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Ausgabe:

1885

Spalte:

277-281

Autor/Hrsg.:

Bickell, G.

Titel/Untertitel:

Ein Papyrusfragment eines nichtkanonischen Evangeliums 1885

Rezensent:

Harnack, Adolf

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278

punkt die Erkenntnifs des Richtigen nicht unmöglich
machen konnte. Beifpielsweife findet der Lefer vortreffliche
Bemerkungen an folgenden Stellen: S. 25. 70. 77.
115. 147 f. 157 Z. 7 v. o. 165 Nt. 2. 170 f. 184 Nt. 4. 188.
190. 207 Nt. 2. 210. 227 Nt. 2. 266—271. 277 Nt. 2. 281
Nt. 2. 287 ff. 307 Nt. 3. 361 Nt. 3. 363 Nt. 4. 365 Nt. 2.
381. 383. 430 Nt. 1. 431 Nt. 1. 432 Nt. 1. Doch es ift
ja nicht möglich, hier auf alles Rühmenswerthe hinzu- j
weifen, und bei einem fo tüchtigen und gewiffenhaften j
Forfcher, wie der Verf. ift, verfteht es fich ohnehin von
felbft, dafs aus dem ohne Prunk und falfchen Schein mit
deutfcher Gründlichkeit gearbeiteten Lehrbuch Manches
zu lernen ift, und dafs uns fein Urtheil felbft dann nicht
gleichgültig fein darf, wenn wir ihm nicht zuftimmen 1
können.

Bonn. Ad. Kamphaufen.

Bickell, Dr. G., Ein Papyrusfragment eines nichtkanonischen
Evangeliums. (Separatabzug aus der ,Zeitfchrift für I
katholifche Theologie' 1885, III, S. 498—504. Für
private Circulation.) Innsbruck, 1885.

Unter den Papyrus von Fajjum (f. über diefelben die j
Publicationen von Karabacek und von Weffely in der
.Oefterr. Monatsfchr. f. d. Orient', refp. in den ,Wiener |
Studien', 1882—1885), welche in das Oefterreichifche Mu- j
feum — mehrere Taufend — gelangt find, fand fich ein 1
kleines Stück, welches zuerft als ein Fragment des Mat- j
thäusevangeliums saec. III. bezeichnet worden ift. Bickell
hat es gemeinfehaftlich mit den beiden oben genannten j
Gelehrten unterfucht und in vorftehender kleinen Publi-
cation eine Befchreibung des Befundes gegeben:

Das Fragment (3 72 Centimeter hoch, 41/3 breit, nur
auf einer Seite befchrieben) gehört der Buchftabenform
und der Abkürzungsmethode nach dem 3. Jahrh. an. Es
bietet fieben, am Anfang und Schlufs verftümmelte Textzeilen
, auf denen 96 Buchftaben mit Sicherheit, 9 minder
deutlich erkannt werden konnten (16 + 16 + 17 + 20 -f-
16 + 16 + 4 = 105); von der 7. Zeile find nur 4 refp. 2
Buchftaben erhalten. Gelefen wurde:

cpArElN£22e§HyovIIA
77/WA 7 ISKA1S 1AAI2
7 0 rPA ®ENIIATA5£2 TON
nPOBAT. 14IA2K0Pni20H2
) Hin h UEIIIANTEIO
OAAEKTPYSi HSKOK
IL/qv

Der Umfang der fehlenden Stücke konnte nach Z. 3 !
u. 4 recht genau beftimmt werden (ATliches Citat). Hiernach
fehlten am Schlufs von Z. 3 und am Anfang von
Z. 4 zufammen 12 Buchftaben; mithin betrug die Länge
einer Zeile muthmafslich c. 28—29 Buchftaben, es waren
alfo c. 91—98 Buchftaben zu ergänzen. Dafs das Fragment
Mt. 26, 30—34 oder Mrc. 14, 26—30 oder einen Paralleltext
enthalten mufste, war offenbar. Bickell hat nun
gezeigt, dafs das letztere der Fall ift, und dafs fomit
hier das Bruchftück eines uralten, nichtkano-
nifchen Evangeliums vorliegt, welches von Mtth.
und Mrc. viel weiter abfteht als diefe beiden
von einander, aber mit Mrc. mehr verwandt ift.
Bickell ergänzt nämlich: Mexd de xb] cpuyelv tbg et-rtfor
nä[vxeg iv xavtkxi) vvxxi av.avöalia[lrr'laea&e xard] ro
ygurptv naxct&o r.nv [noiiieva /.cd xct] ngnßaxa öictov.oqrno-
iii^nvxm. Eurnvrog xo]v Tlexgov x«< ei navxeg o[vx eyw
e'cpx avx<T, b dlev.xovwv 8k xoxjxff« v.ai OV rrgöfinv xgig

1) Mr. 14, 26—30: Kai vßvTjaavzeq b£r]X9ov elq xo ogoc xwv
iXaiwv xal Xiyei avxolg o 'Iyoovg- öxi navxeg oxavdaXioayoeo&e
(iv xy vvxxi xavxy), oxi yt'yganxaf naxdSw xbv noifiiva xal xa
ngoßaxa dtaaxogntoS-yoovxat. äU« fiexk rd iyegayvai fit- ngoagw
vitac fit x!,y raXtXalav. 6 61 Tlixpoc iwy aixw' tl xal ndvxeg
oxavdaXioO-t/oovxat, dXX' obx iycö. Kai Xeyei aixw b Jyooig-

Der Anfang beweift, dafs in demfelben Satze eine
andere Rede des Herrn, während des Mahles und im
Speifefaal gefprochen, vorhergegangen fein mufs, etwa:
während des Mahles fprach er, u. f. w., nach dem Mahle
aber, als fie hinauszogen: ,AUe werdet ihr' u. f. w. Ferner
: ,Der Papyrustext hat einen ganz anderen Uebergang
von dem Abendmahle zu der Ankündigung der Verleugnung
als den dem Mt. und Mr. gemeinfamen, er
kündigt das Citat und die Verficherung des Petrus in abweichender
Weife an, kürzt letztere ftark ab, läfst den
Satz über die Erfcheinung des Herrn in Galiläa aus und
conftruirt die Verleugnungsweiffagung anders als beide
Evangeliften. Gleich Mr. lafst er (> Mt.) i'fteig, ev eitoi,
xi]g iToiuvriq, ev an! und OKavdakiaiii'iOoiiai weg, hat
tax jrqnßaxa öiaav. ftatt öiaav.. x, zrpo/Ä, orx iyco ftatt
eyib ovöenoxe und erwähnt das zweimalige Krähen des
Hahnes .... Mit Mt. (> Mr.) ftimmt im Papyrus nur
die Weglaffung von oxi vor navxeg und von ab at'i/ieQov,
der Zufatz ev xfj vivxi xavxtj [er ift aber wohl nur mit
Unrecht von den letzten Herausgebern des N. T. ge-
ftrichen worden] und die Wortftellung anagvrjarj
tie ftatt Iis ärtaQVjjarj. In den meiften diefer Fälle
hat freilich theils der text. reeept., theils ältere Zeugen,
die bei Mt. befindliche LA auch auf Mr. übertragen. Was
den fchriftftellerifchen Charakter betrifft, fo hat unfer
Fragment mit Mr. die energifche, gedrungene, anfehau-
liche Ausdrucksweife gemeinfam, geht aber darin noch
weiter, wie fich nicht nur aus der durchgängig weit gröfse-
ren Kürze feines Berichtes, fondern auch aus folchen
draftifchen Wendungen, wie ,hinausziehen' ftatt hinausgehen
', oder ,krähen' ftatt des von allen kanonifchen
Evangeliften gebrauchten ,fchreien' ergiebt. Es hängt
dies mit dem gänzlichen Fehlen des feierlichen, gleichfam
hieratifchen Sprachgepräges zufammen, welches bei den
kanonifchen Evangeliften zunächft die Reden Jefu und
weiterhin die ganze Erzählung trägt. Dazu gehören
flehende Wendungen, wie das hier fehlende ,wahrlich, ich
fage euch', und felbft die umftändliche Einführung der
Reden durch Verba finita, ftatt deren im Papyrus der für
diefen Zweck in den vier Evangelien ganz ungebräuchliche
Geriet, absol. vorkommt. Vielleicht ift diefe Erfcheinung
ein Zeichen befonders hohen Alters, da jener getragene
Ton wohl weniger der gewöhnlichen Gefprächs-
weife des Herrn, als dem Wunfche der Jünger, die aus
feinen einfachen Reden hervorleuchtende göttliche Majeftät
auch im Wortlaute möglichft zu veranfehaulichen, und dem
fich daraus entwickelnden flehenden Typus der evange-
lifchen Berichterftattung angehören dürfte'2). Einen
wefentlichen Unterfchied von Mr. bildet dagegen der Um-
ftand, dafs während Mr. die Erzählung von Ereignifsen
keineswegs vernachläffigt, ja fich in der Ausmalung der
Situationen geradezu gefällt, unfere Schrift, wenn wir
nach dem kurzen, uns erhaltenen Bruchftücke und unferer
Vermuthung über den Inhalt der verloren gegangenen
erften Hälfte des Anfangsfatzes urtheilen dürfen, die Mittheilung
von Thatfachen nur als einen verbindenden Faden
zu betrachten fcheint, an welchen fie die Reden Chrifti,
auf welche es ihr zunächft ankommt, aneinander reiht.

dfibv Xeyu) 001 bxt ob oyuegov xavxy xy rvxxl nplv t] dlq dkexxoga
tporvrjoai rpi? fie dnapvrioy.

Mt. 26, 30—34: A'af vfivrjoavzeq e^Tjk&ov eiq xb ogot; xwv ilaiwv.
xöxe Xiyet avxoi? bf 'Iyooyg- nävxeq yiteic oxavSaXtoä-rjoeo9e iv
iuol iv xy vixxi xavxy. yeypanxat yäce naxä^w xbv noifiiva. xal
StaaxoQ7iio9rioovxay xä npbßaxa zijs notfivrji;. fiexä de xb eyeg-
affvai fiey ngoföw v/iüq elg xt)v raXtXaiav. änoxgiDelg äh b tlirgot;
etrtev avxw'f ei ndvxeg oxavdaXio&r'joovxat bv aol, byw ovdenoxe
oxavdaXio'tyoofiai. etptj avxw b 'irjoovq- dfil/v Xfyw 001 bxt ev xavxy
xy vvxxl nplv dXexxoga wwvyoai xglg anagvt)oy /te.

2) Uiefe Ausführung 1! ick eil's, eines vortrefflichen Kenners des
j Griechifchen, über das ,gleichfam hieratifche Sprachgepräge' unferer Evan-
j gelien und über den fecundären Charakter diefer Form verdient die höchfle
1 Beachtung. Man mufs noch hinzufügen, dafs alle Handfchriften unferer
kanonifchen Evangelien das poetifche dXexxwg bieten, während der
Papyrus das profaifche dlexxgvwv giebt. Das ift ein Seitenftück zu
„hinausziehen" für „hinausgehen" und zu „krähen" für „rufen".