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Ausgabe:

1885

Spalte:

266-267

Autor/Hrsg.:

Hammerich, Mart.

Titel/Untertitel:

Die Kunst gemeinfasslicher Darstellung 1885

Rezensent:

Diegel, J. Gustav

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265

Theologilche Literaturzeitung. 1885. Nr. Ii.

266

Mafse ausgegoffen habe. Auch die Dichtkunft hatte
einen herrlichen Auffchwung genommen. In Deutfchland
regte fich das künftlerifche Streben auch nach verfchie-
denen Seiten hin, wie die Namen: Dürer, Holbein, Vifcher
beweifen. Aber im Vergleich mit Italien ftand unfer

Ideen und eine rege Thätigkeit, in den Niederlanden für
Malerei und in Spanien und Frankreich, befonders aber
in England für das Drama als Mittel zur Volksbildung
erzeugte, während in Deutfchland durch die von kirchlichem
Fanatismus herbeigeführte Anarchie alle Künfle

Vaterland damals an Kunllleifhingen doch merklich zu- mit Ausnahme des evangelifchen Kirchenliedes unterrück
. Dennoch war Deutfchland der Boden, auf dem
die Fundamente zur wahren Volksbildung gelegt wurden.

,Italien hatte', fagt Carriere, ,durch die Wiedererweckung
des Alterthums eine neue Zeit eingeleitet, mit
Platon's Geifi; den Bann der Scholaftik gebrochen, in der
bildenden Kunlt dem chriftlichen Gemüthsideal die vollendete
F'orm der Schönheit gewonnen, und durch die
erneute Blüte antiker Sinnesart das äufsere Leben im
heiteren genufsreichen Glänze geftaltet. Aber das galt
für eine Ariftokratie der Bildung und war ihr ein Erfatz
für den Verluft der nationalen Selbftändigkeit, der ftaat-
lichen Freiheit und Gröfse. An das gemeine Volk dachte
man nicht und der mediceifche Papft Leo X. fcherzte
über die Fabel von Chriftus, die das Geld einbrächte,
mit welchem er durch Rafael die Zimmer des Vatikans
ausmalen liefs. Das Geld flofs zum grofsen Theile aus
Deutfchland, wo die Kirche dem Volke den Ablafs für
feine Sünden verkaufte, und die überfchüffigen guten
Werke, welche die Heiligen gethan haben follten, zur

zugehen drohten. Die Charakterifhk Shakefpeare's ift
ein Glanzpunkt in diefer Darfteilung des Reformationszeitalters
, das feinen Abfchlufs infofern in der von
dem Katholiken Descartes begründeten Philofophie des
Gehles findet, als damit der feite Boden betreten ift,
auf dem fich die neue Culturperiode, in der wir leben,
geltalten kann.

Diefe überlichtliche Schilderung des .Kunltbuchcs'
von Carriere, deffen fünfter und letzter Band ebenfalls
nun bald in dritter Bearbeitung zu erwarten ift, wird feine
hohe Bedeutung für jeden chriftlichen Theologen, befonders
aber die vom Geilte der Reformation geborenen
und getragenen, aufser Zweifel fetzen.

Minfeld, Pfalz. B. Baehring, Pfr.

Kaufmann, Prof. Dr. Dav., Die Sinne. Beiträge zur Ge-
fchichte der Phyfiologic und Pfychologie im Mittelalter
, aus hebräifchen und arabifchen Quellen. Buda-
Befreiung der Seelen aus dem Fegfeuer für ^ngende ft igg L ßrockhaus1 Sort] (V, 199 S. gr. 8)

Münzen umtaufchte. Dagegen empörte fich das Gewiffen ; F. _J 1 1 *> 1 * ' yy°-s'-°y

und das Princip der Subjektivität und Selbftbeftimmung
trat nun religiös auf, durchdrang die Welt und errang
den Sieg, indem es an das Höchfte, an Gott und an
das Heil der Menfchenfeele anknüpfte. Luther, in einem
Jahr mit Rafael geboren, war der ethifche Genius, der
dem Freiheitsdrang unferer Nation die religiöfe Weihe
gab. Er hatte die Noth des Volkes erkannt, das ein
verdorbener Klerus für weltliche Zwecke ausbeutete,
während derfelbe fich ein Mittleramt zwifchen Gott und
den Menfchen anmafste; da betonte Luther die Selbftändigkeit
der Gotteswürde auch der Allergeringften: im
eigenen Glauben, im eigenen Willen foll Jeder den Heiland
aufnehmen und dadurch Gottes Kind fein; ein prie-
fterlich Volk und ein königlich Gefchlecht follen alle
Chriften in der Erkenntnifs der Wahrheit und in Thaten
der Liebe das Reich Gottes bilden'. —

Wie Carriere im dritten Bande eine Apologie des
Chriltenthums überhaupt gegeben, fo in diefem vierten
eine Apologie der Reformation und zwar ganz befonders
der deutfehen Reformation. Wie er in jenem gezeigt
, dafs alle wahre Cultur von der chriftlichen Idee
ausgegangen fei und noch ausgehe, fo in diefem, dafs
erft durch die kirchliche Reformation das chriftliche Volk
in den Stand gefetzt worden fei, der bewufste und frei-
thäb>e Träger diefer Cultur in der Menfchheit zu werden
und das neue Zeitalter des Geiftes herbeizuführen.
Wer wollte in Abrede ftellen, dafs diefe hiftorifche Beweisführung
überzeugender fei als alles, was von Rom

M.

Das Hauptintereffe, welches die wiffenfehaftliche Zugabe
zu dem Jahresbericht der Budapefter Landesrabbiner-
fchule darbietet, dürfte nach der orientaliftifchen Seite
hin liegen, auf Grund der zahlreichen Originalbelege,
welche der auf diefem Gebiete bewährte Verf. zu der
Darfteilung des Sachverhaltes aus den Schriften der jüdi-
fchen Theologen und Philofophen des MA. unter dem
Texte gegeben hat. Die Abhandlung felbft zeichnet in
gründlicher und gefchickter Weife die Sinnesphyfiologie
und -Pfychologie der genannten Autoren. Letztere unter-
fcheidet fich freilich in keiner Weife von den Anflehten,
welche in diefen Gebieten der Wiffenfchaft des MA. aller
Orten geläufig waren. Es hat aber immerhin einen gewiffen
Werth, die Ausnahmslofigkeit jener Anfchauungen
auch nach diefer bisher wenig erforfchten Seite hin feft-
geftcllt zu fehen. Die Juden nahmen hier die Anflehten der
Araber auf und haben jedenfalls dazu beigetragen, diefe
im Occident zu verbreiten. Die arabifchen aber find im
wefentlichen die des Ariftoteles und Galen. Vereinzelte
Selbftändigkeiten der Araber,bez. Vermittelungen zwifchen
entgegengefetzten Anflehten jener Autoritäten verzeichnet
der Verf. S. 172. 177 f. 184. Die jüdifchen Originalitäten
beftchen in der Art, wie die Auslegung der Sinne in der
Agada ftattfindet, fowie in allegorifchen Beziehungen von
Stellen des AT's. und nicht minder von Cultusbräuchen
auf die fünf Sinne und ihr Verhältnifs zu anderen geiftigen
Kräften. Zu welchen Wunderlichkeiten fich hierbei der

lingen zur Herabwürdigung der Reformation und des Einflufs der griechifchen Quellen mit der üblichen Methode
Proteftantismus vorgebracht ift: Nur eine vollftandige der Excgefe gelegentlich zu verquicken vermochte, kann

man aus den mitgetheilten Proben S. 189 f. 192 u. a. abnehmen
. Philofophiegefchichtliches Intereffe hat S. 29 f.
die Skizzirung des Verfuchs, welchen Salomo Ibn Ga-
birol machte, die Flthik auf die Sinne zu gründen.
Giefsen. H. Siebeck.

Verdrehung der Gcfchichte und Ruinierung des gefchicht-
lichen Sinnes kann im Stande fein, in der Reformation
ein weltgefchichtliches Gotteswerk zum Heile der Menlch-

heit zu verkennen. ' __ ., ,

Die Schwäche jener ariftokratifchen Kunftbiklung
zeigte fich fehr bald in ihrer weiteren Entwickelung.
Es trat durch den Einflufs des reformatorifchen Geiltes Hammerich, Dr. Mart, DieKunstgemeinfasslicherDarstellung.
auch im Katholicismus ein Princ.p.enkampf ein. Humor ^ ^ v<m £ Michclfcn Ldpzi£

Lehmann, 1884. (VIII, 215 S. 8.) geb. M. 3. —
Nach der Vorrede des Herausgebers war der Verf.

und Satire fuchten zu erfetzen, was auf dem Wege gediegener
Forfchung und perfönlicher Ueberzeugung nicht
zu erlangen war. Rabelais, Fifchart, Cervantes wulsten
durch ihren Witz die Unvollkommenheiten der menfeh-
lichen Verhältnifse erträglich zu machen, während die
jefuitifche Rcftauration eine grofse Gefchmacklofigkeit
in alle Künfte brachte. Da war es der reformatorifchc

diefer Schrift 25 Jahre lang Director eines Gymnafiums in
Kopenhagen. Sie fei als ,reife FYucht vieljähriger Studien
und Erfahrungen erft nach deffen Tod veröffentlicht' und
in ihrem Vaterlande als bedeutende Erfcheinung gewürdigt

Geift der nicht blofs innerhalb des Proteftantismus neue 1 worden; auch in Deutfchland werde fie ,ohne Zweifel bei