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Ausgabe:

1884 Nr. 3

Spalte:

61-63

Autor/Hrsg.:

Ziegler, Leo

Titel/Untertitel:

Bruchstücke einer vorhieronymianischen Uebersetzung des Pentateuch 1884

Rezensent:

Gebhardt, Oscar

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61 Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 3. 62

fame Setzung der Vocalbuchftaben (S. 366, vgl. dazu
ZDPV Bd. V, 206) u. a. verzichtet Referent um fo lieber,
als er nicht gern an Kleinigkeiten herummäkeln möchte,
wo ihm das Ganze den Eindruck einer hervorragenden
wiffenfchaftlichen Leiftung gemacht hat, welche der
deutfchen Bibelforfchung zur Ehre gereicht.

Tübingen. E. Kautzfeh.

Ziegler, Leo, Bruchstücke einer vorhieronymianischen Ueber-
setzung des Pentateuch, aus einem Palimpfefte der k.
Hof- und Staatsbibliothek zu München zum erften
Male veröffentlicht. Mit 1 photo-lith. Taf. München,
Literar.-artift. Anftalt, 1883. (VI, XXX, 88 S. gr. 4.)
M. 15. —

Nachdem fchon vor Jahren Thomas (Sitzungsberichte
der künigl. bayer. Akademie der Wiffenfch. 1869, I. S.
4) auf die im Cod. Lat. Monac. 6225 (Frising. 25) enthaltenen
Palimpfeftblätter aufmerkfam gemacht hatte
(.ein altes Teftament aus dem VI. Jahrhundert'), theilte
der um die Italaforfchung verdiente Verfaffer (vgl. Lit.-
Ztg. 1876 Col. 373 ff., 1877 Col. 259 ff., 1879 Col. 73 ff)
in feiner Schrift über ,die lateinifchen Bibelüberfetzungen
vor Hieronymus' (1879) einige Proben daraus mit und
(teilte eine vollftändige Veröffentlichung in Ausficht.
Konnte man fchon nach jenen vorläufigen Mittheilungen
auf einen werthvollen Beitrag zu unferer Kenntnifs der
alten lateinifchen Verfionen rechnen, fo findet diefe Erwartung
in der vorliegenden Publication die erwünfehte
Betätigung. Unter den 115 im 9. Jahrhundert mit dem
Vulgatatexte einiger altteftamentl. Bücher befchriebenen
Blättern der genannten Münchner Handfchrift befinden
fich 39 referibirte, welche von erfter Hand umfangreiche
Bruchftücke aus Exodus (16 Bl.), Leviticus (7 Bl.), Numeri
(10 Bl.) und Deuteronomium (6 Bl.) in vorhieronymianifcher
Verfion enthalten. Auch neben dem inzwifchen bekannt
gewordenen Lyoner Pentateuch behaupten diefe FYag-
mente einen felbftändigen Werth, da fie theils folche
Stücke betreffen, welche dort nicht erhalten find, theils
einer von dem Lyoner Texte verfchiedenen Ueberfetzung
angehören. Leider ift der Zuftand der Münchner Blätter
ein recht übler. Einer Handfchrift gröfscren Formates
entnommen, wurden fie bei Herftellung des neuen Codex
fo ftark befchnitten, dafs nicht nur oben und unten
Zeilen verloren gingen, fondern auch, und zwar bei
fämmtlichen Blättern, die äufsere Columne (jede Seite
enthält deren zwei) bald mehr bald minder ftark be-
fchädigt wurde. Aufserdem hat die Handfchrift durch
Feuchtigkeit gelitten, wodurch namentlich die letzten
Lagen fleckig und faltig geworden find, und auch an

zerriffenen und durchlöcherten Blättern fehlt es nicht, über das Verhältnifs des Münchner Textes zu den übrigen

ift. Denn in vielen Fällen ift die Ergänzung fo unficher,
dafs man die Columnen der Handfchrift vor Augen
haben mufs, um fich über den verfügbaren Raum ein
Urtheil zu bilden. Buchftaben, welche nur noch theil-
weife erkennbar waren, wurden durch fette, Ergänzungen
völlig erlofchcner Schriftzüge durch liegende Schrift
kenntlich gemacht. Doch follten nach der Abficht des
Verf.'s nur fichere Ergänzungen dem Textesabdruck einverleibt
werden; in zweifelhaften Fällen wurde ein ent-
fprechender Raum leer gelaffen (dies hätte u. a. auch
S. 19 B 3 gefchehen müffen, da paratus est, trotz der
S. 78 angeführten Beifpiele, doch fehr unficher ift). In
der Einleitung (S. I—XXX) giebt der Verf. zunächft eine
genaue Befchreibung der Handfchrift und reconftruirt mit
Glück die Quaternionen, aus welchen uns Blätter erhalten
find. Darauf folgt eine Zufammenftellung der Sprachlichen
Erfcheinungen', auf welche augenfeheinlich befon-
dere Sorgfalt verwandt wurde (fie umfafst 12 Seiten).
Den Schlufs bildet eine verhältnifsmäfsig kurze Unter-
fuchung über das Verhältnifs des Münchner Textes zu
den übrigen Reften vorhieronymianifcher Verfionen (11
Seiten, darunter faft 9 Seiten Parallelcolumnen). Letztere
kommt zu folgendem Refultat: In den patriftifchenCitaten
ift der Münchner Text nirgends nachweisbar; er ift auch
von der im fog. Speailuin Augustini enthaltenen Verfion
verfchieden, desgleichen von den Fragmenten im Otto-
bonianus. Im B. Exodus, wo Cod. Wirceb. und Cod.
Lugdun. diefelbe Ueberfetzung, nur in verfchiedener Re-
cenfion, darbieten, gehört der Münchner Text einer von
beiden unabhängigen Ueberfetzung an. Im Leviticus
gehen alle drei, Wirceb., Lugdun. und Monac, weit auseinander
; ,von einer gemeinfamen, nur durch Abfchreiber
getrübten Quelle kann hier nicht die Rede fein'. In
Numeri und Deuteronomium folgen Lugdun. und Monac.
derfelben Ueberfetzung, während Wirceb., welcher nur
im Deuteronomium mit Monac. verglichen werden kann
(aus Num. ift nichts erhalten), zu letzterem in einem fo
eigenthümlichen, zwifchen Abweichung und Ueberein-
ftimmung fchwankenden Verhältnifs fteht, dafs Verf. fich
nicht getraut, ein beftimmtes Urtheil auszufprechen.
Hinter dem Text flehen Adnotationes (S. 77—87), in
welchen u. a. die Schreibfehler der Handfchrift berichtigt
und die Elrgänzungen des Herausgebers begründet werden.

Sehr bedauerlich ift, dafs der Herr Verf., wie er uns
im Vorwort mittheilt, aus verfchiedenen Gründen darauf
hat verzichten müffen, feine Unterfuchungen über die
Beziehung des im Münchner Palimpfefte erhaltenen Textes
zu der handfehriftlichen Ueberlieferung der LXX und
der aus derfelben gefloffenen Ueberfetzungen feiner
Schrift einzuverleiben. Diefe Unterfuchungen würden
u. a. auch dazu gedient haben, das oben referirte Urtheil

Ni mmt man dazu, dafs die ältere Schrift, befonders auf Pentateuchfragmenten näher zu begründen refp. zu modi-
der inneren, glatteren Seite des Pergaments meift bis ! ficiren. Entfchliefst fich der Verf., wie wir hoffen, dazu,
auf fchwache Spuren zerftört und überdies nicht feiten an einem anderen Orte auf den Gegenftand zurückzu-

von der horizontal darüber laufenden jüngeren Schrift
bedeckt ift (f. die gelungene Photolithographie), fo kann
man fich eine Vorftellung davon machen, welche
Schwierigkeiten der Herausgeber bei der Entzifferung zu
überwinden hatte. ,An einzelnen Stellen ift die Schrift
mit folchem Erfolge befeitigt, dafs bei heller Beleuchtung
faft keine Spur zu fehen ift und nur noch die Eindrücke
der abgewafchenen Buchftaben durch Einfallen eines
Schattens mühfam zu erkennen waren'. ,Auf einzelne
Zeilen mufsten ganze Tage verwendet werden, bis fich
deren Inhalt mit Sicherheit beftimmen liefs'. Dafs dies
in einigen Fällen trotz aller Bemühungen nicht gelingen
wollte, kann dem Dank, welchen wir dem Herrn Verf.
für die einer fo fchwierigen Aufgabe gewidmete Ausdauer
und Hingabe fchulden, keinen Eintrag thun.

Der gefchildtrte Zuftand des Palimpfeftes rechtfertigt
es, dafs der Text (S. 1—76) in möglichfter Nachahmung
des Originals zum Abdruck gebracht worden

kommen, fo wird ihm dabei de Lagarde's 'Librorum
Veteris Testamenti canonicorum pars prior Graece' gute
Dienfte leiden. Vergleicht man nämlich mit dem hier
dargebotenen Texte die Ueberfetzung des B. Exodus im
Cod. Monac. (M), fo gewahrt man, ungeachtet der Freiheit
, mit welcher die griechifche Vorlage behandelt
wurde, fo auffallende Coincidenzen, dafs die Annahme,
dem Ueberfetzer habe eine Handfchrift derjenigen Re-
cenfion vorgelegen, in welcher Field und de Lagarde
das Werk des Lucian (L) wieder erkannt haben, fich
fehr nahe legt. Hierfür nur einige Beifpiele: Ex. 16, 31
bieten die meiften Handfchriften der LXX (nach Holmes)
tiäv, h Liävva: M manna (Vulg. man); Ex. 17, 1 LXX
ovk t)v de, L xat ovx rjr: M et non erat; Ex. 17, 3 LXX
edliprjoe de exü d Xadg, L edii[njae de 6 Xadg es.el: M
sitwit autem populus ibi; Ex. 17, 4 LXX eßövae, L äve-
ßoqtn; M proclamavit; Ex. 32, 22 LXX xb dgfnaia xov
Xaov xovxov, L xov Xaov xovxov 10 oquuua: M populi