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Ausgabe:

1884 Nr. 3

Spalte:

67-71

Autor/Hrsg.:

Krüger, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Luther und Bender 1884

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 3.

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Lehre von der ,Offenbarung' zu trennen von der über
die .Exiftenz Gottes'. Was den Verf. in feinem 3. Capitel
(,die Offenbarung') bewegt, das ift die Idee von der unmittelbaren
Beziehung zwifchen Gott und dem Menfchen.
Die Religion beruht da, wo üe wirklich ift, auf einer
,Selbftkundgebung Gottes im Menfchen' und das fei die
.Offenbarung'. Ich weifs, dafs ich hier einen Punkt berühre
, wo die- romantifchen Theologen gegenüber der
RitfchTfchen Theologie eine befonders fichere Pofition
zu haben vermeinen. Sie hätten Recht, wenn fie die
Ritfchl'fche Pofition hier nicht verkannten. Nämlich es
giebt, das ift für den Chriften, auch einen Ritfchlianer,
felbftverftändlich, eine unmittelbare Beziehung zwifchen
Gott und dem Menfchen. Es giebt auch ,Selbftkund-
gebungcn Gottes im Menfchen'. Aber nun wolle man
doch da, wo nicht äfthetifch-phyfifche, fondern ethifche
Vorftellungen von Gott und feinem Verhältnifse zur Welt
refp. der Stellung des Menfchen in der Gotteswelt die
mafsgebenden find — und das ift für M. der Abficht
nach der Fall — fich klar machen, dafs diefe unmittelbaren
Beziehungen zwifchen Gott und dem einzelnen
Menfchen und diefe ,Selbftkundgebungen Gottes im
Menfchen' keine empirifch-nöthigende, fondern Glau-
bensobjecte find. Ich glaube an ein perfönliches
Vcrhältnifs zwifchen Gott und mir. Und ich glaube,
dafs Gott mich real in feiner Hand hat und feine Macht
und feinen Geift an und in mir bethätigt. Wenn ich
nun Dinge erlebe, die diefem Glauben conform find, fo
ift es mifsbräuchlich, dabei von einer Offenbarung Gottes
an mich zu reden. Denn alle unbegreiflichen und be-
feligenden Erlebnifse meines Innern, die ich als Chrift
auf Gott zurückführe und in denen ich meine aparte
reale Beziehung zu Gott erfahre, fie find der Art, dafs
fie fofort als göttliche Wirkungen in Zweifel gezogen
werden müffen, wenn ich fie nicht zu legitimiren vermag
an meiner Beziehung zu Chriftus, deutlicher an dem
Offenbarungscharakter der Perfon Chrifti für die ganze
chriftliche Gemeinde. Auch der Verf. fieht fich nach
einern .Prüfltein' deffen, was er als Offenbarung ftatuirt,
um (S l3)- Er findet einen folchen in der ,Gewinnung
wahren Herzensfriedens, eines klare» und feften fitt-
lichen Charakters und einer einheitlichen, harmonifchen
Weltanfchauung'. Aber die Offenbarung ift vielmehr das
Fundament, von dem aus man fich klar zu machen hat,
was Herzensfriede fein darf, Charakter fein foll und eine
,harmonifche Weltanfchauung' genannt werden kann.
Doch es ift nicht möglich, diefen Problemen, fowie
anderen wefentlichen Differenzen mit M. (z. B. Lehre
von der Rechtfertigung) hier weiter nachzugehen.

Giefsen. F. Kattenbufch.

1. Bender, Prof. Dr. Wilh., Reformation und Kirchentum.

Eine akademifche Fcftrede zur Feier des 400jährigen
Geburtstages Martin Luthers. Bonn, Straufs, 1884.
(42 S. gr. 8.) M. 1. 20.

2. Krüger, Paft. Wilh., Luther und Bender. Paftorale Streit-
fchrift wider die akademifche Feftrede des Profeffor
Dr. Wilh. Bender in Bonn, am Lutherfeft 1883 gehalten
. Bonn, Cohen & Sohn, 1884. (55 S. gr. 8.) M. 1. —

3. Bärthold,A., Professor Benders Festrede und das christliche
Lebensideal. Gütersloh, Bertelsmann, 1884. (22 S.
8.) M. —. 40.

Diefe Rede, in welcher B. Luther's Gedächtnifs gefeiert
, hat einen Sturm der Entrüftung hervorgerufen,
der niemand überrafchen konnte und der ihn felbft am
wenigften überrafcht haben wird. Hat er doch in diefer
Rede bei der denkbar markanteflen Gelegenheit die die
evangelifche Kirche gegenwärtig beherrfchenden Richtungen
der fchärfften Kritik unterzogen und insbefondere
noch durch die provocatorifche und paradoxe Form

feiner Behauptungen die Anhänger jener Richtungen
fchwer verwundet und gereizt, ihren journaliftifchen Vertretern
aber einen über all' ihr Erwarten hinaus dankbaren
Stoff gegeben. Ob eine Feftrede beim Lutherjubiläum
zu folcher Herzenserleichterung der gewiefene
Anlafs war, dürfte fraglich fein. Es wäre wohl auch
ohne den Zufatz des pikanten möglich gewefen, den der
Kirche und ihren traditionellen Formen entfremdeten Krei-
fen der Gebildeten die bleibende Bedeutung der pofitiven
reformatorifchen Ideen Luther's und der Kirche, welche
das directe Organ für ihre Pflege ift, verftändlich zu
machen. Denn dies ift die pofitive und unmittelbare
Tendenz der Rede, von der aus fie gewürdigt fein will.
Solche, die der kirchlichen Lehrüberlieferung als einem
intellectuelle Unterwerfung fordernden, unverftandenen
Lehrgefetz innerlich fremd gegenüber flehen und auch
den individuellen religiöfen Entwicklungsgang Luther's
nicht als einen allgemein mafsgebenden zu begreifen im
Stande find, will B. zum Bewufstfein bringen, dafs wir
Luther eine über jenes beides hinausreichende Gefammt-
anfehauung verdanken, welche die gefchichtliche Quelle
für unfere beflen Culturgüter und noch heute und für
alle Zeit die lebendige Kraft ift, als Regel unferes per-
fönlichen Lebens uns zu befreien und zu befriedigen.
Das ift nicht die Summe von Dogmen, die Luther von
dem Katholicismus beibehält, fondern feine Heilslehre
{sacramentum und exemplum, wie Luther öfter diefe beiden
Momente als das, worauf es ankommt, zufammen-
fafst], (die Anfchauung von Chriftus als der Offenbarung
der Liebe Gottes und der Verwirklichung der menfeh-
lichenBeftimmung. —) Von den zwei Momenten, die diefes
einheitliche Ganze in fich befchliefst, dem rechtfertigenden
Glauben an Chriftus und dem Lebensideal, das mit
diefem Glauben als Aufgabe geftellt und für deffen Verwirklichung
diefer Glaube die Kraft gewährt,.ift dem Ver-
ftändnifs jener Kreife jedenfalls das letztere leichter näher
zu bringen. Mit ihm mufstc darum B.'s Rede beginnen,
um von da aus auch den Werth des erften darzuthun.
Für die Klarheit des Blicks, welche die Verfaffer der
Entgegnungen auf B.'s Rede fich bewahrt haben, ift es
charakteriftifch, dafs Krüger, der noch relativ mafsvoll
ift, B.'s analytifchen Gang fo interpretirt: ,Das Lebensideal
geht für den modernen Luther-Verehrer dem Glau-
bensfatz vorauf; bei ihm kommt die Ethik nicht aus der
Dogmatik — die Stellung zur Welt nicht aus der Stellung
zu Gott'. Ex ungue leonem!

Was nun das Lebensideal anlangt, fo hat B. mit
Recht keineswegs die formelle Seite desfelben, in der
es für den Liberalismus aufzugehen pflegt, die Freiheit
des Einzelnen, in den Vordergrund gerückt, fondern die
inhaltliche, wonach es im Gegenfatz zu mönchifch-welt-
flüchtiger Askefe und Befchaulichkeit Gottvertrauen
und Nächftenliebe bedeutet, die in den von Gott geheiligten
Ordnungen des weltlichen Lebens, im Beruf
mit einem Wort, ausgeübt werden follen.

An diefem Punkte fetzt Bärthold's in ruhigem, leife
ironifchem Tone gehaltene Gegenfchrift ein. Er hebt
hervor, dafs die Frageftellung auf das Lebensideal eine
glückliche ift, fucht aber um fo mehr zu zeigen, dafs das,
was B. als Lebensideal L.'s bezeichnet, hinter dem des
N. T.'s weit zurückbleibe und auch nicht für uns Men-
i fchen genügen könne, nicht für die harmonifcher Verhältnifse
ihres Berufs und Lebens fich Erfreuenden, ge-
fchweige denn für die unter der Laft des Lebens Seufzenden
. Man wird diefen trefflichen Ausführungen fachlich
völlig Recht geben können. Denn, wenn die Trias
Gottvertrauen, Berufstreue, Menfchenliebe nicht daran
ihren Beziehungspunkt hätte, durch welchen jene formellen
Begriffe erft ihren eigenthümlich chriftlichen Inhalt
und Sinn bekommen, dafs nämlich der Einzelne
durch fein Verhältnifs zu Gott des ewigen Lebens ficher
und davor gefchützt ift, fich in die Welt und die empiri-
fche Menfchenwelt als Rad in einem grofsen Triebwerk