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Ausgabe:

1885 Nr. 13

Spalte:

299-304

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Otto

Titel/Untertitel:

Cyprian von Karthago und die Verfassung der Kirche. Eine kirchengeschichtliche und kirchenrechtliche Untersuchung 1885

Rezensent:

Zoepffel, Richard

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299

Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 13.

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des Stephanus felbftverftändlich abgefehen, wiederum ein
fehr altes Gepräge? Auch hier wählt, um nur auf Eines
aufmerkfam zu machen, wieder die Gemeinde ihre Vertrauensmänner
, nirgends tritt die Auctorität der Apoftel
hervor, welche der Verfaffer, wo er felbft fpricht, durchweg
betont, ein charakteriftifches Kennzeichen feines
Epigonenthums. Wie der Verfaffer der Apoftelgefchichte
gearbeitet hat, das hat Zimmer (Ztfchr. für wiff. Theol.
1882, Pag. 465 ff., vgl. bef. 471 ff.) an einem Beifpiel, dem
Bericht von der Bekehrung Pauli in Cap. 9, in lichtvoller
Weife gezeigt. Daher flammt aber auch die Verwirrung,
die von Cap. 7, 58 — 8, 3 augenfcheinlich herrfcht. Sau-
lus war an der Chriftenverfolgung betheiligt; für den Verfaffer
ftand er ganz unwillkürlich in der erften Linie der
Verfolger. So bringt er ihn mit dem Tode des Stephanus
in nähere Verbindung und erwähnt gleich darauf
feine hervorragende Betheiligung an der Verfolgung in
hyperbolifchen Worten. Nun aber fprengt 7, 58a augenfcheinlich
den Zufammenhang und zwingt zur Wiederholung
des fchon in 58a Gefagten in 59. 8, ia fleht in
gar keinem Zufammenhange mit ib, ib aber widerfpricht
feinem Inhalt nach Vers 3, nach welchem Verfe man ur-
theilen mufs, als habe Saulus ganz allein die Verantwortung
der Verfolgung zu tragen. 8, 2 aber ift an falfcher
Stelle eingefchoben und gehört vielmehr vor 8, 1. Zwifchen
diefen Notizen über Saulus fteht nun aber 8, 1 einfam
mitten inne, aus ganz anderer Quelle entnommen, die
wir oben fchon mit II, 19fr. in Verbindung fetzten.

Es follte hier nur Einiges hervorgehoben werden,
um zu zeigen, dafs man mit dem Kanon der Benutzung
paulinifcher Briefe gar nicht weiter kommt. Die wirklich
glaubwürdigen Angaben der Acta find im Gegen-
theil auf ganz andere Quellen zurückzuführen, zu deren
Eruirung die ,Wahrfcheinlichkeit der gefchichtlich treuen
Ueberlieferung' (Zeller Pag. 500) den Mafsftab abzugeben
hat. Und wer wollte bei Stücken wie 6, 1 ff. 8, 1. 8, 4 fr.
hier freilich flarke Ueberarbeitung durch den Verfaffer
der acta zugegeben) 11, 19fr. an diefer Wahrfcheinlich-
keit zweifeln? Ift es doch gar nicht unmöglich, dafs alle
diefe Stücke einft einem gefchloffenen Ganzen angehörten
. Befonders aber die Gründung der Gemeinde zu
Antiochien ift ein höchft wcrthvolles Ueberbleibfel ältefter
Ueberlieferung. Was aber die paulinifchen Briefe betrifft,
fo wird es wohl bei der Beftimmung Overbeck's bleiben,
dafs ,fie, foviel noch erkennbar ift, zu den Quellen der
acta nicht gehören' (p. LEX). Ob es aber andererfeits
jemals gelingen wird, die disjecta membra der den Cap.
6 ff. der acta — von den erften 5 Capiteln kann man
als nicht zuverläffigen füglich abfehen — jedenfalls zu
Grunde liegenden Quellen wieder in einander zu fügen,
das wird fich beim jetzigen Stand der Unterfuchungen
fchwerlich entfeheiden laffen.

Giefsen. G. Krüger.

Ritsehl, Privatdoc. Lic. Otto, Cyprian von Karthago und
die Verfassung der Kirche. Eine kirchengcfchichtliche
und kirchenrechtliche Unterfuchung. Göttingen, Van-
denhoeck & Ruprecht's Verl., 1885. (VII, 250 S.
gr. 8.) M. 5. 60.

In vorliegende Schrift wird fich der F*orfcher mit
zunehmendem Intereffe und fteigender Befriedigung vertiefen
. Die Refultate derfelben werden das Unternehmen
des Verfaffers rechtfertigen, trotz der verfchiedenen,
Cyprian behandelnden Monographien denfelben nochmals
zum Gegenftand der Unterfuchung zu machen. R.
hat fich fein Thema eng und präcis begrenzt und ge-
niefst all' die Vortheile, die mit einer knappen und
klaren Stellung der Frage verbunden find. Er will den
Einflufs Cyprian's auf die Ausgeftaltung der kirchlichen
Verfaffung zur Darfteilung bringen und zwar unter aus-
fchliefslicher Benutzung der Cyprian'fchen Brieffamm-

lung. In der Vorrede bekennt er, auf den kirchenrechtlichen
Werth diefer Brieffammlung durch Profeffor Dr.
Harnack hingewiefen zu fein, dem er feinen aufrichtig-
ften Dank für den wiederholt ertheilten Rath darbringt
.

Um nun Cyprian's Einwirkung auf das Kirchenrecht
feiner Zeit richtig zu werthen, mufiste R. auf die Anfchau-
ungen Cyprian's von der Kirche zurückgehen. Die ihm
bei Unterfuchung derfelben zu Theil gewordene, kir-
chen- und dogmenhiftorifch überaus werthvollc Einficht
, dafs Cypr. in fein bifchöfliches Amt nicht etwa
einen fertigen Kirchenbegriff mitgebracht, dafs fich diefer
vielmehr erft im Verlaufe feiner bifchöflichen Thätigkeit
! entwickelt hat und zur Vollendung gediehen ift, nöthigte
i ihn dann, auf die kirchengefchichtlichen Verhältnifse und
Streitigkeiten näher einzugehen, welche die Richtung fo-
wie überhaupt die allmähliche Heranbildung des Cyprian'-
[ fchen Kirchenbegriffes mit beftimmten. So zerfällt denn
die Schrift R.'s in zwei Theile, einen kirchen- refp.
dogmengefchichtlichen (S. 6—142) und einen kirchen-
| rechtlichen (S. 142—238).

Man mufs eingeftehen, der Verfaffer hat die 81 Briefe
I des Cyprian'fchen codex epistolaris mit dem Auge des
i fcharfen Beobachters und befonnenen Forfchers gelefcn,
jeder Satz diefer Brieffammlung ift philologifch und
exegetifch unterfucht und am gegebenen Orte für die
Beantwortung der geftellten Frage verwerthet worden.
Ueberall bemüht fich R., parteilos die hiftorifche Wahrheit
zu ermitteln; er ift weit entfernt davon, fich zum
i unbedingten Lobredner der kirchenregimentlichen Thätigkeit
Cypr.'s zu machen, fucht vielmehr von dem Bc-
j nehmen der Gegner desfelben das Gehäffige abzuftreifen,
welches nach Cypr.'s Darfteilung an ihm haftet. In dem
1. Capitel (S. 6—35) ift es unferem Verfaffer geglückt, in
j die dunklen Anfänge des Streites über die Wiederaufnahme
der Gefallenen in Carthago das erwünfehte Licht
1 zu bringen; fiegreich hat er die oft angefochtene An-
! nähme Rettberg's vertheidigt, dafs Cypr. im Anfange
feiner Wirkfamkeit noch der ftrengen Auffaffung feines
Lehrers Tertullian gehuldigt hat, nach der die Gefallenen
für immer aus der Kirchengemeinfchaft ausgefchloffen
bleiben follten (S. 17). Wenn ferner R., um den Weg
: aufzuzeigen, auf dem Cypr. von feinen früheren rigorofen
Grundfätzen zu nicht unerheblichen Zugeftändnifsen an
die Gegenpartei geführt wurde, darauf hinweift, dafs deffen
hohe Schätzung befonderer göttlicher Offenbarungen
und Vifionen ihn innerlich genöthigt haben mag, die (ich
eines fehr nahen Verhältnifses zu Gott rühmenden Märtyrer
, welche jetzt für eine mildere Behandlung der tapst
eintraten^als hervorragende Organe des göttlichen Willens
anzuerkennen, fo wird diefe Hypothe wohl auf all-
feitigen Beifall rechnen können.

Um unter den werthvollen Unterfuchungen, die diefes
I I. Capitel enthält, nur noch eines herauszugreifen, fei auf
j die Befprechung der Frage hingewiefen, woraus es fich
! denn eigentlich erklärt, dafs Cypr. in dem 1. Stadium
des Gefallenen-Streites die eine Gruppe feiner Gegner,
! die Confefforen, fo milde behandelt, während er den
anderen Theil derfelben, die Presbyter, feine ganze
! Strenge fühlen läfst? Während Rettberg und Fechtrup
diefes eigenthümliche Verhalten des Bifchofs aus dem
j Wunfche desfelben ableiten, die Confefforen durch die
1 ihnen erwiefenen Güte von den Presbytern zu trennen,
fo belehrt uns R. (S. 26), dafs Cypr. fich den Confefforen
nur deshalb fo gnädig erwies, weil fie fich an ihn um
Beftätigung der von ihnen den Gefallenen ertheilten
[ Friedensbriefe gewandt, dafs die Presbyter aber felbft
j den Zorn ihres Bifchofs heraufbefchworen hatten, indem
fie mit den Gefallenen, ohne die Entfcheidung Cypr.'s
I abzuwarten, communicirten.

Wenn nun R. diefes Auftreten einiger Cleriker ihrem
Bifchof gegenüber nicht aus einer grundfätzlichen Feind-
fchaft derfelben, fondern aus einer durch die damalige