die Sinne Ver-
gefchriebenen Schrift in allen wefentlichen Punkten, be- , mittelte innerlich verarbeitet, und eine folche, welche
fonders aber darin bei, dafs fie dem Baum die Axt an j das innerlich Verarbeitete zu beftimmten Refultaten
die Wurzel legt und gründlicher, als fonft gefchehen, herausgeftaltet, oder, wie Rohmer es ausdrückt, in jedem
die Meinung bekämpft, als fei die Frage des Optimis- j der pfychifchen Vermögen haben wir eine ,Facultät' und
mus und Peffimismus die erfte in der Welt, während j ein .Talent' aufzuzählen: nämlich im Erkenntnifs-
fie manche andere zu ihrer Löfung vorausfetzt. — Noch ' vermögen das Denken, welches den Gedanken entftehen
fei bemerkt, dafs diefer Streit hüben und drüben, auch | läfst, und das Erkennen, welches ihn herausgeftaltet,
Verf.nicht ausgefchloffen, mancherleiMifshandlung unferer I oder Verftand (1) und Sprachkraft (II); im Erinne-

rungsverm. Gedächtnifs (III) und geiftige Spürkraft
oder Geruch (IV); im Einbildungsverm. Phantafie (V)
und Anfchauungskraft oder geiltiges Auge (VI); im
Auffaffungsverm. Faffungskraft (VII) und geiftige
Vernehmungs- oder Laufchkraft, alfo geiftiges Ohr
(VIII), im Empfindungsverm. Gefühl oder Sentimentalität
(IX) und geftaltende Empfindung oder Bruft (X),
im Lcidenfchaftsverm. Eindruckskraft oder paffive

e

Leidcnfchaftskraft oder Extremität (XII), im Wahrungs-
verm. die Wahrungskraft oder Nobleffe (XIII) und

deutfchen Sprache zur Folge gehabt hat. Ich finde ab
wechfelnd: die fchlechtft möglich fte, die fchlechtmög-
lichfte, die beftmöglichfte, die fehle ch t ftmögl iche,
die beftmög liehe Welt. Nur die beiden letzten Ausdrücke
find richtig.

Leipzig. Härtung.

Rohm er's, FViedr., Wissenschaft und Leben. 2. Theil. A. u.

a t ucoen„^i,o« ,,«m n. „, „ , f r , .. , Sinnlichkeit (XI) und die das Begehren in fich tragend
d. I.: Wissenschaft vom Menschen, Auf Grund mund- r «ijMr„i,„f,.i.l<Aj«. C4,f.«»,:*s(.rvm :„ „^u.0.....

licher Ueberlieferung und fchriftlicher Aufzeichnungen

bearb. von Dr. Rud. Seyerlen. 2 Hälften. [1. Die i Ahnungskraft oder Nabel iXIV), im Willens'verm
16 Grundkräfte. — 2. Die (Individual-) Pfychologie.| j Muth oder active Sinnlichkeit (XV) und Thatkraft

Nördlingen, Beck, 1885. (XIX, 491 u. XVIII, 383 S.
gr. 8.) M. 12. —

Das vorliegende Werk ift der zweite Theil von Fr.
Rohmer's philofophifchem Gefammtfyftem: fchon im
Jahre 1871 ging der ,Wiffenfchaft vom Menfchen' als
erfter Theil voran die ,Wiffenfchaft von Gott' (heraus-

oder moralifchen Gefchlechtsfinn (XVI). Dies find die
XVI pfychifchen Grundkräfte, acht PMcultäten (mit ungeraden
Zahlen) und acht Talente (mit geraden Zahlen
bezeichnet;; bei den letzteren ift es fchon durch den
Namen gefagt, dafs fie je zu einem der acht Sinne und
Sinnesorgane in Beziehung flehen; aber auch für jede
der Facultäten wird eine ihr entfprechende Sphäre des

gegeben von J. C. Bluntfchli); als dritter Theil follen - Leibes ausgefondert. Mit diefen 16 pfychifchen Kräften
die politifchen Schriften und das Leben Fr. Rohmer's ; und ihren entfprechenden Leibesorganen ift das ganze
(t 1856) nachfolgen (I. Vorw. p. XIII). Syftem des Körpers, welches die Zweiheit von Seele

Sofern wir es mit einem ganz eigenartigen philo- und Leib in fich befafst, nach feinen wefentlichen Be-
fophifchen Syftem in unferem Buche zu thun haben, ift 1 ftandtheilen dargelegt.

es fchwer, in Kurzem eine Charakteriftik und Kritik Eigenthümlich genug muthet diefe Pfychologie mit

feines Inhalts zu geben. Statt der in der Pfychologie ihrem fymmetrifchen Schematismus und ihren fremdgewöhnlich
angenommenen Aufzählung von fünf Sinnen artigen Termini uns an; dennoch wollen wir, die natür-
finden wir bei Rohmer acht Sinne; vier von jenen fünfen liehe Apathie gegen das Abfonderliche überwindend, es
haben wir in Rohmer's Pfychologie unter den Namen: , anerkennen, dafs der energifche Verfuch, einen engen
Augenfinn, Ohrenfinn, Nafenfinn, Mundfinn, Zufammenhang zwifchen dem fomatifchen und pfychi-
wobei zu beachten ift, dafs ,der Mundfinn nicht blofs ! fchen Syftem, zwifchen Sinnesfunction und Seelenkraft
als Gefchmacks-, fondern auch als Sprachorgan in Be- aufzufpüren, ein berechtigter ift, und dafs im Einzelnen
tracht kommt' (1, p. 260); denn ,mitteilt der frei gegen manche richtige Beobachtungen von Thatfachen uns
einander beweglichen Organe kann fich der Organis- | geboten werden. Aber ftatt der Unterfuchung, welche
mus felbft fchmecken, und wenn derfelbe kraft der | wir dankbar annehmen könnten, erhalten wir alsbald eine
Beziehungen aller feiner Theile in feiner Gefam mtheit Syftematifirung von kühnen Refultaten, bei welchen die
eine Empfindung von fich felbft hat, fo mufs diefe | Begründung zu der Plerophorie, mit der fie behauptet
Selbftempfindung im Mund die fchärffte und deutlichfte 1 werden, in keinem Verhältnifs fleht. Hiergegen verhalten
fein' (p. 262). Diefen vier Kopffinnen treten in genauer wir uns ablehnend; denn in diefer Syftematifirung zeigt
Parallele zur Seite vier Rumpffinne, in ihrer Gefammtheit fich uns geiftreiche Gewaltfamkeit, fowie andererfeits das
das, was man gewöhnlich ,Gefühl' nennt: diefe find der | Operiren mit zu dehnbaren und unbeftimmten Begriffen.
Haut- oder Bruftfinn (im Wefentlichen = Temperatur- Jene Gewaltfamkeit tritt darin zu Tage, dafs Analogie-
finn), concentrirt in den Brüden, der Muskeifinn (=Taft- I verhältnifse, welche z. B. zwifchen Sinnesfunctionen und
finn im engeren Sinne des Wortes), concentrirt in den l geiftigen Thätigkeiten beftehen, alsbald als Verhältnifse
Extremitäten, der fympathifche oder Bauchfinn, con- | inneren Zufammenhangs geltend gemacht und dafs meta-
centrirt im Nabel, (der unmittelbare Sinn für das ,freund- i phorifche Bezeichnungen, deren fich die Sprache bedient,
liehe oder feindliche Verhalten des Objects zum Sub- als directer Ausdruck eines vorhandenen Wefensbeftandes
ject'), und der Gefchlechtsfinn, durch welchen vor ! angefehen werden. Man kann z. B. recht wohl von
allem eine fpeeififche Art der organifchen Selbft- einer Spürkraft oder Laufchkraft des Geiftes oder von
empfindung vermittelt ift. — Diefen acht Sinnen nun mit einem geiftigen Köllen reden; aber es ift gewaltfam,
den acht Sinnesorganen entfprechen acht Seelenver- aus diefen metaphor. Ausdrücken nun befondere Geiftes-
mögen, den vier Kopffinnen vier Vermögen des Geiftes kräfte zu machen, welche zu den betreffenden Sinnes

(= der Intelligenz), den vier Rumpffinnen vier Vermögen
des Gemüths: wir erhalten in genauer Parallele zu Nafen-
und Mund-, Augen- und Ohren-, Bruft- und Muskel-,
Bauch- und Gefchlechtsfinn nunmehr Erinnerungs- und
Erkenntnifs-.Einbildungs- und Auffaffungs-, Empfindungs

funetionen in einer fpeciellen inneren Beziehung flehen.
Wir haben ja auch andere übertragene Bezeichnungen,
z. B. ,etwas überlegen', ,die Möglichkeiten überfchlagen'.
,etwas mit dem Geift durchdringen', ,etwas ergründen',
bei denen es keinem Menfchen einfällt, eine innere Be-

und Leidenfchafts-, Wahrungs- und Willensvermögen. , ziehung zu einer Sinnesfunction in derfelben indicirt zu
Und zwar bezeichnet diefer Parallelismus nicht blofs eine 1 finden. Es werden mit jenen verfchiedenen Wendungen