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Ausgabe:

1885 Nr. 12

Spalte:

281-284

Autor/Hrsg.:

Haussleiter, Johannes

Titel/Untertitel:

De versionibus Pastoris Hermae latinis 1885

Rezensent:

Lipsius, Richard Adelbert

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 12.

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foviel Auffchlüffe gewährt, refp. längft gewonnene kritifche - fodann in einem vieles Brauchbare bietenden kritifchen
Einfichten als Urkunde beftätigt. Und doch — haben ! Excurfe, dafs der textus vulgatus häufig aus dem pala-
wir hier das Fragment eines Evangeliums vor uns, dann i tinifchen Texte verbeffert werden könne. Sodann wendet
hat Bickell nicht zuviel behauptet, dann treten alle Er- ' er fich dem Sprachcharakter des Palatinus zu, und fucht
wägungen in Kraft, welche er in Bezug auf den Gewinn 1 zuerft den afrikanifchen Urfprung diefer Ueberfetzung
angeftellt hat, den das Fragment für die Evangelienkritik zu erweifen, fodann aber durch eine fehr eingehende
abwirft. Wir werden dann aber weiter nicht anflehen j und forgfältige Vergleichung des Textes der vier erften
dürfen, in dem Wiener Papyrus von Fajjum7) die erfte '< Vifionen mit dem des übrigen Buches (der fog. fünften

handfchriftliche Beftätigung dafür zu erkennen, dafs unfer
Mt. und Mr. keine Originalwerke gewefen find — auch
unfer Marcus nicht: das beftätigt zu finden, ift von aufser-
ordentlicher Wichtigkeit.

Doch wie viele Ausblicke gewährt diefer koftbare

Vifion, der Mandate und Gleichnifse) den Beweis zu erbringen
, dafs Vis. 1—4 fpäter als das Uebrige überfetzt
worden fei. Ein Schlufscapitel über den Urfprung der
beiden Verfionen kommt zu folgenden Ergebnifsen: der
griechifche Text der Mandate und Gleichnifse ift zuerft

Streifen, den ein graufames Gefchick allein übrig gelaffen (c. 150) und fehr bald nachher die afrikanifche (palati
hat und deffen Wiederherftellung eine glückliche Fugung i nifche) Ueberfetzung diefes Theiles, darnach der grie
geftattet! Dem fcharffinnigen Gelehrten, der diefen un- i chifche Text von Vis. 1—4, dann die lateinifche Ueber
gefchliffenen Diamanten entdeckt und fo trefflich gefchlif- j fetzung des ganzen Werkes (der latinits vulgatus), zuletzt

fen hat, gebührt der wärmfte Dank. Mit Spannung fehen
wir der Veröffentlichung eines Facfimile des Fragments

(c. 230) die afrikanifche (palatinifche) Ueberfetzung von
Vis. 1—4 verfafst.

in dem bald erfcheinenden Corpus Papyrorum Raineri Eine umfaffende Prüfung diefer Ergebnifse würde

Archiducis entgegen. Unterdeffen mögen fich die Kritiker
rüften: tendenziöfe Skepfis im Sinne einer indocta igno-
rantia und zu Gunften der kirchlichen Evangelientradition
ift hier fehr billig, und vages Gerede, es fei alles zu un

vor Allem die Nachholung des vom Verf. Verfäumten
erfordern. Da das Verhältnifs beider Ueberfetzungen in
den verfchiedenen Theilen des Hirten ein fehr verfchie-
denes ift, fo kann es unmöglich genügen, ein einzelnes

ficher, um Schlüffe zu ziehen, noch billiger. Wohl aber 1 Gleichnifs herauszuheben und fich im Uebrigen auf ge
vermag vielleicht mancher kundige Fachgenoffe etwas I legentliche Beobachtungen zu befchränken. Nach dem
nachzuweifen, was uns aus der wunderlichen Lage befreit, ; Verf. ift der lat. vulg. aus dem Bedürfnifse einer wort-
von einem anonymen, verftümmelten Fetzen die wich: j getreueren Wiedergabe des Griechifchen entftanden, als der
tigften Belehrungen empfangen zu müffen. Kai uoi, w Palatinus bot, daher er jenen mit der italifchen, diefen
avöyeg l-Phyaiot, /.t i] tlogvßrjat/ce, firps ccv dögco n vfüv : mit der afrikanifchen Ueberfetzung der heil. Schrift, deren
rtagadoi-ov iJytir,damit will ich,ficherlich imSinnedesEnt- ! Auguftinus gedenke, in Parallele ftellt. Auf die Frage, wie
deckers, den Bericht und meine Prüfung desfelben fchliefsen. ' es mit der .italifchen' und der .afrikanifchen' Bibel-
r. „ A iia,„a,i, überfetzung flehe, kann Ref. fich hier nicht einlaffen.

Wohl aber conftatirt er die Thatfache, dafs, wie fchon

. ., _ . . .. .. . Tifchendorf bemerkt hat, häufig auch Pal. dem griechi-

Haussleiter, Joa., De versionibus Pastoris Hermae latinis. fchen Originaltexte näher tritt als Vulg. Was aber fpe-
Erlangen, Deichert, 1884. (86 S. gr. 8.) ! ciell das Verhältnifs der Texte in Situ. 5 betrifft, fo hat

Seit Ref. vor nunmehr 29 Jahren das Verhältnifs der > fchon Hilgenfeld (in feiner Zeitfchr. 1884 S. 509 ff.) ein-
beiden lateinifchen Hermastexte zuerft dahin beftimmt gehend gezeigt, dafs vielmehr Pal. von Vulg. abhängig
hat, dafs uns in dem palatinifchen Texte nicht fowohl ; £ei> dle Abweichungen beider Texte aber fich aus dem
eine eigenthümliche Recenfion des latinus vulgatus, als , Streben des palatinifchen Ueberfetzers erklaren, die alter-
vielmehr eine zweite, direct aus dem Griechifchen ge- ' thumliche und unbeholfene Sprache des Vulg. ftiliftifch
floffene, wenn auch theilweife mit dem textus vulgatus zu. beffern Man braucht in der Ihat nur beide Texte
.vermifchte' Ueberfetzung vorliege Literar. Centralblatt mit df ™ y?he" . u"d unter einander zu vergleichen,
1856, Nr. 47), ift das Verhältnifs diefer beiden Ueber- um. alsbald die Einficht zu gewinnen, dafs Pal. den
fetzungen zu einander nur beiläufig, insbefondere in den freieren, aber glatteren und fliefsenderen Text bietet, trotz
Prolegomenen der neuen Ausgaben von Gebhardt und gelegentlichem engeren Anfchluffe an das Griechifche
Harnack und von Hilgenfeld (zuletzt in Hilgenfeld's einzelnen Worten und Wendungen. Ref. hat, um eine
zweiter Ausgabe von 1881) erörtert worden. Das Urtheil | ]^„^ noch einige andere Abfchnitte

hatte fich dahin feftgeftellt, dafs der vulgatus latinus die
ältere, der textus Palatinus die jüngere Ueberfetzung fei,
welche letztere zwar auf Grund des griechifchen Originales
, aber unter Mitbenutzung des vulgatus entftanden

herausgegriffen. Man vergleiche die beiden Texte in Vis.
5, einem auch für die Frage der Integrität des Hirten
wichtigen Stücke. Die Abweichungen beider Texte er-
ftrecken fich hier fall lediglich auf ftiliftifche Dinge, Wortfei
Dafs das Verhältnifs der beiden lateinifchen Texte ; ^U,ung' ,S^zung der Partikeln, Gebrauch yerfchiedener
zu einander nicht in allen Theilen das gleiche fei, hatte 1Viodl und 1 empora u. f. w. Statt des textgemäfsen ,tu
fchon Ref a. a. O. und zuletzt wieder Hilgenfeld her- elß"" ams eSr und ,ego enim novi' fchreibt Pal. aus ftili-
vorgehoben Doch fehlte es noch immer an einer in's tilchen Gründen ,tu autem quis es' und ,ego autem novi',
Einzelne eingehenden, alle Abfchnitte des Hirten gleich- i lalst bald ein ,ef weg, bald fetzt er ein ,ef zu, fchreibt
mäfsig umfaffenden Unterfuchung. Eine folche hatte iauod tur micp, qllorum' für eis' ,sin vero' für ,sin
Ref. von der vorliegenden Arbeit gehofft; er mufs aber I autem, ,1ns' für ,eis', ,sicuf für ,ita ut', ,putavi' für putabam',
leider geliehen, fich in feiner Erwartung getäufcht zu pespondissevr für ,respondi', ,recipieritis' für ,recipietis',
haben. Der Verf hat allerdings fehr eindringende und Vpecies et simihtudines' für ,species sinulitudinunt', ,et
vielfach lehrreiche Unterfuchungen über den Sprach- dtx}f. mM fur ,ait mihi'. Wichtiger ift, dafs er für ,amictus
Charakter der palatinifchen Ueberfetzung angeftellt; aber , Pallium album' das richtige ,amidus pelle alba' [neqixel-
weder ift die Unterfuchung vollftändig geführt, noch kann ; f'f°S, otqpa levxov) herftellt, ,inscienter' für ,insipienter'
Ref. diefelbe für methodifch richtig angelegt erkennen. ¥f°°™S) fchreibt und den ftiliftifch Hörend en und ent-
Der Verf. begnügt fich, das Verhältnifs beider Ueber- behrlich fcheinenden Satz ,ideo autem praeäpio tibi pri-
fetzungen an dem Texte des fünften Gleichnifses zu : lm"n »landata mea et similitudincs scribere' ftreicht. Hier
prüfen, glaubt als Ergebnifs diefer Prüfung die Priorität ! l(J doch nur die Annahme möglich, dafs Vulg. durch
des palatinifchen Textes feftftellen zu können und zeigt i 1 al- unr-er Mitbenutzung des Griechifchen ftiliftifch über-

I arbeitet ift. Aehnlich ift das Verhältnifs z. B. Aland. XI, 1

7) Ift dieDatirung saec. U. nur in dem Sinne ftcher, dafs der Papy- ! >ind IX, I. Befonders letztere Stelle ift inftructiv.

rus nicht junger ift, kann er nicht dem 2. Jahrhundert angehören? I Pal. entfernt fich hier weiter Von Vulg., verfährt aber