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Ausgabe:

1885 Nr. 13

Spalte:

308-309

Autor/Hrsg.:

Baur, Wilh.

Titel/Untertitel:

Das deutsche evangelische Pfarrhaus. Seine Gründung, seine Entfaltung und sein Bestand. 3. verm. Aufl 1885

Rezensent:

Rade, Martin

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307 Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 13. 308

ganzen Organismus verfchiedenartiges Syftem. Vielleicht
kommt das dem juriftifchen Bearbeiter weniger zum Be-
wufstfein als dem Theologen, der gewohnt ift, überall
auf die religiöfen Wurzeln der im Kirchenrecht behandelten
Dinge und Verhältnifse zurückzugehen, aber es
ift fo. Auch ift nicht zu verkennen, dafs bei der ZuLandeskirchen
zu finden ift, würde gerade bei dem prak-
tifchen Zweck des ,Grundriffes' hier fehr wohl am Platze
fein. Ein folgender Abfchnitt redet von den ,Functionen,
der Kirche', worunter hier Gefetzgebung, Verwaltung
und Gerichtsbarkeit verftanden find. Functionen der
Kirche in unferem evangelifchen Sinne find die weiter

fammenfpannung des proteftantifchen Kirchenrechts mit j unten unter anderer Ueberfchrift befprochenen Thätig-
dem katholifchen das erftere regelmäfsig zu kurz kommt, keiten: Bekenntnifs, Predigt, Katechefe, Liturgie, Sacra-
Die reiche feit Jahrhunderten angehäufte Stofffülle, die mentsgebrauch u. f. w. Hier find die eigentlichen Lebensauf
langer Tradition ruhende fcharffinnige formelle Durch- äufserungen der Kirche und zugleich die Functionen
arbeitung, welche dem letzteren eignen, machen, dafs der ihrer fortgehenden Reinigung und Selbfterbauung; fie
Löwenantheil an Raum und an Fleifs der Bearbeiter ihm unter der Rubrik kirchliches Verhalten' unterzubringen,
zufällt. Dies ift kein Vorwurf gegen die Bearbeiter, es weift theologifch betrachtet auf Grundanfchauungen hin,
liegt in der Natur der Sache. Aber das evangelifche : welche nicht evangelifch find. Was unter die Kategorie
Kirchenrecht verdient und bedarf eine Bearbeitung aus [ ,Gefetzgebung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit' fällt, find für

feinem eigenen Princip heraus

Um nur auf Einzelnes hinzuweifen: Von den .Organen
der Kirche' wird in unferem Grundrifs bezüglich
der katholifchen Kirche auf 23 Seiten (S. 38—61), bezüglich
der evangelifchen Kirche auf knapp einer

uns die Competenzbeftimmungen der kirchenregiment-
lichen Organe und die Rechtsverhältnifse des Pfarramts
und gehört dorthin, wo diefe behandelt werden. Die
Sectionen, Unionen u. f. w. (S. 68 f.) fallen für uns nicht
nach der kanoniftifchen Auffaffung, wefche auch hier zu

Seite gehandelt. Dafs auf dem katholifchen Gebiete, i Grunde liegt, an erfter Stelle unter den Gefichtspunkt

wie hier gefchieht, die fpirituellen Vollmachten der
kirchlichen Organe und ihre kirchenregimentlichen
Befugnifse (Jurisdictionsgewalt) unter einen Ab

von Veränderungen der geiftlichen Aemter oder Pfründen
: es find Veränderungen im Beftand der Gemeinden,
welche vorbehältlich der vom Kirchenregiment zu wah-

fchnitt zufammen befprochen werden, ift natürlich, j renden gefammtkirchlichen Ordnung fich felbft zu con-
da beide nur einen und denfelben Träger haben, ftituiren haben; es genügt alfo nicht zu fagen, dafs nach
den Klerus. Aber auf evangelifchem Boden find das | evangelifchen Grundfätzen hier ,die Rechte der Gemeinde
Amt des Kirchenregimentes und der Dienft am gött- | ftärker betont werden', fondern der ganze Vorgang ift
liehen Worte zwei ganz verfchiedene Dinge, für welche | evangelifch betrachtet ein anderer, als katholifch. Von
es verfchiedene Organe giebt; für fie mufs es darum | einer kirchlichen Gerichtsbarkeit (fie ift S. 77—90 ein-
auch felbftändige Abfchnitte: vom Kirchenregiment und I gehend dargeftellt) kann man nach evangelifchen Bc-
vom geiftlichen Amte geben. Der .Grundrifs' befpricht ! griffen nicht reden und müfste alfo diefes Capitel für
(nach dem Original) in § 152—164 die .Organe der ev. j uns aus dem Kirchenrecht verfchwinden. Was auf e anKirche
' in der Reihenfolge: 1. Confiftorien, 2. geiftliches gelifchem Boden von Disciplin (über Geiftliche und über
Amt, 3. Synoden. Der Natur der Sache gemäfs gehören Gemeindeglieder) vorkommen kann und foll, trägt einen
1 und 3 (Confiftorium und Synode) zufammen als Or- 1 wefentlich anderen Charakter als den der Strafgerichts-
gane des Kirchenregiments auf der einen, gegenüber dem '< barkeit. Gelübde und ITtften, welche S. 105 unter
Pfarramt auf der anderen Seite.*) Dabei müfsten die der Rubrik kirchliches Verhalten' befprochen werden,
kirchenregimentlichen und die pfarramtlichen Verrich- haben für uns, fo weit überhaupt davon die Rede ift,
tungen nach der inneren Natur beider Functionsreihen 1 ihre Stelle nicht im Kirchenrecht, fondern in der Seelwohl
unterfchieden werden; z. B. was die Superinten- forge. Dafs S. 108 ff. das gefammte Eherecht aufge-
denten und Generalfuperintendenten bei den Vifitationen j nommen ift, ift katholifch betrachtet richtig, da fich die
thun (S. 67), ift nicht ein Stück Kirchenregiment, fon- katholifche Kirche für berufen erachtet, diefes Rechts-
dern Pfarramt und gehört darum nicht unter die Rubrik gebiet zu beherrfchen, evangelifch betrachtet unzuläffig.
.Verwaltung und Gerichtsbarkeit'.**) Eine Charakteri- I Unfer Kirchenrecht mufs das kirchliche Traurecht und
firung des landesherrlichen Kirchenregiments nach feiner [ das ftaatliche Ehefchliefsungs-, bez. Scheidungsrecht
ftaats- und kirchenrechtlichen Natur innerhalb des heu- ! fcharf aus einander halten.

tigen öffentlichen Rechts, dann eine Befchreibung des j Wünfchenswerth wäre nach anderer Seite hin auch
aus Confiftorial- und Synodalverfaffung gemifchten Ver- eine Auseinanderhaltung der kirchenrechtlichen Normen
faffungstypus, wie er in der Gegenwart in den meiften j und der ftaatsgefetzlichen Vorfchriften in Bezug auf

_ | kirchliche Dinge. Namentlich gilt dies für das katho-

*) Herr Geheimrath Wafferfchieben findet es in einer Befprechung, I "fche Kirchenrecht. Nicht feiten flehen in einer Reihe
welche er in Nr. 8 diefer Lit.-Ztg. meinem 1884 erfchienenen .Kirchen- ! neben kirchenrechtlichen Sätzen ftaatliche Gebote, welche
recht der evang. Kirche des Gr. HetTen' gewidmet hat, ungeeignet, dafs S die Kirche niemals als für fie bindend anerkennen wird,
ich dort die Kirchenvorftande Synoden u f. w. unter der Rubrik vom ß g ls Erfordernifs zur Erbauung einer Kirche

Kirchenregiment behandelt habe. Ich mufs dem gegenüber, wie oben r u ■ j c«. z in T7= ,.,0-*, j

gefchehen, auf der Richtigkeit der gewählten Anordnung und zwar um .Genehmigung der Staatsgewalt. Es wäre gerade

fo mehr beftehen, da Herr Hr. Wafferfchleben einen Grund für feine Aus- wieder für den Belehrungszweck, Welchem der Grundrifs

ftellung nicht angeführt hat. Warum allein die von der landesherrlichen I dienen foll, von Wichtigkeit, klar herauszuftellen, was

Kirchengewalt ausgehenden Thätigkeiten als Kirchenregiment bezeichnet j <jas kirchliche Recht will und was ihm gegenüber, ohne
werden dürften ift in keiner Weife abzufehen. Es fehlt für die presby- principielle Anerkennung Von Seiten der Kirche, der
tenal-fynodalen Organe ein Platz in dem kirchenrechthchen Schematismus; g""~»t''— 0 . 1

aber der Platz für fie kann kein anderer fein als der oben bezeichnete, btaat für lieh in Anlprudl nimmt.

da ihre Thätigkeiten vollftändig den kirchenregimentlichen Charakter, Darmftadt. K. Köhler.

d. h. den des rechtlichen Ordnens und Leitens der kirchlichen Dinge, ,__--------

tragen. Sie etwa als eine dem Kirchenregiment entgegengefetzte Aufficht Rallr f-en -Suoerint Dr Willi Das rlpiltsrhp PVannPÜcrhp
und Controle zu faffen, würde der Natur der Sache fo ftark als möglich BaUP' kicn.-öuperint. ui. vvnn. uas OeUISCne evangeilSCne

widerfprechen. Pfarrhaus. Seine Gründung, feine Entfaltung und fein

**) Auch hier mufs ich bekennen, dafs mich eine Bemerkung meines Beftand. 3- verm. Aufl. Bremen, Müller, 1884. (XII,

verehrten Recenfenten keineswegs überzeugt hat. Es ift mit gutem Be- c g Mk 5- CO

dacht gefchehen, dafs ich die Superintendenten (entfprechend den pnuf- •> ' '

lifchen Generalfuperintendenten) wie oben gefordert nicht unter den Or- Bald nachdem das verwandte Buch von Meufs in

ganen des Kirchenregiments, fondern in dem Abfchnitt vom Pfarramt vollftändig umgearbeiteter, zweiter Auflage erfchienen

behandelt habe. Ihre runction ift, wie aus der bezüglichen Inftruction ;n. i,ar aucl, ]jas ^„fO-hl Pvano-f>lifrr.f. Pfarrha.ie' ™n

zu erfehen, gleich der der Generalfuperintendenten nicht eine Aeufserung ; nat ? Cn ' A a5utlcne evangel lctie Pfarrhaus Von

kirchenregimentlicher Befugnifse, d. h. die Ausübung einer Rechtsgewalt, ! Baur eln£,.n^Ufe Auflage erlebt. Wahrend Meufs unter

fondem geiftlich-feelforgerliches Handeln wie die des Pfarramts. I anderem Titel faft ein anderes Buch hat ausgehen laffen