Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1884

Spalte:

65-67

Autor/Hrsg.:

Mehlhorn, Paul

Titel/Untertitel:

Grundriss der protestantischen Religionslehre 1884

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 3.

66

KZeitg. zu der von R. in einer früheren Schrift acceptir-
ten JaniTen'fchen Ueberfetzung eines Paffus aus Luther's
Brief an J. Lange vom 18. Aug. 1520 gemacht hatte.
Luther erklärt hier, dafs er ,in deccptionem et nequitiam1
des Papftes Alles für erlaubt halte. Janffen-Röhm überfetzen
das: ,zur Hintergehung und zum Verderben'.
.Bekanntlich — hatte die KZeitg. bemerkt — heifsen die
Worte: gegen den Betrug und die Schlechtigkeit'. R.
ruft die Philologen an, denen man die Entfcheidung
überlaffen möge. Wahrlich ein Trumpf! Die Philologen
können fich in's Fäuftchen lachen, von einem Theologen
angerufen zu werden, ob ,nequitia' Schlechtigkeit oder
Verderben heifse.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Mehlhorn, Gymn.-Prof. Dr. Paul, Grundriss der protestantischen
Religionslehre. Leipzig, Barth, 1883. (VIII,
48 S. gr. 8.) cart. M. —. 80.

Der Unterzeichnete hat nie als Lehrer an einem
Gymnafium oder einer ähnlichen Lehranftalt fungirt.
Deshalb vermag er auch nicht über den pädagogifchen
Werth diefes Grundriffes zu urtheilen. Er kann nur
bemerken, dafs der Verf. in hervorragendem Mafse die
Gabe der Prägnanz und Verftändlichkeit des Ausdrucks
hat. Zweierlei hat ihn an dem Schriftchen intereffirt:
fein theologifcher Standpunkt, feine methodifche Dispo-
fition. Die Einleitung hat 4 Capitel: 1) das Wefen der
Religion, 2) die Exiftenz Gottes, 3) die Offenbarung,
4) Ueberblick über die Religionsgefchichte. Dann folgt
unter dem Titel ,die chriftliche Religion' die Darlegung
des dogmatifch-ethifchen Syftems nach den folgenden
Rubriken: I) das chriftliche Ideal des Reiches Gottes,
2) die chriftliche Lehre von Gott, 3) die chriftliche Lehre
vom Menfchen, 4) die Erlöfung und Stiftung des Reiches
Gottes durch Chriftus, 5) die Lebensordnung des Gottesreichs
, 6) die Vollendung des Gottesreichs. Es kann
ohne Zweifel nur durch eine wirkliche Ineinanderarbeitung
des ethifchen und dogmatifchen Stoffes dem landläufigen
Vorurtheil, dafs die Moral mit der Religion Nichts zu
thun habe, entgegengewirkt werden. Und der Verf. hat
es wirklich vermocht, den Lehrftoff in der Art einheitlich
aufzufaffen, dafs er fich ftetig die beiden Seiten desfelben
Gegenftandes vergegenwärtigt, die religiöfe, wonach
Alles unter dem Gefichtspunkte des Gottesglaubens
d. h. des Glaubens an das Dafein und die zweckbewufste
Thätigkeit Gottes in der Welt feit allem Anfang aufge-
fafst werden mufs, und die fittliche, wonach ebenfo
Alles unter den Gefichtspunkt einer frei zu ergreifenden
Befiimmung des Menfchen und einer durch den Gottesglauben
geleiteten, aber doch eben durch menfehliche
Reflexion bedingten Organifation der Welt durch den
Willen des Menfchen tritt. Der allgemeine Fortfehritt
der Gedankenentwicklung ergiebt fich bei dem Verf. für
den Haupttheil im Einzelnen correct und ohne Sprünge.
Minder zweckmäfsig ift mir der erfte Theil d. h. die fog.
.Einleitung' erfchienen. Doch das hängt bereits zufam-
men mit dem theologifchen Standpunkte, den der Verf.
einnimmt. .Gelernt habe ich natürlich — bemerkt er in
der Vorrede — von fehr verfchiedenen neueren Bearbeitungen
meines Stoffes. Ein dankbarer Schüler von
Biedermann, Pfleiderer, Lipfius u. a. habe ich doch auch
von der Theologie Ritfchl's mir Vieles angeeignet'. Das
ift richtig. Die Arbeit hat wirklich ein Doppelgeficht.
Das giebt ihren Ausführungen inhaltlich etwas Uneinheitliches
. Gewifs verträgt fich in der Perfon des Verf.'s
die Pietät gegen Biedermann etc. mit der Annahme
Ritfchl'fcher Ideen vollkommen. Ich möchte auch meine
Freude ausdrücken, einmal einer Perfonalunion der fo
verfchiedenen Richtungen begegnet zu fein. Aber der
Verf. täufcht fich, wenn er wirklich meint, eine fachliche
Verföhnung der beiden Richtungen gefunden zu haben.
Gewifs können die beiden (oder die drei) Richtungen

zufammenarbeiten, nämlich wenn man die Bemühungen
um das Verftändnifs desfelben Objects bei wirklichem
Eingehen auf die Anfchauungen des Gegners fo bezeichnen
will, wie man doch darf. Auf dem Grunde
folcher wirklichen gemeinfamen Arbeit könnte der
Streit, der fachlich rückfichtslos geführt werden mufs,
aller perfönlichen Widerwärtigkeit entkleidet werden.
Und das wäre viel werth. Ich will nur einen der wefent-
lichften Punkte zur Beleuchtung der zweierlei Strömungen
in dem Büchlein von M. berühren. Nach einer recht
guten Darlegung des Wefens der Religion und einer
ebenfalls vortrefflichen Kritik der fog. Beweife für das
Dafein Gottes läfst der Verf. fich daran genügen, eine
.Motivirung des Gottesglaubens' in dem fittlichen Gedanken
des Gottesreichs als höchften Gutes des Menfchen
aufzuweiten. Er überfchreitet die Stufe der Romantik,
fofern er eine abfolute Wahrheit desjenigen Gottesglaubens
, der nach diefem Motiv geartet ift, ftatuirt.
Aber er bleibt in der Romantik hängen, fofern er die
Wahrheit diefes Gottesglaubens in der Region der fub-
jectiven Stimmungen und Erlebnifse fucht. Hier eine
fefte Pofition zu gewinnen, wäre aber doch nur möglich
, wenn die ethifchen Stimmungen und Erlebnifse
fixe, naturgefetzlich fichere Gröfsen in der Menfchheit
wären. Das find fie in Wirklichkeit keineswegs. Man
kann das fittliche Intereffe und Verftändnifs in fich er-
tödten, kann, wenn man es nicht ertödtet, es wie eine
wunderfame Schwachheit des Gemüthes fich vergegenwärtigen
, kann fich mindeftens mit dem Gedanken plagen,
dafs man nur den unverwifchbaren Eindrücken der Erziehung
unterftehe. In folchem Falle wird man wenig
Muth zum Gottesglauben, der ja nach dem Verf. (und
wie in der That) allein die praktifche Sicherung des
fittlichen Intereffes ift, in fich felbft und feinen .Motiven'
finden. Der Gedanke einer Offenbarung Gottes kann
uns höhere Dienfte thun, als der Verf. bemerkt. Aber
freilich, man mufs auch den Gedanken der Offenbarung
aus der blofs romantifchen Deutung, die er fefthält,
herausheben. Luther wufste, was er that, wenn er den
Schwärmern und ihrer Berufung auf den ,Geift' nicht
traute. Alle christlichen oder wahren Gedanken der
Religion haben fich zu bewähren am .Worte'. Das Wort
oder Chriftus ift als die Offenbarung Gottes die Autorität
und der Beweis des Gottesglaubens. Das Verftändnifs
für das, was Chriftus ift, knüpft freilich an bei der fittlichen
Art des Menfchen. Aber darum ift die .fittliche
Art' doch nicht etwas, was wie ein fertiges Datum vorab
dagewefen wäre. Sie hat fich in ihrer fpeeififchen Art
erzeugt an der Perfon Chrifti, freilich nicht fo, als ob
durch Chriftus eine befondere pfychifche Elementarpotenz,
von der das fittliche Vollverltändnifs abhinge, in uns erweckt
wäre, wohl aber fo, dafs in ihm mit der eigentlichen
Idee des Sittlichen auch der fpeeififche Werth
des Sittlichen für uns erft aufgegangen ift. Der Verf. ift,
wie fpätere Ausführungen (bef. § 33 ff.) beweifen, für
diefen Gedanken nicht verfchloffen. Aber die Bedeutung
Chrifti reicht weiter. Bei dem Gedanken, dafs Chriftus
die fittliche Art in uns unvertilgbar gegründet habe,
Halt zu machen und es zu ignoriren, dafs Chriftus zugleich
eine Offenbarung Gottes, in dem Sinne, dafs er
auch die Legitimation unferer .fittlichen Art' ift, darftellt,
das könnte doch nur empfehlen, wer etwa dächte, dafs
der Naturforfcher feine Motive ein Gefetz zu poftuliren,
feine Schlüffe z. B. auf die ,Nothwendigkeit' des Vor-
handenfeins eines Sterns, bereits für Beweife hielte. Es
fleht auch innerhalb der wirklichen chriftlichen Gemeinde
fo, dafs die von Chriftus geweckte ,fittliche Art' des
Menfchen mit all den daraus entfpringenden .Motiven'
des Gottesglaubens zu dem wirklichen, feiner Sache ge-
wiffen religiöfen Glauben nur hinausführt, weil der Blick
auf denfelben Chriftus ihr Gott als Realität zeigt. In
Chriftus fieht man den Stern, den man fonft nur ercal-
culirt. Alfo es ift nicht zutreffend, mit dem Verf. die