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Ausgabe:

1885 Nr. 1

Spalte:

9-11

Titel/Untertitel:

Novalis, Eine Nachlese aus den Quellen des Familienarchivs 1885

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 1.

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den Ringen nach Vollkommenheit eins nicht findet, das ] treff der Sophie von Kuhn, welche nach dem Kirchenbuch
von Grüningen 1782, nicht 1783, wie Novalis gelegentlich
angiebt, geboren in, tritt mehrfaches hervor,
was Schleiermacher's Urtheil gerechtfertigt erfcheinen
läfst: ,Das Unplaftifchc in der Zeichnung der Mathilde
(im ,Ofterdingen') kommt wohl mit daher, dafs das
Original felbft nicht anders war, das Dürftige an Geift,
was der Heldin anhaftet, lag möglicherweifc am Urbild.'
Faft gänzlich umgearbeitet ift der Abfchnitt über Leben
und Arbeiten nach Sophiens Tode (S. 137 ff.). Schon
hier und mehr noch fpäter zeigt fich als das Wefentliche,
das hinzukommt, die rückhaltlofe Benutzung des Brief-
wechfels mit den Schlegels, welche Prof. Veit, der Sohn
der Dorothea Veit, fpäteren Gattin von Friedrich Schlegel,
fchon für die erfte Auflage zu des Verf's. diskretioncller Benutzung
überlaffen hatte. Der Umftand, dafs feitdem diefer
ganze Briefwechfel durch Dr. Raich (Mainz bei FYanz
Kirchheim 1880) herausgegeben worden ift, macht die
bisherige, auch wohl zu zartfühlend gehandhabte Rück-

verfcherzte Gut der Reformation, die Freudigkeit im Be-
fitz der Rechtfertigung. Aber da belehrt uns der Verf.
durch Hinweifung auf das hiftorifche Bild von Luther,
wie es ,quellenmäfsig' bei Evers, Janffen, Wohlgemuth
zu finden fei, dafs Luther der Welt weder Licht noch
Rettung gebracht habe, am wenigften fich felber (S. 176
Anm.).

Kiel. W. Möller.

Friedrich von Hardenberg (genannt Novalis). Eine Nachlefe
aus den Quellen des F"amilienarchivs, hrsg. von einem
Mitglied der Familie. 2. Aufl. Mit (Lichtdr.-)Porträt.
Gotha, F. A. Perthes, 1883. (VI, 278 S. gr. 8.) M. 5.40.

In der von Tieck,. bez. von Eduard von Bülow be-
forgten Ausgabe der Schriften Hardenberg's befindet fich
ein doppelter Lebensabrifs des Dichters, der eine von

Tieck felbft, der andere von dem väterlichen Freund j ncht übe'rflüffig. Uebrigens find auch (die neu mitgetheil
des Dichters, dem Kreisamtmannjuft in Tennftedt, nicht in ten Briefe und einzelnen Stellen mehr für die Charak-
Arnftadt, wie Tieck berichtet, beide in Liebe und Ver- | teriftik der Schlegel, als unfercs Dichters bedeutfam. Nach
ehrung gezeichnet. Aber während der erfte den Roman- [ einem Brief vom Jahre 1793 fcheint F. Schlegel damals
tiker fchildert, dem ,das übernatürliche etwas gewöhn- ; Selbftmordgedanken im Geilte Werther's gehabt zu haben.

liches gewefen, den das alltägliche Leben felbft wie ein 1 Auch der Schreiber zeichnet fich, vermuthlich in An

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gaben feines Berufes, wie der Wiffenfchaft obgelegen, | überhaupt die mit der letztgenannten gewechfelten
auch in diefer Beziehung die fchönften Hoffnungen durch | Briefe, weil fie mehr über den Verhältnifsen flehen, befein
frühes Scheiden mit hinwegnehmend. Die ,Nachlefe', ; fondercs Intereffe bieten. In feinem Verkehr mit Fried-
deren erfte Auflage, bereits reicher, als die vorherge- rjch Schlegel fehen wir das Werden feiner chriftlichen
gangene Ernte, bald nach Novalis' 100jährigen Geburts- J und philofophifchen Anfchauungen, auf welche mehr,
tag 1873 erfchien, hat das zweite Bild als das treuere | als man wonl angenommen, Baader, nur 7 Jahre älter,
erkennen laffen. Insbefondere wird es aus brieflichen j ais Novalis, Einflufs gehabt hat. Auch pecuniäre An-
und fonftigen Mittheilungen offenbar, dafs jene Schwer- [ liegen hat F. Schlegel an ihn, die er aber nicht befrie-
muth und Todesfehnfucht, von welcher er nach Sophiens digen kann; formeller, auch per.Sie gehend, ift der VerTode
heimgefucht wurde, nichts weniger, als der Grund- , kehr mit A. W. Schlegel, zu welchem er befonders
zug feines Charakters gewefen fei. Vielmehr hat er wegen feiner damals entfliehenden Shakefpeare-Ueber-
mitten in ihr ,den Heiland und Befreier' gefunden, und fetzungen mit Verehrung empor fchaut. In einem Brief
darnach trat er geheilt und frei von neuem^ in die Welt'. an diefen finden wir auch die Notiz, dafs er aus Scheu,
Aus dem tiefen Schmerz hatte fich der Chrift und der ■ mit feinem Namen öffentlich hervorzutreten, — eines
Dichter losgerungen. alten Gefchlechtsnamens feiner Familie und nicht ganz
Doch nicht auf das Buch an fich, welches unter den unpaffend' (Novalis) fich zu bedienen bitte. — Neu find
PTeunden und Kennern des Dichters bekannt ift, fondern ferner die Briefe an und von Carlowitz mit ihren Notizen
auf die zweite Auflage desfelben in ihrem Verhältnifs über die ,fansculottifchen' Neigungen der damaligen
zur erften dürfte hier das Augenmerk befonders zu fächfifchen Stände, die ihm den Eintritt unter diefelben
richten fein. Wir erhalten da werthvolle Ergänzungen trotz Carlowitz'-Zureden innerlich unmöglich machen,
über die Stellung zu feinen Eltern. 1799 fchreibt er an neu auch ein Brief an den Hofprediger Reinhard, welcher
feine Mutter: ,Dcr Sinn für Familienglück, der in mir im Fall feiner Verheirathung mit Julie von Charpentier
fo kräftig und lebendig ift, wird auf das Schickfal meines fein Schwager geworden wäre. Uebrigens tritt, noch
Lebens einen wohlthätigen Einflufs haben. Ich hab' mehr als in der erften Auflage, hervor, wie ergeben
ihn von euch diefen Sinn, der jetzt fchon in mir oft Ende feines Lebens, auch unter dem Einflufs feiner Ver-
leidenfchaftlich wird'. Diefe feine Mutter, die von Natur lobung mit Julie, die wir als den vollen Gegenfatz und
fchüchterne, durch jahrelanges Leiden der Gefcllfchaft ebendarum wie eine Ergänzung feiner bis zuletzt angeentfremdete
Frau, hat einen tiefen Einflufs, wie auf alle beteten Sophie kennen lernen, voll und ganz ins prak-
ihre Kinder, fo auch auf Friedrich gehabt, ift ihm die tifche Leben einzutreten fich anfehickt und mit welchen
erfte Meifterin im Dichten geworden (vgl. das Geburts- Erwartungen man ihn auch darin begrüfst. Die Fabel
tagsgedicht für den Vater auf S. 12), fo dafs er 1791 feines Uebcrtritts zur römifchen Kirche zerrinnt bei
von Jena aus an fie fchreiben kann:,Du trugft beinahe alles näherer Betrachtung feines Lebens, wie feiner Schriften
zur Entwickclung meiner Kräfte bei und alles, was ich und Briefe, wie der Aeufserungen feiner Freunde immer
cinft gutes thue und wage, ift dein Werk und der fchönfte mehr. Intereffant ift die Parallele zwifchen Novalis und
Dank, den ich dir bringen kann' (S. 25). Auch zu feinem , Pascal, welche von Carlyle herrührt, wenig bekannt die
Vater hat er trotz des verfchiedenen Wefcns beider mit Thatfache, dafs Schlciermacher, der fonft principiell das
Dankbarkeit und Liebe emporgefehen, nur feltfam, dafs Citiren von ganzen Liedcrftrophen vermeidet, nur ein
der Vater fo wenig Verftändnifs für das innerftc Wefen einzig Mal eine Ausnahme macht, indem er feine Pre-
des Sohnes zeigte, dafs er felbft am Sterbelager nichts digt am 2. Sonntag Tritt. 1831 unter um fo gröfserem
von den chriftlichen Anfchauungen desfelben wufste. Im 1 Eindruck auf feine Zuhörer mit dem Anfang und Schlufs
allgemeinen aber erfehen wir, dafs die Stellung Harden- des Liedes .Wenn alle untreu werden' gcfchloffen hat. —
berg's zu feinen Eltern auch im fpäteren Leben eine Je mehr das Lebens- und Charakterbild des Dichters
weit innigere und vertrauensvollere gewefen ift, als 1 von deffen beften FTeunden nicht ohne Schuld nach
man meift animmt. Auch über die Schulzeit in Eisleben j mancherlei Beziehungen hin verzeichnet worden ift, um
unter Rector Iani erfahren wir näheres (S. 29). In Be- | fo dankbarer dürfen wir auch diefe 2. Auflage der ,Nach.