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Ausgabe:

1885 Nr. 9

Spalte:

217-219

Autor/Hrsg.:

Bertling, O.

Titel/Untertitel:

Die Erkennbarkeit Gottes. Grundlinien einer philosophischen Apologie des christlichen Glaubens 1885

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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217

Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 9.

2ii>

Geiftes, d. h. des Realgrundes der Erfahrungswelt) in
logifchen Kategorien ganz und ohne dunklen Exiftenz-
reft dahinter gefafst werden kann. Die Subftanz des
Geiftes ift logifches Sein. Der Fehler Hegel's be-
ftand darin, dafs er den von Kant richtig beftimmten
Standort des Bewufstfeinsfubjectes in den Aether der
reinen Idee verrückte, wo nicht blofs dem Vorftellen,
fondern auch dem Denken der Athem ausging. Der
reine Realismus führt dahin, den von Kant richtig fixirten
Standort des Bewufstfeinsfubjectes mit der richtigen
Beftimmung des Bewufstfeinsobjectes durch Hegel zu
verbinden.

Endlich hebe ich noch hervor, was B. über das Ver-
hältnifs des religiöfen Glaubens zur Metaphyfik ausführt.
Wenn ich nicht irre, hat er hierauf befondere Sorgfalt
verwandt. Und zwar ift es ihm einerfeits darum zu thun
gewefen, gegen Straufs die felbftändige Bedeutung des
religiöfen Glaubens neben der Metaphyfik, andererfeits
darum, gegen Ritfehl das Recht der (d. h. feiner) Metaphyfik
in der Theologie zu vertreten. In der That
handelt es fich in beiden Fällen um eine Exiftenzbedingung
der Biedermann'fchen Theologie als folcher. Er geht
nun davon aus, dafs nicht blofs zwifchen der religiöfen
Erkenntnifs, wie fie aus dem Glauben erwächft, und der
philofophifchen Erkenntnifs der Religion, fondern auch
zwifchen jener und der theologifchen Erkenntnifs forg-
fältig zu unterfcheiden fei. Wir gelangen zur letzteren,
indem wir die religiöfe Erkenntnifs mittelft der philofophifchen
Erkenntnifs der Religion auf ihre metaphy-
fifche Wahrheit hinausführen. Aber die Erkenntnifs des
Glaubens und die fo gewonnene theologifche Erkenntnifs
find nie dasfelbe. Diefe kann jene fo wenig erfetzen wie
das Rechnen das Bezahlen oder die chemifche Unter-
fuchung der Nahrungsmittel das Effen. Auch wer als
Theolog die metaphyfifche Erkenntnifs des Glaubensinhaltes
befitzt, hört doch nicht auf, den religiöfen Glauben
in der diefem eigenthümlichen Form der Vorftellung zu
haben und zu üben. So weit ift beides von einander
zu trennen. Aber andererfeits dringt gerade der Glaube
darauf, dafs die Wahrheit feines Inhaltes anerkannt werde,
und enthält daher den Antrieb, diefe Wahrheit in der
adäquaten Form des Gedankens d. h. metaphyfifch feft-
zuftellen. Der religiöfe Gedanke ,Gott' und der metaphyfifche
Gedanke ,das Abfolute' find der Sache nach
identifch. Denn die wahre Religion verlieht unter Gott
den abfoluten Geift, und die wahre Metaphyfik lehrt
das Abfolute als den abfoluten Geift erkennen. Sie
decken fich alfo inhaltlich, nur die Art des fubjectiven
Erkennens ift jedes Mal eine andere. B. macht das Ver-
hältnifs von Glauben und Wiffenfchaft, wie er es denkt,
an einem Bilde anfehaulich. Sie verhalten fich wie zwei
Kugeldurchfchnitte, die den Durchmeffer gemein haben
aber fonft in allen Funkten auseinanderfallen. Beide,
Religion und Wiffenfchaft, beziehen fich auf die ganze
Welt, jede in ihrer Weife. Dagegen laffe fich das von
Ritfehl ftatuirte Verhältnifs beider als das zweier Kreife
auf gleicher Fläche veranfehaulichen, die ein Stück ge-
meinfamer Fläche haben, bei welcher Anficht ftets wiederkehrende
Collifionen beider und ihrer Sachwalter unvermeidlich
feien. — So weit die Berichterftattung. Ich
darf im Uebrigen bei den Lefern, für welche diefe Anzeige
Intereffe hat, die Biedermann'fche Dogmatik als
bekannt vorausfetzen. —

Berlin. Kaftan.

___(Schlufs folgt.)__

Bertling, Gymn.-Oberlehr. Dr.O., Die Erkennbarkeit Gottes.
Grundlinien einer philofophifchen Apologie des chrift-
lichen Glaubens. Leipzig, Hinrichs, 1885. (III, 9° S-
gr. 8.) M. 1. 80.
Die nicht zu beftreitende Thefe. dafs man den zwifchen
Rehgionsfeindfchaft und Glaubensfeftigkeit Stehenden
durch klärende Einwirkung auf ihre theoretifche

Ueberzeugung die Hindernifse der religiös-fittlichen Ent-
fchliefsung wegräumen muffe — fo befcheiden formulirt
Verf. die Bedeutung des apologetifchen Verfahrens —,
fetzt fich ihm fofort in die beftrittene um, dafs metaphyfifche
Argumente das Mittel hierzu feien. Durch eine
Kritik von Kant's Erkenntnifstheorie und Gottesbeweis,
fowie durch eine Rechtfertigung der Metaphyfik im Allgemeinen
, die darauf hinausläuft, dafs eine an den Caufal-
linien der Wirklichkeit fortfehreitende Wiffenfchaft keine
Phantafterei fei, hat er feine pofitiven Ausführungen unterbaut
. Diefelben kommen auf eine Modification des kos-
mologifchen Beweifes für das Dafein Gottes hinaus, der
Elemente des teleologifchen und moralifchen eingefügt
werden. Die gewöhnliche Form des kosmol. Beweifes,
nach der willkürlich ein Anfangsglied der Caufalkette
ftatuirt und als unendlich gefetzt wird, verwirft er. Die
oberfte Urfache ift ihm vielmehr ein dem gefammten
Caufalprocefs wirkfam zu Grunde liegender und in ihm
erfcheinender fubftantieller Urgrund. Den Beweis für die
Realität diefes Begriffes führt er, indem er drei Dimen-
fionen der Caufalität unterfcheidet, die zeitliche, die
Beziehungs- und die Seinscaufalität. Jeder einzelne Zu-
ftand jedes einzelnen Wefens ift dreifach bedingt, durch
alle vorhergehenden Zuftände desfelben, durch die Beziehungen
, die zu der näheren und ferneren Umgebung
obwalten, durch die Eigenthümlichkeit des Dinges felbft
oder durch feine Wefensenergie, welche allen Zuftänden
und Beziehungen desfelben zu Grunde liegt. Die Brücke,
| welche über den Caufalzufammenhang der Welt hinausführt
, meint er in der Kette der Seinsbegründung gefunden
zu haben. ,Wie in jedem einzelnen Actionspunkt
der Caufalitätsreihen ein Wirkliches, ein Seiendes anerkannt
werden mufs, fo ift f elbftverftänd lieh auch
während des gefammten Verlaufes der Seinsbegründung
ein Wirkliches, ein reales Subject der Wirkfamkeit zu
ftatuiren' S. 67. Diefer Begriff des von der Welt ver-
fchiedenen fubftantiellen Urgrundes benimmt fich näher
nach den Gefichtspunkten der Beziehungs- und der zeitlichen
Caufalität. Aus dem verknüpfenden Caufalzufammenhang
, in dem die ganze wirkliche Welt fleht, folgt
der einheitliche Zufammenhang des Urgrundes, aus der
zeitlichen Entwicklung des Wirklichen feine anfangs- und
endlofe Exiftenz. Weiter führt dann die Berückfichtigung
befonderer Eigentümlichkeiten des Wirklichen. DieThat-
fache, dafs es bewufste Intelligenz in der Welt giebt,
beweift den geiftigen Charakter des Urgrundes, die That-
fache des Gewiffens, d. h. des Gefühls der moralifchen
Verpflichtung, felbftlos zu handeln, führt darauf, dafs
felbftlofe Liebe das Ziel ift, welches der Urgrund in der
Welt und fpeciell in den Menfchengeiftern erreichen will.
^uf diefe Weife ift die Grundlage des Chriftenthums,
der ethifche Monotheismus, erwiefen und in den hiervon
I Ueberzeugten die Fähigkeit gefchaffen, die Liebesfulle
| und Liebestiefe des Gottes der Offenbarung zu verliehen.
Das Fundament diefes Gebäudes ift der Sehl ufs von
der Seinsbegründung aus. Aber darf man die Kette der-
felben den Ketten der beiden anderen Dimenfionen einfach
zu Grunde legen, oder ift die Wefensenergie nicht
auch durch diefe bedingt? ,Das wäre fürwahr eine treffliche
Metaphyfik, welche nicht einmal den Artunterfchied
von Geift und Natur erkannt und beachtet hätte' (S. 36).
Aber das ,Wefen' des Geiftes ift doch wahrlich nicht die
immaterielle pfychifche Subftanz, fondern derjenige durch
viele vorangegangene Zuftände und Beziehungen der letzteren
entftandene Gefammt-Zuftand derfelben, in welchem
das Allgemeine für Denken, Fühlen, Streben das Gefetz
geworden ift. Ehe nicht Verftand, Gefchmack, Charakter
da ift, ift auch kein Geift da. Diefer Artunterfchied von
Geift und Natur ift bei dem principiellen Argument unbeachtet
geblieben. Dasfelbe wird ferner als .felbftver-
ftändlich' bezeichnet. Der Schlufs von der Exiftenz eines
wirkenden Seienden auf jedem Punkt der Caufalketten
auf ein der Gefammtheit derfelben zu Grunde liegendes