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Ausgabe:

1884 Nr. 4

Spalte:

94-95

Autor/Hrsg.:

Funcke, Otto

Titel/Untertitel:

Englische Bilder in deutscher Beleuchtung. 2. Aufl 1884

Rezensent:

Fay, Friedrich Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 4.

94

diefe Arbeit. Paitor Scheibe hat über die Lutherftätten
in Erfurt eingehenden Bericht erftattet. Ein Beitrag zur
kirchlichen Culturgefchichte ift der nächfte Auffatz, in
welchem der Herausgeber über die früheren Erfurter
Lutherfefte Bericht giebt: 1617, 1717, 1730, 1817, 1830,
1846. Leider Banden über die beiden erften Fefte nur
fparliche Nachrichten zu Gebote; ein detaillirterer Bericht
wäre hier um fo erwünfehter gewefen, als es fich um
Reformationsjubiläen unter katholifchem, erzbifchöflichem
Regimente dabei handelte; bei den fpäteren Feften, über
welche reichlichere Quellen vorhanden waren, hätte das
Referat vielleicht noch mehr darauf bedacht nehmen
können, durch Mittheilung charaktcriftifcher Worte aus den
Feftreden und Feftgedichten den jedesmal herrfchenden
kirchlichen Geilt anfehaulich zu machen. 1817 ragt be-
fonders hervor als grofse Verbrüderungsfeier der beiden
evangelifchen Confeffionen; follte denn nicht aber damals
der landesübliche Rationalismus dabei auch irgendwie
Ausdruck gefunden haben? — Den ausfuhrlichften Beitrag
;S. 131—266) hat Prof. Kirchhoff mit einer Arbeit über
,Erfurt und Guftav Adolf geliefert. Sie giebt noch
mehr als der Titel befagt, nämlich eine Gefchichte der
Stadt von ICCO bis zu ihrer Rückeroberung durch den
Mainzer Kurfürften mit franzöfifchen Truppen am 5. Oct.
1664. Wir müffen es uns vertagen, über das intereffante
Capitel deutfeher Gefchichte im 17. Jahrh., das hier behandelt
ift, näher zu referiren. Den Theologen geht der
letzte Auffatz (Paftor Winkler über das gegenfeitige
Verhältnifs der Evangelifchen und Katholiken Erfurts
in Vergangenheit und Gegenwart) wieder näher an. Ein
höchft lehrreicher Beitrag zur Gefchichte der Beziehungen
der Confeffionen zu einander wird hier geboten. Kaum
dürfte auch eine andere Stadt Deutfchlands hierin eine
fo reiche und wechfelvolle Gefchichte aufzuweiten haben.
Auf den erften. ftürmifchen und gewaltthätigen Sieg der
Evangelifchen folgt 1530 im Hammelburger Vertrage die
Herftellung eines ziemlich friedlichen Nebeneinanders
beider Confeffionen unter erzbifchöflicher Herrfchaft. Am
Ende des Jahrhunderts beginnen die kathol. Rcactions-
verfuche. verfchiedene Kirchen und Stiftungen werden
zurückerobert, 1601 wird eine Refidenz, 1619 fogar ein
Collegium der Jefuiten in der Stadt etablirt. Nach dem
Reftitutionsedict fuchen die Mönche ihre alten Klöfter
wiederzugewinnen; dagegen kommen bald darauf unter
Guftav Adolf die Evangelifchen in den Alleinbefitz der
Kirchen, ein Zuftand, der jedoch fchon 1635 fein Ende
erreicht. 1664 verliert der Rath der Stadt die Selbftändig-
keit, die er früher dem erzbifchöflichen Regimente gegenüber
befeffen; der Mainzer wird im vollen Sinne Landesherr
, und damit erhält die katholifche Kirche, die vorher
der evangelifchen Majorität gegenüber die geduldete gewefen
war, das entfehiedene Uebergewicht. Die Evangelifchen
müffen es fich jetzt z. B. gefallen laffen, dafs
ihnen das Singen gewiffer Lieder im Gottesdienft verboten
wird, die Proceffionen entfalten wieder ihr Schaugepränge
, die Jefuiten drängen fich auf die Lehrftühle
der Univerfität, ihr Bekehrungseifer macht fich an die
evangelifchen Soldaten heran u. dgl. Erft die Aufhebung
des Ordens und das hereinbrechende Zeitalter der Aui-
klärung macht diefem aggreffiven Vordringen der römi-
fchen Kirche ein Ende, und es beginnen die vom Verf.
wohl CTar zu idyllifch in ihrer Lichtfeite hervorgehobenen
Zeiten gemüthlicher Verträglichkeit. Das charakteristifche
Gedicht im Erfurter Almanach v. 1817 (befonders S. 383)
ift dabei vom Verf. unberücksichtigt gelaffen. Erft Bifchof
Martin von Paderborn hat feiner Geiftlichkeit den freund-
fchaftlichen Verkehr mit den evangelifchen Predigern abgewöhnt
; in der Bürgerfchaft find dagegen, wie der Verf.
betont, imGrofsen und Ganzen die friedlichen Beziehungen
erhalten geblieben. — Diefer Ueberblick über den Inhalt
des Lutherfeft-Almanachs wird erkennen laffen, dafs die
Feftfchrift den verfchiedenften Intereffen Rechnung trägt
und Lefer weit über die Grenzen der Theilnchmer an

| dem Fefte des 8. Auguft hinaus beanfpruchen darf.
I Auf die Auffätze von Schum und Kirchhoff feien auch
die Gefchichtsforfcher aufmerkfam gemacht.

Magdeburg. G. Kawerau.

Funcke, Otto, Englische Bilder in deutscher Beleuchtung.

2. Aufl. Bremen, Müller, 1883. (XIX, 326 S. 8.) M. 3. —

Euncke's Schriften haben fich durch den frifchen
Ton, den fie anfchlagen, feit Jahr und Tag einen zahlreichen
Leferkreis erworben. Die ,Reifebilder und Hei-
mathklänge', ,die Schule des Lebens', die ,Chriftlichen
Fragezeichen' find in Folge hiervon zu einer ftattlichen
Zahl von Auflagen' gelangt. Jetzt zeigt uns der geehrte
Verf. ,Englifche Bilder in deutfeher Beleuchtung'. Eine
Reife nach England, die er im Jahre 1882 machte, hat
ihm zur Zeichnung diefer Bilder die Veranlaffung geboten
. Funcke gehört zu den Leuten, die das Reifen
verftehen, auf ihren Fahrten auch wirklich etwas fehen

; und das Gefehene zu beurtheilen wiffen. Lebendige
Schilderung und ruhige Erwägung wechfeln bei ihm fehr

| anmuthig mit einander; auch fehlt es nicht an praktifchen
Nutzanwendungen. So wird zuerft die Reife nach England
befchrieben (S. I—23), dann die nationale Phyfio-
gnomie der Engländer mit kräftigen Strichen markirt (S. 24

— 44). Zu dem Geräufche des .Londoner Strafsenlebens',
dem ein weiterer Abfchnitt des Buches gewidmet ift
(S. 45—56), bildet der .Englifche Sonntag', der zugleich
mit dem deutfehen verglichen wird, einen angenehmen

; Gegenfatz (S. 57—78). ,In Spurgeon's Tabernakel'
(S. 79—93) weilt man gern, obwohl unfer einem, eben-
j fo wenig als dem Verfaffer, alles gefällt, was da geredet
I und gethan wird. ,Dic hundert Gerechten in Sodonv
j (S. 94—144) laffen wünfehen, dafs deren taufend und
abermaltaufendmehr werden, denn wasF. über ,dieSchand-
i quartiere der Millionenftadt', die er tapferen Muthes be-
' fuchte, erzählt, ift ganz entfetzlich. Man lefe z. B. nur
j die Schilderung der Opiumkneipe (S. 107—109)! ,Wie
man in England die Trunkfucht bekämpft' (S. 145 — 189),
wird lichtvoll auseinandergefetzt, der vollftändigen Ab-
ftinenz der Teetotalers (nicht von tea, fondern von dem
ftammelndausgefprochenen Worte ,tota//yl =tee-tee-tee-tec-
totally S. 151) zwar nicht das Wort geredet, aber mit
vollftem Rechte in fehr ernftem Tone gefragt: ,Was thun
wir gegen den Krcbsfchaden unteres Volkes?' (S. 174

— 189). ,Die Heilsarmee' (S. 190—221), das letzte der
englifchen Reifebilder in deutfeher Beleuchtung, ift cha-
rakterifirt durch das Motto aus dem Römerbriefe: ,Ich
gebe ihnen das Zeugnifs, dafs fie eifern um Gott, aber
mit Unverftand' (Rom. 10, 2). Dafs der Unverftand
grofs, dafs die ganze Salvation anny eine durch und
durch krankhafte, an die Geifslerzüge des Mittelalters
erinnernde Erfcheinung ift, davon hat fich Ref. durch

| die forgfältige und wiederholte Betrachtung diefes ihn
befonders intereffirenden Reifebildcs auf's neue überzeugt.
Wenn F. fagt: Jener mechanifche Zug der Heiligkeits-
machcrei, jene fabrikmäfsige Seligmacherei, — geben der
ganzen Bewegung, welche mit dem Namen „Heilsarmee"
j bezeichnet ift, das Gepräge' (S. 196), fo ift das die reine
Wahrheit; wenn er ferner auf S. 287 bemerkt: ,Die
Jüngerfchaft Chrifti foll in der That eine die Welt erobernde
„Heilsarmee" fein. Die englifche Heilsarmee
beruht auf einem ganz richtigen und gefunden, göttlich-
grofsen Grundgedanken, nur dafs er aus dem Geift ins
j Fleifch gezogen und dadurch fratzenhaft entftellt und
j karrikirt worden ift', fo ftimmt Ref. auch damit überein.
| ,Oder ift es', um wieder mit dem Verf. zu reden, ,nicht
| läfterlich, wenn man, um den Pöbel zu kirren, Proclama-
j tionen, wie folgende erläfst: „1) Ausftellung und Vor-
führung von Hallelujah-Mädchen um 7 Uhr; 2) Abhaltung
des grofsen Feuer- und Schwcfelgottesdienftes um
i 7% Uhr; 3) Ausführung des Hallelujah-Galopps um
I 8 Uhr; 4) Abfeucrung der grofsen Golgatha-Kanone um