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Ausgabe:

1884

Spalte:

136-138

Autor/Hrsg.:

Schaff, Philip.

Titel/Untertitel:

History of the Christian Church 1884

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 6.

nöthigt) die Ignatiusbriefe in eine andere Zeit zu verlegen, I Die Ignatiusfrage ift noch nicht erledigt. Auch der
als fie ihnen durch die einftimmige Tradition des ! Verf. (S. 138) will mit feiner Arbeit vor allem das Vor-
Alterthums zugewiefen wird'. Durch diefen Satz und urtheil erfchüttern , als fei fie im Sinne der Unechtheit
ähnliche beweift der Verf., dafs das altum silentium der bereits entfchieden. Aber dafs man feitens der VerTradition
für ihn nicht exiftirt. Eine einftimmige Tradition theidiger der Echtheit noch immer das traditionelle
des Alterthums für die Zeit des Ignatius giebt es nur Datum fefthält, ift mir unbegreiflich. Ich blicke zuver-
im byzantinifchen Zeitalter. Methodifch durfte der Verf. , fichtlich in eine Zeit, in welcher man fich gewöhnt haben
nur fo verfahren, dafs er zunächft die Briefe felbft nach wird, chronologifche Angaben, die mit dem Traditions-
ihrem Datum — ohne Rückficht auf ihren Verfaffer — fyfteme der alten Kirche auf's engfte zufammenhängen,
fragte. So fingulär nun im Allgemeinen die Briefgruppe bei Seite zu laffen. Gewifs — es bleibt noch manches
in der altchriitlichen Literatur bleibt, in welche Zeit Räthfel nach, wenn man die feltfame und doch fo koft-
auch immer man fie verfetzen mag, und fo fchwerc bare Briefgruppe von einem antiochenifchen, zum Tode
Anftöfse der überlieferte, entftellte Text bietet, fo wird verurtheilten Bifchof, Namens Ignatius, etwa + 140 geeine
innere Prüfung ftets zu dem Ergebnifse führen, dafs fchrieben fein läfst — ich erinnere z. B. an die Schwierig-
die Briefe der Zeit vor d. J. 170 angehören und in keiten, welche die Haltung der ep. ad Polyc. dann macht,
der Mitte des 2. Jahrhunderts relativ am leichteften zu und an zahlreiche Anftöfse, die der überlieferte Text im
begreifen find. Dem gegenüber fleht das Zeugnifs des > Einzelnen bietet —; aber nur darum kann es fich handeln,
3. Jahrhunderts, nach welchem ihr Verfaffer unter Trajan | welche Hypothefe fich zur Verminderung der Fülle der
Märtyrer geworden ift und — wenigftens nach Funk— Probleme am geeignetften erweift. Sie kann deshalb
auch der Polykarpbrief, der für dasfelbe Datum einftehen ; noch immer falfch fein; aber wir find bis auf Weiteres
foll. Allein bei der Unterfuchung des Polykarpbriefes, j gezwungen, ihr zu folgen. Den Beweis aber getraue ich
welche S. 14—42 mit Recht vorangeftellt ift, bewegt fich mir anzutreten, dafs die eben angedeutete Annahme den
der Verf. in einem Cirkelbeweife. Soll diefe Unterfuchung , fonft aufgeftellten Hypothefen überlegen ift. —
für die Ignatiusbriefe von Bedeutung werden, fo ift der j Sehr dankenswerth ift die literarifche Beilage, welche
Brief zunächft ftreng für fich in's Auge zu faffen. Der I der Verf. feiner Unterfuchung hinzugefügt hat. Wir erhalten
Verf. weift nun, m. E. mit guten Gründen, nach, dafs ! hier die alte lateinifche Ueberfetzung der Usher'fchen
weder die Echtheit, noch die Integrität, noch die Ueber- Sammlung der Ignatiusbriefe und des Polykarpbriefes
lieferung diefes Briefes, wenn man von der Exiftenz der in kritifcher Recenfion (S. 151—212) und mit trefflichen
heben Ignatianen einmal abfieht, zu Bedenken Anlafs Prolegomenen (S. 139—150).

Giefsen. A. Harnack.

giebt, ja dafs alle Bedenken hier zu fehr künftlichen
Annahmen führen. Aber er fpringt nun plötzlich über
einen fehr breiten Graben, indem er mit der Echtheit
des Polykarpbriefes zugleich feine Ab- Schaff, Philip, History of the Christian Church. A new
faffung unter Trajan für erwiefen anfieht. Woher edition, thoroughly revised ad enlarged. Vol. II: Ante-
hat der Verf. diefes Datum? Weder giebt es eine Spur Nicene Christianity. A. D. 100-325. New York,
einer Iradition tur dasfelbe, noch kann man im Ernfte 1

behaupten, dafs der Inhalt des Briefes gerade auf die
trajanifche Zeit weife. Der Verf. mufs es alfo aus der
Erwägung genommen haben, dafs der Verf. der Ignatianen
in dem Briefe erwähnt fei und dafs diefer der trajanifchen

Scribner's Sons, 1883. (XIV, 877 S. gr. 8.) # 4. -

Diefer zweite Band der grofsen Kirchengefchichte
von Schaff, deren dritter Band foeben erfchienen ift
(Bd. I. f. diefe Ztg. VIII, 5), umfafst die Zeit von Trajan

Zeit angehöre. Das aber ift eben die Frage. Sieht man i bis Conftantin. Wir befitzen zur Zeit in Deutfchland
wiederum, wie es allein in der Ordnung ift, den Brief kein Werk, in welchem die zahlreichen Entdeckungen
zunächft auf fein eigenes Zeugnifs an, fo ift nur ein 1 und Arbeiten der letzten dreifsig Jahre fo vollftändig
doppeltes Urtheil möglich: entweder man verzichtet auf ; aufgeführt find, wie in dem hier vorliegenden. Um
jede nähere Zeitbeftimmung und zieht fich auf das halbe diefes Vorzuges willen verdient das Buch Aner-
Jahrhundert (100—155) zurück oder aber man getraut kennung und Dank. Dazu kommt, dafs der Verfaffer
fich zu beweifen, dafs der Brief die marcionitifche Be- 1 beftrebt gewefen ift, wirklich den ganzen Stoff zufammen-
wegung bereits vorausfetzt; denn — abgefehen von dem hängend vorzuführen. In 13 Capp. (204 §§) ift derfelbe
Verhältnifs des Briefes zu älterer chriftlicher Literatur, 1 zerlegt und zur Darfteilung gebracht. Aber einen wirkweiches
für ein fpäteres Datum in's Gewicht fällt — ift liehen Fortfehritt in der Kirchengefchichtsfchreibung
c. 7, 1 die relativ deutlichfte Stelle für die Zeitlage. 1 vermag ich in dem Werke nicht zu erkennen. Das
Auf diefe Stelle, die auch Zahn (a. a. O. S. 496) nur | Neue, welches hier verwerthet ift, hat die alten bekannten
flüchtig behandelt hat (ausführlicher in feiner Ausgabe ! Schemata nicht gefprengt und die Betrachtung der Ge-
p. 121 sq.), ift Funk (S. 37 f.) fo gut wie gar nicht ein- fchichtc, wie fie Neandcr, letztlich auf G. Arnold fufsend,
gegangen. Er begnügt fich, wahrfcheinlich zu machen, eingeführt hat, nicht wefentlich modificirt. In diefer
dafs Polykarp den Ausdruck ,7t o cot 6t oxo g tov —ccTCtvä' Hinficht ift es fchon charakteriltifch, wie unverhältnifs-
mehrfach gebraucht hat. Als ob damit die Sache ab- mäfsig kurz und ungenügend die politifche Kirchenge-
gethan wäre. Die ganze Satzgruppe, vor allem aber das fchichte einfchlicfslich der Verfaffungsgefchichtebehandelt
iieSoöevsiv toc Xöyia tov xvqi'ov, ift zu erwägen. Von ift. Dazu kommt, dafs der Verfaffer auf die Arbeiten
abfoluter Sicherheit ift ja nicht die Rede. Wohl aber ; der Profanhiftoriker Rückficht zu nehmen, fich nur ganz
läfst fich foviel mit Sicherheit fagen: der Polykarpbrief feiten veranlafst gefehen hat. Man macht die gleiche
ift der Annahme, die Ignatiusbriefe feien unter Trajan i Beobachtung bei dem grofsen, über ein Viertel des
gefchrieben, nicht günftig, gefchweige dafs er ein Zeugnifs ' Werkes füllenden Capitel, welches der kirchlichen Litera-
für diefe Annahme brächte. Man darf wohl behaupten, < turgefchichte des Zeitraums gewidmet ift. Soweit hier
dafs Niemand auf Grund des inneren Befundes je daran 1 überhaupt Gefichtspunkte gegeben find, find es die altgedacht
hätte, den Polykarpbrief und die Ignatianen in j bekannten fo überaus dürftigen und ungenügenden,
die Zeit des Trajan zu verfetzen, wenn man nicht das • Dafs und wie es zu einer chriltlichen Literatur gekommen
Zeugnifs einer fpäten Tradition für verbindlich erachtet ] ift und in welchem Verhältnifs diefe Literatur zu der
hätte. Dafs diefe Tradition eine fo fchmale ift, dafs fie j ihr gleichzeitigen profanen fteht, erfährt man ebenfo-
in Verbindung mit der einzig noch übrigen, anderen fteht, j wenig, als man irgendwie zureichenden Auffchlufs da-
Ignatius fei der 2. Bifchof Antiochiens gewefen, dafs i rüber erhält, in welchem Verhältnifs die fich bildenden
diefe Ueberlieferung aber ein Vertrauen nicht verdient, j kirchlichen Rechts- und Verfaffungsformen zu den ihnen
hat man nicht erwogen. I parallelen im Reiche geftanden haben. Wir haben alfo