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Ausgabe:

1885

Spalte:

219-220

Autor/Hrsg.:

Kingsley, Charles

Titel/Untertitel:

Predigten 1885

Rezensent:

Hartung, Bruno

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Seite 1

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220

und von ihr verfchiedenes wirkendes Seiendes ift aber nur
dann felbftverftändlich, wenn Plato darin Recht hat, dafs
jedem richtig gebildeten Gattungsbegriff" ein reales Wefen
entfpricht, zu dem (ich die Summe der einzelnen unter
diefen Begriff fallenden Objecte wie die Erfcheinung zum
Urgründe verhalten. Mit einem Worte, der metaphy-
fifche Urgrund ift auch in Hinficht feines metaphyfffchen
Werth es nichts als die Hypoftafirung des Caufalgefetzes,
d. h. keine Erklärung, fondern eine mythologifche Fixi-
rung des Problems. Mit dem aber, was die Religion Gott
nennt, d. h. mit einem Wefen, welches durch feine
Macht über die Welt das Heil der Menfchen herbeiführt,
hat jenes keinerlei Aehnlichkeit. Der Verf. weifs auch
fehr wohl, dafs er erft vom Ethifchen aus zu einem
,inhaltlich werthvollen' Gottesbegriff gelangt. Aber können
denn deffen Prädicate auf die metaphyfffchen einfach
aufgetragen werden? Die fog. metaphyfffchen Attribute
des Gottes der Religion und fpeciell des Chriftenthums,
Allmacht und Ewigkeit, haben ja einen ganz anderen
Sinn als die des metaphyfffchen Schattenwefens, weil fie
zu dem Heilszweck in Beziehung flehen. Die einen
wollen den allgemeinen Caufalzufammenhang erklären,
die anderen die Dienftbarkeit desfelben für die Heilszwecke
begründen. Ferner ift das Ethifche eine Wirklichkeit
fo befonderer Art, dafs es gar nicht Ausgangspunkt
metaphyfifcher Schlufsketten werden kann. Erftlich
ift die Anerkennung der Verpflichtung zu felbftlofer Liebe
gar keine Thatfache von folcher Allgemeinheit, wie es
der Verf. darftellt. Die verfchiedene Begrenzung des
Umfangs diefer Verpflichtung, die in den verfchiedenen
gefchichtlichen Idealen begegnet, ift doch wahrlich nichts,
was man bei der Aufftellung eines Allgemeinbegriffs des
Sittlichen überfehen dürfte. Zweitens find die Caufalität
und das ffttliche Bewufstfein gar nicht gleichartige That-
fachen. Die Gültigkeit der erfteren kann man gar nicht
beftreiten, ohne auf das Erkennen des Wirklichen überhaupt
zu verzichten. Die Anerkennung der Gültigkeit
des als pfychologifche Thatfache vorhandenen fittlichen
Bewufstfeins aber ift kein Act des Welterkennens, fondern
des fittlichen Willens, der fich's nicht einreden läfst,
dafs die Realität, von der er lebt, durch die Caufal-
erklärung zu einer pathologifchen Illufion herabgewürdigt
werde. Dafs endlich das Sittliche auch das Ziel des
Weltgrundes fei, folgt nach der metaphyfffchen Caufal-
methode keineswegs aus der Anerkennung feiner Gültigkeit
für den Menfchen — wer weifs, zu welchem höheren
Zweck diefe dunkle Gröfse unfere Sittlichkeit verbraucht,
die es neben anderem auch aus feinem geheimnifsvollen
Schofse hervorgehen läfst!

Der Verf. hat feine Schrift vornehmlich an die Adreffe
derRitfchl'fchenTheologie gerichtet; aber dasMotiv, aus
welchem diefelbe die apologetifche Verwerthung der Meta-
phyfik ablehnt, hat er nicht erkannt. Es ift dies, dafs
die Metaphyfik in keinem Fall an den religiöfen Gottesbegriff
, auch nicht in feiner allerallgemeinften Geftalt,
heranreicht.

Giefsen. J. Gottfchick.

Kingsley. Charles, Predigten. Autorifierte Überfetzung
von Dina Krätzinger. Dorfpredigten. Gotha, F. A.
Perthes, 1884. (VII, 228 S. gr. 8.) M. 3. —

Ref. hat neben der Ueberfetzung die dritte Auflage
des Originals der Village Sermons vor fich liegen, welche
im Jahre 1853 erfchienen ift. Es ift alfo nichts Neues,
was nun auch in Deutfchland feinen Einzug halten kann.
Und feitdem das von Kingsley's Gattin fo fchön gezeichnete
Lebensbild des Verfaffers fo viele Freunde bei uns
gefunden hat, kann es an der Zeit fein, auch etwas
anderes von ihm, als nur die Hypatia, dem deutfchen
Leferkreis nahe zu bringen.

Es wäre pedantifch, an diefe Predigten den Mafsftab
moderner deutfcherHomiletik anzulegen. Welcher der be-

j rühmten englifchen Prediger könnte vor diefem beftehen!

I Aber den Grundgedanken eines kurzen Textes an das
Licht zu ftellen und praktifch anzuwenden, verlieht K.

j trefflich. Ein Meifter ift er, wenn er eine Lehre der fog.
natürlichen Religion, wie fie im Wechfel der Jahreszeiten
und im täglichen Leben feinen Bauern entgegentreten,
ihnen fchildert. Immer hebt er hervor, einmal, wie das
ganze natürliche Leben von der Beziehung darauf durchdrungen
fein mufs, und wie andererfeits jene fog. natürliche
Religion nur im Chriftenthum ihre Begründung
findet. In muftergiltiger Weife verlieht er das Lebens-

I bild, wie das Verföhnungswerk Chrifti und die eigen-

■ thümlichen Pflichten des Chriftenlebens dem fchlichteften

I Verftändnifs nahe zu bringen. Schon in den Dorf-
I predigten finden auch wir feine focialen Grund-
! gedanken, deren Einflufs auf weite Kreife jüngft

■ Brentano in feiner Schrift über die chriftlich-fociale Be-
1 wegung in England gefchildert hat. Es macht doch

einen gewaltigen Eindruck, wenn er z. B. an einer, übrigens
in der Ueberfetzung ausgelaffenen Stelle, von feiner
Dorfkanzel aus fagt: There is not a merepreaching house,
| wherc you may kam every man to save his own soul;
tliis is a far nobler place; this building belongs to the National
church of England, and we worship here, not merely
as men, but as men of England, Citizens of a Christian
country, comc here to kam not merely to save ourselves,
but how to he/p tozvards the saving of our f amilies, our
parish and our nation u. f. w. Man wird begreiflich finden,
dafs folche und ähnliche Stellen, welche zu fehr engli-
fches Gepräge tragen, in der deutfchen Ausgabe fehlen,
fo auch eine äufserft wirkfame Vergleichung der englifchen
mit der ifraelitifchen Gefchichte: Wie dem Abraham
Kanaan, fo gab Gott uns this land of England, zvhen He
brought our Saxon forefathers out of the wild harren north,
and drove out before them nations greater and mightier
then they and gave them great ad goodly eitles, which
they builded not, and zvells digged which they digged not,
farms and gardens which they planted not, that zve too
might fear the Lord our God and serve Hirn u. f. w.
Auch Verfe find meift weggelaffen — beffer als wenn
fie ungenügend überfetzt wären. Man kann das Alles
billigen, aber man wird auch zugeben, dafs damit Eindruck
und Wirkung des Originals wefentlich beeinträchtigt
wird. Die andersgeartete Syntax beider Sprachen,
(z. B. den verfchiedenen Gebrauch des Particips), die verfchiedene
Nüancirung fcheinbar gleicher Begriffe (vergl.
gleich das Thema der 2. Predigt: religion not godliness
„Religiofftät ift noch keine Frömmigkeit") machen es
zudem fchwer, die grofsartige Einfachheit diefer
Predigten wiederzugeben, und es ift der Ueberfetzerin
nur annähernd gelungen. Ueberhaupt hat jede Ueberfetzung
von Predigten zu erbaulichem Zweck ihre Bedenken
, da ja die erbauliche Wirkung grofsentheils den
Mutterboden vorausfetzt, dem fie entfprungen find, und
diefer enthält doch nächft dem gemeinfam Chriftlichen
manche Scholle nationalkirchlichen Lebens. Wer aber
zugleich aus homiletifchem, kirchlich-literarifchem, cultur-
gefchichtlichem Intereffe Predigten lieft, der kann heutzutage
meift fo vielEnglifch, um die kindlich einfache Redeweife
Kingsley's zu verliehen.

Leipzig. Härtung.

Erklärung.

Herr Prof. Hermann Schmidt in Breslau hat in feinem Buch ,Die
Kirche' 1884. S. 15 mir eine Anmerkung gewidmet, welche ich nicht
ohne Antwort laffen darf, da fonft der Anfchein entliehen könnte, als
verträte ich wirklich die Meinung, welche Herr Prof. Schmidt mir zu
imputiren im Stande gewefen Ift, Derfelbe erzählt, ich hätte in der Be-
fprechung feines Vortrages über Verföhnung und Rechtfertigung (Theol.
Literaturzeitung 1883 Nr. 16) ,die Annahme einer idealen Welt außerhalb
des menfehlichen Bewufstfeins für ein fchwäbifches Dogma erklärt, von
dem die übrige theologifche Welt nichts wiffe'. Aus dem Zufammenhang
des Textes S. 15 ergiebt fich, dafs Herr Prof. Schmidt bei der idealen
Welt, deren Realität ich alfo beftritten haben foll, an die Vollendung im