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Ausgabe: | 1885 Nr. 12 |
Spalte: | 292-293 |
Autor/Hrsg.: | Andreae, H. V. |
Titel/Untertitel: | Die Psalmen, aus dem Grundtexte übersetzt und durch eine fortlaufende Besprechung erläutert 1885 |
Rezensent: | Achelis, Ernst Christian |
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291 Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr, 12 292
lieben wir nicht; fie finden lieh übrigens in obigen Sammlungen
nur ganz feiten.
Die jedem Hefte beigegebenen Einleitungen des
Herausgebers find kurz, geben aber recht verftändige,
werthvolle Winke. S. VIII der Einl. zu den Erntefeft-
predigten (vgl. Einl. S. VII zu den Kirchweihpredigten)
wird in Uebereinftimmung mit unferer obigen Bemerkung
lebensvolle Anfchaulichkeit, überhaupt edle ungefuchte
Popularität gefordert. Auch bezieht fich unfer Bedenken
wirklich zumeift auf die Reformationsfefipredigten, bei
welchen die Schwierigkeit zugleich fachlich-tiefeingehender
und volksthümlich-deutlicher Haltung anerkannt werden
mufs.
In den Erntet eftpredigten fcheint befonders die
Beziehung auf tiefere religiöfe Wahrheiten wohlgelungen.
Am bebten gefielen uns diejenigen, welche am meiften
auf die Ernte eingehen. Die Angabe des Jahres bei der
Ueberfchrift hätte das Verftändnifs erleichtert. Wir hätten
mehr Eingehen auf die dermalige Schwierigkeit für Viele,
das tägliche Brod zu finden, und auf die eigentümlichen
Bedrängnifse der Landwirthe gutgeheifsen. Erftere gilt
ja auch für die Städter. Die Aeufserung in der übrigens
vortrefflichen Predigt S. 47:.....er giebt Regen und
fruchtbare Zeiten, wohlgemerkt, meine Lieben, nicht, um
unfere Scheuern zu füllen oder unfern Geldbeutel, fondern
um unfere Herzen zu erfüllen mit Speife und Freude' —
enthält gewifs eine fchöne, nicht aber die ganze Wahrheit
, zumal in einer Zeit, in welcher es den Landwirthen
gar fchwer fällt, ihre Steuern und fonftigen Ausgaben zu
bezahlen, fo dafs man vor dem Füllen ihrer Scheuern
und Geldbeutel kein Bangen zu empfinden hat. Nebenbei
bemerken wir, dafs der als f Pfarrer von Grüningen
bezeichnete, als wohlbegabter Prediger bekannte Deichert,
Verf. von I, X, fich noch zu unferer Freude als Pfarrer
von Alt-Bufeck unter den Lebenden befindet.
Unter den Kirchweihpredigten mufs man die
leichteren Jubiläumspredigten fowie die erbte Predigt, als
bei einer wirklichen Einweihung gehalten, von den recht
fchwierigen eigentlichen Kirchmefspredigten unterfcheiden.
Bei den mannigfaltigen Gebräuchen und Stellungen der
Gemeinden hinfichtlich der Kirchweihe mufs man mit dem
Urtheile über das homiletifche Verfahren, befonders darüber
, inwieweit die weltlichen Luftbarkeiten befprochen
werden follen, zurückhalten. In den vorliegenden Predigten
gefchah es im Ganzen wenig, wahrfcheinlich, weil in
den betreffenden Gemeinden kirchliche und weltliche Feier
die näheren Beziehungen zu einander verloren haben. So
ftand es inder urfprünglichen Heimath desBerichterftatters,
in welcher die ,Kirmeffen* nur am Freitage und Samftage
abgehalten wurden. Jedenfalls Bimmen wir dem Herausgeber
(Einl. VI) ganz bei, dafs man eine volksthümliche
und doch würdige geiftliche Feier des Kirchweihfebtes
anftreben foll. Die Art, wie Paftor Schenkel S. 53 bündig
und deutlich das wüfte Wefen des Tanzbodens geifselt,
aber auch S. 55 die harte Arbeit und das Recht der
Freude anerkennt, hat unferen vollen Beifall. Die Bedeutung
des Gottesdienfles, fowie des Einzelnen im und
am Gotteshaufe wird in vielen Predigten gut hervorgehoben
. Auch hiftorifche Erinnerungen werden zum öfteren
in echt erbaulicher Weife eingeflochten.
Die Reformatio nsfe ftp redigten zeigen am deut-
lichften, dafs die Verfaffer ftft auf dem lutherifchen Be-
kenntnifse ftehen. Mit Recht wird in die Tiefe der ev.
Grundlehren eingegangen. Der Gegenfatz gegen die
katholifche Kirche wird mit angemeffener Entfchiedenheit,
aber unferes Erachtens nirgends mit Ungerechtigkeit oder
im Uebermafse geltend gemacht. Die Polemik gegen
die ungläubigen Proteftanten ift noch fchärfer. Vielleicht
hätte manchmal genauer zwifchen Ungläubigen und Liberalen
unterfchieden werden follen. Wahrfcheinlich hat
der hier angedeutete Gegenfatz veranlafst, dafs die freilich
oft mifsbrauchten freien Elemente im Wefen der ev.
Kirche nicht überall neben den auch uns wichtigeren pofi-
tiven mit derfelben Deutlichkeit hervorgehoben wurden,
wie S. 69 in der vortrefflichen Predigt von Confiftorial-
rath Meier. Auch verliehen nicht alle, bittere Wahrheiten
fo mild und herzlich auszufprechen, wie der feiige Kapff
in der 5. Predigt.
Derartige Verfchiedenheiten ändern natürlich unfer
Gefammturtheil nicht, dafs in obigen Sammlungen gediegene
, gehalt- und lehrreiche und befonders auch für
Theologen recht empfehlenswerthe Predigten vorliegen.
Friedberg. Diegel.
Andreae, Tic. Dr. H. V., Die Psalmen, aus dem Grundtexte
überfetzt und durch eine fortlaufende Befpre-
chung erläutert. Frankfurt a./M., Schriften-Niederlage
des Evangel. Vereins, 1885. (VIII, 580 S. gr. 8.) In
Leinw. cart. M. 4. 20.
Schriftfrohen nicht theologifch gebildeten Lefern
bietet der Herr Verf. in diefem Buch eine Bearbeitung
der Pfalmen dar. Die Abficht, die Gemeinde in die
Schönheit und den Reichthum des Pfalters, diefes unvergleichlichen
Gefangbuchs und Gebetbuchs Ifraels. einzuführen
, und* die Pfalmen für häusliche und private Erbauung
fruchtbar zu machen, ift unbedingt auf das
freudigfte zu begrüfsen. Durch eine vieljährige und eingehende
Befchäftigung mit den Pfalmen hat der Herr
Verf. fich auf die Erfüllung feiner Aufgabe vorbereitet,
und Referent zweifelt nicht, dafs wiffenfehaftliche und
fchriftftellerifche Ausrüftung zu dem Werke bei dem
Herrn Verf. vorhanden fei.
Das Buch ift fo angelegt, dafs der Text der Pfalmen
durch eine erläuternde Paraphrafe und erklärende Zwi-
fchenbemerkungen unterbrochen wird; vielleicht ift es
nur Gefchmacksfache, die den Referenten allen paraphra-
ftifchen Schriftauslegungen ablehnend gegenüberftehen
lafst. Bei den Pfalmen hat fie den hier doppelt fchwer
wiegenden Nachtheil, dafs uns der Eindruck des poe-
tifchen Ganzen des Pfalms abgefchwächt wird, wenn
nicht ganz verloren geht. Der Text ift zwar mit fettem
Druck ausgezeichnet, und Verf. meint, man könne dadurch
auch den Text für fich allein lefen. Allein durch
Zufammenfuchen umhergewürfelter' fetter Zeilen und
Wörter wird kein einheitlicher Eindruck erzeugt, abge-
fehen davon, dafs mitunter auch Erläuterungen (z. B.
S. 168) denfelben fetten Druck zeigen. Und doch legt
der Herr Verf. darauf ein Gewicht, dafs er die poe-
tifche Schönheit überall habe hervortreten laffen; es
ift ihm alfo um diefen Eindruck zu thun.
Welches find die Mittel, wodurch der Herr Verf.
die ,poetifche Schönheit' zum Genufs bringt? Nur ein
Mittel wird genannt: möglichfte Treue und Genauigkeit
der Ueberfetzung, und andere Mittel find auch nicht er-
fichtlich. Allein faft möchten wir dies als das geeignetfte
Mittel bezeichnen, die poetifche Schönheit fremdfprach-
licher Dichtungen zu verhüllen: die Kunft des Ueber-
fetzens ift höherer Art, und nur ein Blick in die klaf-
fifchen Aeufserungen Luther's über die Stellung feiner
Aufgabe und die Art, fie zu erfüllen, wird genügen, unfer
Urtheil zu rechtfertigen. Freilich war Luther's
I Arbeit für das Chriftenvolk im beften und weiteften
Sinne des Wortes berechnet; der Herr Verf. hat nur
höher gebildete Kreife als Lefer im Auge, und es liegt
ihm am Herzen, die Schönheit der hebräifchen Pocfie
als folcher darzuftellen. Traut er doch feinen Lefern
zu, durch feine Abweichungen von der üblichen Auslegung
eine Anregung zu empfangen, die bisher üblichen
exegetifchen Anfchauungen einer wiederholten
gewiffenhaften Prüfung zu unterziehen; er nennt diefe
Anfchauungen nicht, um feiner Arbeit keinen polemifchen
Anftrich zu geben, der Lefer werde fie alfo fämmtlich
gegenwärtig haben. Gleichwohl wird abfichtlich nichts
über den hebräifchen Versbau und Strophenbau bemerkt,