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Ausgabe:

1884

Spalte:

74

Autor/Hrsg.:

Dalton, Herm.

Titel/Untertitel:

Der sociale Aussatz 1884

Rezensent:

Schlosser, Georg

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73

74

Ohly, Pfr. Emil, Was soll ich predigen? 2. Bd.: Grabreden
für allgemeine Fälle. In Verbindung mit Freunden
hrsg. Wiesbaden 1882, Niedner. (VIII, 323 S. 8.)
M. 3- —

Grabreden für allgemeine Fälle eignen fich zu
einer vorbildlichen Veröffentlichung beffer, als Grabreden
für befondere Fälle, da für das Befondere ein Vorbild
eher hemmt als fördert. Der vorliegende Band ift ein
Beweis dafür, dafs Grabreden im Allgemeinen nicht fo
fchwierig find, wie ihnen häufig nachgefagt wird. Die
Schwierigkeit wird erft durch falfche Gefichtspunkte
hineingebracht. Wenn z. B. Grabreden überwiegend als
Lobreden oder gar Seligfprechungen auf der einen Seite
und als Gerichtsreden auf der anderen Seite betrachtet
werden, fo entftehen Collifionen mit dem eigenen Ge-
wiffen des Grabredners, der aus einzelnen Beobachtungen
oder Nachrichten doch nur ein einfeitiges und willkürliches
Bild von dem tiefften Innenleben des Verdorbenen
haben und entwerfen kann und darum kein Recht zu
einem endgiltigen Urtheil über denfelben hat, fei es nach
der guten oder nach der fchlimmen Seite; es entftehen
auch Collifionen mit den Empfindungen der Hinterbliebenen
, deren zu folcher Zeit befonders zartes Gefühl entweder
durch den Mangel an Wahrheit im Lob oder durch
Angriffe auf den Charakter des Verdorbenen leicht beleidigt
und erbittert wird. Zuweilen wird die Schwierigkeit
auf Koden des chridlichen Charakters der Grabrede umgangen
, indem der Tod ohne weitere Bedingung als Eingang
in ein feiiges Leben gepriefen und in dichterifchem
Schwünge das Diesfeits als Land der Heimathlofigkeit,
der Unruhe, des Unfriedens und Elends dem mit dem
Tode erreichten lichten Lande der vollkommenen Glück -
feligkeit gegenübergedellt wird. Oder man hört eine
türkifche Ergebung in Gottes Willen anpreifen. Alle diefe
Abwege mit Ausnahme der verurtheilenden Gcrichtsreden
find mir bei einzelnen der vorliegenden Grabreden in
Erinnerung gekommen.

Dem gegenüber gilt es, dafs Gottes Wort auch in
der Grabrede herrfchen mufs und nicht durch Ueber-
wucherung anderer Rückfichten gedämpft werden darf.
Auf Rührung foll fie nicht angelegt fein, obfehon der
Ernft des Todes, wie ihn Gottes Wort predigt, hier in
unvergleichlicher Weife zur Geltung kommen wird, wo
der Tod, diefer zufammenfaffende Abfchlufs irdifchen
Uebels, eine fo draftifche Sprache fpricht. Auf Einlullen
des Schmerzes darf es nicht abgefehen fein, obfehon der
Troft des Evangeliums, welches die Ueberwindung des
Zwiefpaltes zwifchen dem Ucbel und der Sehnfucht nach
Erlöfung und Freiheit predigt, hier einen hervorragenden
Platz finden wird. Das letzte Ziel der Grabrede mufs
immerdar bleiben, dafs die Grabgemeinde bei der beftimm-
ten Lage, in welche fie durch den Todesfall verfetzt worden
ift, die auch den Tod überwindende Kraft des göttlichen
Wortes erfährt und mit dem Troft zugleich neue
Glaubenszuverficht gewinnt.

Die Mehrzahl der vorliegenden Grabreden wird von
diefem Gefichtspunkt bcherrfcht, manche find vorzügliche
Vorbilder dafür wie z. B. Nr. 2, Nr. 18 und andere.
Deshalb kann der Geiftliche aus der Leetüre diefer Reden
gewifs viel lernen.

Der Stil ift natürlich fehr ungleich, jeder Vogel fingt
feine Weife. Zuweilen drängt fich dichterifchcr Schwung
für Grabreden zu ftark hervor, fo in Nr. 11 und Nr. 65,
wo ein Telegramm traurigen Inhalts in der Grabrede poc-
tifch umfehrieben wird: ,um diefer Liebe willen folgte
der Gatte dem Rufe des gefangenen Blitzes an die
Stätte' etc. Im Ganzen fcheinen mir jedoch auch in fti-
liftifcher Beziehung die vorliegenden Reden ihrer Aufgabe
gerecht zu werden.

Salbcke b,Magdeburg. Beffer.

Dalton, Herrn., Der sociale Aussatz. Ein Wort über Pro-
ftitution und Magdalenenafyle. Hamburg, Agentur
des Rauhen Hauses, 1884. (64 S. gr. 8.) M. 1.—.

Das Schriftchen enthält einen Vortrag, der, veran-
lafst durch die Arbeit der Stadtmiffion auf diefem dunklen
Nachtgebiete, in Petersburg in einer Verfammlung von
Herren gehalten worden ift. Mit tiefem Ernfte wird diefe
eiternde Wunde der Proftitution aufgedeckt, mit fittlichem
Unwillen vertritt der Verf. die Forderung des Internationalen
Vereins', den Kampf gegen die ftaatliche Toleranz
und Reglementirung der Unzucht, als eine Herabwürdigung
des Staates, wie des weiblichen Gefchlechts.
Auf die namhafteften Gewährsmänner, von denen im
Anhang ergreifende Acufserungen mitgetheilt werden,
Aerzte, Statiftiker, Staatsmänner, geftützt, weift er nach,
dafs die Reglementirung, während fie die Immoralität
unterftützt und befördert, noch nicht einmal den erftreb-
ten fanitären Zweck erreicht. Es ift ein herzbewegender
Weckruf an die Gewiffen der Chriften, vor allem der
chriftlichen Männerwelt, unter Ablegung falfcher Scheu
den Kampf wider diefe Leib und Seele mordende Peft
und deren falfche Behandlung von Seiten der Staaten
aufzunehmen, und mit einzutreten in die Arbeit der Rettung
an den Gefallenen, die fich felbft oft fo entfetzlich
elend fühlen unter ihrer Sünde, wie an erfchütternden
Beifpielen dargethan wird.

Aus theologifchen Kreifen, welcher Richtung fie angehören
, wird die principielle Auffaffung des Verf.'s keinem
Widerfpruch begegnen. Ift doch felbft die Zahl der
Aerzte, die fie theüen, in rafchem Wachsthum begriffen.
Möchten feine herzbewegenden Worte auch nur überall
ein offenes Ohr und willige Herzen finden!

Giefsen. Gg. Schloffer.

Römheld, Pfr. Dr. C. J., Die Verpflanzung der inneren Mission
, insbesondere der weiblichen Diakonie, auf das Land.

Ein Referat, zu Nidda auf der Synode gleiches Namens
am 26. Septbr. 1882 erftattet. Gotha, Schloefsmann,
1883. (76 S. 8.) M. 1. —

Diefer Vortrag giebt Antwort auf die von dem Grofsh.
I Oberconliftorium in Darmftadt den Dekanatsfynoden des
| Landes geftellte Proponendum: ,Wie können die Be-
I ftrebungen, welche man im allgemeinen als die der
Inneren Miffion bezeichnet, von den Dekanatsfynoden gefördert
werden?' Im erften Theile befchäftigt er fich
mit dem Wefen der I. M., im zweiten Theil wird dann
fpccicll die Frage, was die Dekanatsfynoden auf diefem
Gebiete thun können, erörtert.

Der Verf. hat eine ganz ungemeine Gabe, frifch,
lebensvoll und concret zu reden und zu fchreiben. Da
1 findet man keine langathmigen Definitionen, keine blaffen
Abftractionen. Alles ift fo unmittelbar aus dem Leben
gefchöpft, mit feinem tieffchauendem Blick und warmem
! Herzen.

Das macht fich befonders wohlthuend in dem erften
allgemeineren Theil geltend. Neben den zahllofen Er-

j örterungen über das Wefen der I. M., welche unfere
Zeit bringt, wird man diefe immer noch mit hohem Ge-
nufs lefen. Der Verf. hat als junger Candidat an dem

| erften Wittenberger Kirchentag theilgenommen und un-
vergefsliche Eindrücke von dem Auftreten Wichern's mitgebracht
. Frifch und lebendig giebt er in einer Schildc-

I rung feiner Erlebnifse ein charakteriftifches Bild der Ge-
burtsgefchichte der L M. Was er dann vom Wefen der
L M., von ihrer Nothwendigkeit, von der Gefahr unge-

j funden Machens, wobei die nächftliegcnde Pflicht
verfäumt und die Gottfeligkeit zum Gewerbe gemacht
wird, fagt, oft mit draftifchen Beifpielen belegt, ift alles
ebenfo treffend, als gefund. Sehr richtig wird der Gefichtspunkt
geltend gemacht, dafs die innere Miffion mehr