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Ausgabe: | 1885 Nr. 8 |
Spalte: | 179-187 |
Autor/Hrsg.: | Renan, Ernest |
Titel/Untertitel: | Marc Aurèle et la fin du mond antique. 4. éd 1885 |
Rezensent: | Harnack, Adolf |
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179 Theologifche Literaturzeitung. 1885. Nr. 8. 180
Renan, Ernest, Marc Aurele et la fin du mond antique. welche Lüdemann conftatiren zu dürfen glaubt, wirk-
4. ed. Paris, Calmann Levy, 1882. (VI, 648 p. gr. 8.) lieh vorhanden fein, fo wäre das ein fchlimmes Zeichen
! für jene Theologen. Antipathien find freilich undiscutir-
Eine Anzeige diefes Bandes, mit welchem Renan bar; aber es giebt Erfcheinungen, denen gegenüber es
feine Histoire des Origines du Cluistianisme zum Abfchlufs gerathen ift, mit feinen Antipathien zurückzuhalten,
gebracht hat, kommt nicht zu fpät; denn es ift in Deutfch- Ich glaubte diefe Erklärung fchuldig zu fein, um das
land faft nöthig, daran zu erinnern, dafs diefes Werk Vorurtheil zu zerftreuen, als entzöge man fich allein in
exiftirt. Aufser der eingehenden Befprechung von Lü- 1 Deutfchland dem Eindrucke eines Werkes, deffen Supe-
demann (Theol. Jahresbericht 2. Bd. S. 95 ff.) ift mir riorität auch durch ein einftimmiges Zeugnifs der Theoin
theologifchen Zeitfchriften eine ausführliche Anzeige I logen aller Richtungen nicht zu erfchüttern ift. Renan
desfelben nicht erinnerlich. Und doch haben wir in den hat in diefem letzten Band den Abfchlufs der Entwicklung
letzten Jahren auf dem Gebiete der älteften Kirchenge- des Chriftenthums zur katholifchen Kirche und zugleich
fchichte kein Werk erhalten, welches dem Renan'fchen die letzten Verfuche der antiken Philofophie, den Staat
ebenbürtig ift. Das wird man zugeftehen müffen trotz und die Gefellfchaft zu erhalten und zu reformiren, fchil-
aller Vorbehalte, die man fowohl im Ganzen wie im : dem wollen. Mit vieler Kunft und ausgefuchtem Sinne
Einzelnen zu machen fich veranlafst fieht. In fchroffer hat er die Contrafte wirken laffen, und zugleich in dem
Weife hat Lüdemann als wichtigften Vorbehalt ,das I Lefer, der ihm bis hierher gefolgt ift, den Eindruck zu
Fehlen einer richtigen Auffaffung des Chriftenthums' bei ' wecken gefucht, dafs nun wirklich in der Entwicklung
Renan geltend gemacht: ,Blind für den eigentlich reli- der Endpunkt erreicht fei: ,Le II* siede de notre ere a
giöfen Herzpunkt des Chriftenthums, wie Renan nun ein- eu la double gloire de fonder definitivement le ckristianistne,
mal ift, kann er es ftets nur würdigen von feiner focial- c'est-ä-dire le grand principe qui a opere la reformatio)/
moralifchen Seite . . . Wenn R. mit der entfehiedenften des moeurs par la foi au surnaturcl, et de voir se derouler,
Offenheit für feine Perfon das katholifche Syftem en bloc grace a la predication Stoicienne et saus aueun dement de
ablehnt, fo kommt er dadurch dem Proteftantismus um tnerveilleux, la plus belle tentative dl h ole läique de vertu
keinen Schritt näher.' Allein fo einfach liegen die Dinge i que le mondc ait connue jusqit ici . . . Plus que jamais
doch nicht, dafs im Proteftantismus an fich die fpeeififche je pense que la periode des origines, Vembryogonic du
Vorbedingung für das Verftändnifs der älteften Kirchenge- christianisme, si ton peut sexprimer ainsi, finit vers la
fchichte gegeben wäre, und was das Fehlen der richtigen mort le Marc Aurele, en 180. A cette date, tenfant a tous
Auffaffung des Chriftenthums betrifft, fo braucht man ses organes; il est detache de sa mere; il vivra desormais
noch kein Skeptiker zu fein, um die Frage nach der [ de sa vie propre. La mort de Marc Aurde peut (Tailleurs
richtigen Auffaffung für eine fehr verwickelte zu halten, etre consideree comme niarquant la fin de civilisation an-
Renan hat das Chriftenthum in feiner älteften Gefchichte , tique. Ce qui fait de bien apres cela ne ce fait plus par
auch keineswegs nur nach der focial-moralifchen Seite 1 le principe hellcnico-romain; le principe judeo-syrieu l'em-
gewürdigt, fondern vor allem als den felfenfeften Glauben porte, et, quoique plus de cent ans doivent s'ecouler avant
an einen Gott, der fich durch wunderbare Veranftaltungen son plcine triomphe, on voit bien deja que lavenir est a
offenbart hat und fort und fort in den Gläubigen kund- ////. Le III* siede est tagonie dun monde, qui, au II* siede,
giebt. Niemand hat nachdrücklicher als Renan betont, est plein encore de vie et de force'. Allein diefe Begren-
dafs diefer Glaube in dem alten Chriftenthum das We- ! zung des Stoffs ift nicht unbedenklich, und zwar in
fentliche gewefen ift, und dafs er die Reformation der Anfehung fowohl der Gefchichte des Chriftenthums als
Sitten und der Gefellfchaft, foweit eine folche zu Stande der Gefchichte der philofophifchen Beftrebungen. Was
gekommen, bewirkt hat. Es fcheint aber, als ob gerade • zunächft die letzteren betrifft, fo fcheint mir Renan die-
diefe Betonung dort als unbequem empfunden wird, wo felben zu überfchätzen. Man wird ihm allerdings darin
man dem Glauben an das Uebernatürliche in der Ver- unbedingt beiftimmen müffen, dafs die philofophifch-po-
gangenheit eine entfeheidende Bedeutung nicht beilegen litifchen Beftrebungen von Männern wie Marc Aurel und
zu dürfen meint, weil man in der Gegenwart diefen Glau- ' Celfus fich fpeeififeh von den fpäteren, neuplatonifchen
ben bei Seite fchiebt. Sofern aber irgend eine Species unterfcheiden; aber ,das Ende der alten Welt' bereits
des Proteftantismus den Hiftoriker dazu anleitet, die j um d. J. 180 anzufetzen, ift doch nur von politifchen
Macht des Glaubens an das Uebernatürliche, an erlebte I Gefichtspunkten aus — und felbft von diefen nur unvoll-
Wunder und Weisfagungen, zu unterfchätzen, würde i kommen — zu rechtfertigen. Die grofsen Juriften der
diefer Proteftantismus als der fchlimmfte Feind einer ge- i Folgezeit beweifen, dafs der Geift, deffen Wirken R.
fchichtlichen Erkenntnifs des Urchriftenthums und feiner im 2. und 3. Capitel feines Buches gefchildert hat, am
Entwicklung zu betrachten fein. Ich flehe nicht an zu j Anfang des 3. Jahrhunderts noch lebendig und fruchtbar
erklären, dafs Renan das Urchriftenthum in feiner Ent- gewefen ift. Aber auch Philofophen wie Plotin und
wicklung bis zum Ende des 2. Jahrhunderts ungleich > Porphyrius können nicht einfach dem principejudeo-syrien1
richtiger gewürdigt hat als diejenigen Hiftoriker, welche untergeordnet werden. Dennoch ift aus manchen Gründen
,das Schwergewicht in erfter Linie in die reflexionell-theo- der Endpunkt, den R. hier markirt hat, wenigftens er-
logifche Entwicklung legen' und damit die wirklich reli- i träglich. In Bezug auf die Gefchichte des Chriftenthums
giöfen und focialen Momente bei Seite fchieben. Renan's I fcheint mir aber der Terminus entweder um etwas früher
Gefchichte des Chriftenthums ift keine Gefchichte von oder fehr viel fpäter gefetzt werden zu müffen. Um
Begriffen, fondern eine Gefchichte der Perfonen, des i etwas früher, wenn man bei den Anfängen der Politi-
Glaubens und Lebens. Der Fehler feiner Darftellung j firung der chriftlichen Gemeinden flehen bleiben will, beilegt
nicht in dem Plane felbft, fondern in der ampli- deutend fpäter, wenn man die Durchführung diefer
ficatorifchen Ausführung und in dem hier und dort zu Politifirung mitzubchandeln beabfichtigt. Sehe ich recht,
Tage tretenden Unvermögen, den Anreizungen der Phan- j fo kann man hier zweckmäfsig zwei Centurien unter-
tafte zu widerftehen. Aber in diefem letzten Bande wird I fcheiden, welche in der Zeit um 150—160 ihre Grenze
man wenige Stellen nachweifen können, wo der Verf. } haben. Mir fcheint auch, als habe R. das Recht einer
diefer Zauberin in ein unbekanntes Land gefolgt ift, und folchen Untcrfchcidung felbft empfunden; denn in den
dazu — wer über ein fo eminentes Wiffen und über fo [ grofsen zufammenfaffenden Schlufsabfchnitten ,Le chri-
ungemeine hiftorifche Einficht und Kunft gebietet wie I tsianisme a la fin du II* siede1 (p. 501 ff.) hat er factifch
Renan, von dem wird man auch dort zu lernen fuchen, den Katholicismus in der erften Hälfte des 3. Jahrhun-
wo er nicht Gefchichte, fondern fich felbft giebt. Sollte derts gefchildert, und in diefelbe Zeit führt das Capitel
die .unleugbare Antipathie der deutfch-proteftantifchen über die chriftlichen Schulen in Alexandrien und Edeffa.
Theologen aller Richtungen gegen das Werk von Renan', | Aber auch in anderen Capiteln hat R. über die Grenze.