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Ausgabe:

1884 Nr. 3

Spalte:

55-56

Autor/Hrsg.:

Riehm, Ed.

Titel/Untertitel:

Zur Revision der Lutherbibel 1884

Rezensent:

Guthe, Hermann

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55

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 3.

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die würdig find des Herrn, fanftmüthige und nicht geldgierige
und aufrichtige und erprobte Männer; denn euch
leiden auch fie den Dienft der Propheten und Lehrer ').
Verachtet fie alfo nicht; denn fie find die Geehrten
unter euch zufammen mit den Propheten und Lehrern2).

Ueberführet einander, nicht in Zorn fondern in Frieden
, wie ihr es in dem Evangelium findet, und fo einer
an feinem Nächften fich verfehlt hat (im Zorn?), fo fpreche
Niemand mit ihm, noch h öre er ein Wort von euch, bis
er feinen Sinn geändert hat. Euere Gebete aber und
Almofen und alles, was ihr thut, thut fo, wie ihr es
in dem Evangelium unferes Herrn findet.

16. Wachet über euerem Leben; euere Leuchten
follen nicht verlöfchen und euere Lenden follen nicht
fchlaff werden, fondern feid bereit; denn ihr kennet die
Stunde nicht, in welcher unfer Herr kommt. Häufig
aber follt ihr euch vereinigen und nach dem fuchen, j
was eueren Seelen Noth ift; denn nichts wird euch die I
ganze (bisherige) Zeit eueres Glaubens nützen, wenn ihr
nicht in der letzten Zeit vollkommen geworden feid.
Denn in den letzten Tagen werden die Pfeudopropheten
und die Verderber fich vermehren und werden die Schafe
in Wölfe verkehren, und die Liebe wird fich in Hafs 1
verkehren; denn wenn die Ungerechtigkeit überhand j
nehmen wird, werden fie einander haffen und verfolgen
und überantworten, und dann wird erfcheinen der Weltverführer
als wäre er der Sohn Gottes und wird Zeichen
und Wunder thun und die Erde wird in feine Hände
überantwortet werden, und er wird Frevelhaftes thun,
folches, was niemals gefchehen ift feit Anbeginn der
Zeit. Dann wird die Schöpfung der Menfchen (= alle
Menfchen) in das Feuer der Bewährung kommen und
Viele werden ein Aergernifs nehmen und verloren gehen.
Die aber ausharren in ihrem Glauben werden gerettet
werdenUnd dann werden erfcheinen die Zeichen
der Wahrheit: erftens das Zeichen, dafs fich der Flimmel
aufthut, dann das Zeichen des Pofaunenftofses und
drittens die Auferftehung der Todten, jedoch nicht aller,
fondern wie da gefagt ift: ,Kommen wird der Herr und
alle Heiligen mit ihm'. Dann wird die Welt den Herrn
kommen fehen auf den Wolken des Himmels. —

So diefe ältefte Kirchenordnung. Wir danken dem
Manne, der fie uns wieder gefchenkt hat. Diefer Dank
gilt auch diesmal nicht feinem Glücke, fondern feiner
Gewiffenhaftigkeit und feiner Treue. Zugleich aber belebt
uns die fchöne Hoffnung, dafs der Orient, der uns in
der Spanne weniger Jahre drei folche Gaben gebracht
hat, wie die Clemensbriefe, das Diateffaron Tatian's und
die Jida%r, uns auch in den nächften Decennien mit
reichen Gefchenken überrafchen wird. Mögen die neuen
Urkunden von Gelehrten entdeckt werden, die dem
Entdecker des Cod. C. ebenbürtig find; fie würden uns
befchämen, und folche Befchämung thut Noth!

Giefsen. Adolf Harnack.

Riehm, Prof. Dr. Ed., Zur Revision der Lutherbibel. Ueber
die meffianifchen Stellen des Alten Teftaments. Halle,
Buchh. des Waifenhaufes, 1882. (31 S. gr. 8.) M. —. 30.

Der Verf. berichtet in diefem Otterprogramm der
Univerfität Halle 1882 über die Verhandlungen und Be-
fchlüffe der Revifionsconferenz, foweit fie diejenigen
Stellen betreffen, in denen durch Luther ,die chriftologi-
fierende Auslegung zu fehr beftimmtem Ausdruck' geil
'Y/ilv yug XiLtovQyovai xul avxol zr/v XttxovQyiav xwv
■jiQoiprjXwv xul Si&uoxvlwv.

2) Avxol yäg siaiv 01 zEziiirj/zevoi Vit eh iixxa x. n. x. d., cf.
1 Clem. 44 fin.: dowfiev yeto oxi ivlovq viielq fitxwyäyext xal.wq
nolazevopivovq ix xr/q dßsiinxatq avxolq xsxi/iTjiiivnq l.eizovQyiaq.
In beiden Fällen macht ziitäz&ai Schwierigkeit; f. meine Note z. d. St.
u. Lightfoot, App. p. 436,

3) In der Handfchrift heilst es: ota&rjoovxai vn avxov xov xaxa-
diiiaxoq. Ich laffe die letzten Worte unüberfetzt, da ich fie noch nicht
verliehe.

bracht worden ift. Als folche kommen in Betracht:
1 Mos. 4,1. 49,10. 2 Sam. 7,19. (Parallelftelle 1 Chr.
18,17) 23,1. Hiob 19, 25—27. Pf. 8,6 u. 7. Jef. 9, 3 u. 6.
42,4. 52, 14 u. 15. Jer. 23, 9. (Parallelftelle 33,16). Dan.
9, 24—27. Hagg. 2,8. Abgefehen von der Stelle Jef. 9,
3 u. 6, betreffs welcher der Verf. auf feine Schrift ,das
erfte Buch Mofe in revidiertem Text, Halle 1873' verweift,
wird über fämmtliche fo berichtet, dafs der Lefer ,eincn
möglichft klaren und vollftändigen Einblick in die Verhandlungen
' erhalten foll, die zu den Befchlüffen der
Revifionsconferenz geführt haben. Das ift nicht nur in-
tereffant, fondern wichtig und, wie ich nach Einficht der
kürzlich erfchienenen ,Probebibel' (Halle, Waifenhaus,
1883) hinzufüge, durchaus nothwendig, um die in der
.Probebibel' durch fetten Druck hervorgehobenen Aende-
rungen verftehen und richtig beurtheilen zu können. Und
wenn Riehm das vorliegende Büchlein vorzugsweife zu
dem Zwecke gefchrieben hat, um dadurch zur Beur-
theilung des revidierten Textes des A. T. aufzufordern,
fei es vom Standpunkt der Wiffenfchaft oder von den
Intereffen des kirchlichen Lebens aus, fo bemerke ich,
dafs eine Betheiligung an der Kritik der .Probebibel' nur
möglich ift, wenn man fich vorher über den Gang der
Verhandlungen in der Revifionskonferenz unterrichtet
hat. Man hat daher jetzt, nach dem Erfcheinen der
Probebibel, erft recht Gelegenheit, den Nutzen der von
dem Verf. gebotenen Mittheilungen zu erproben.

Die Schwierigkeiten des Revifionswerkes find — das
erkenne ich in vollem Mafse an — bedeutend, und diejenigen
Herren, die berufen waren, an demfelben mitzuarbeiten
, werden es nicht anders erwarten, als dafs neben
Zuftimmung auch Widerfpruch laut wird. Die Aenderung
von 1 Mof. 4,1 wird fich wohl durchweg der Billigung
zu erfreuen haben; nur finde ich den Satz: ,Ich habe
einen Mann durch den Herrn' zu kurz und knapp, als
dafs er beim Lcfen fogleich für Jedermann verftändlich
wäre. Dafs I Mof. 49,10 nicht geändert ift, billige ich
durchaus; Luther's Ueberfetzung ift ja nicht wörtlich,
trifft aber den Sinn der viel befprochenen Stelle, lliob
19, 25—27 ift nach der in neuerer Zeit ziemlich allgemein
angenommenen Erklärung geändert worden; doch hat die
Revifionsconferenz befchloffen, Luther's Ueberfetzung
von V. 25 u. 26 als Anmerkung dem revidierten Texte
beizugeben. So finden fich dort nun zwei Texte, ein
Umftand, der in einer Volks- und Kirchenbibel meiner
Meinung nach unbedingt zu vermeiden ift und aufser-
dem, von dem Haupterfordernifs eines einheitlichen Textes
ganz abgefehen, fchon beim Lefen eine fehr unangenehme
Störung bereitet. Ich hoffe, dafs der Wunfeh, diefen
Uebelftand befeitigt zu fehen, fo vielfeitig und nachdrücklich
ausgefprochen wird, dafs in dem definitiven Druck
die beiden Anmerkungen verfchwinden. Pf. 8,6 ift ebenfalls
geändert: ,Du haft ihn wenig niedriger gemacht denn
Gott'; in der Ueberfchrift hat man, um nicht die fchon
im N. T. vorkommende typifche Beziehung der Pfalmen-
worte auf Chriftum auszufchliefscn, den Ausdruck ,Men-
fchenfohn' gefetzt. Das könnte vielleicht im Hinblick
auf V. 6 zu Gunften einer fubordinatianifchen Auffaffung
der Perfon Chrifti verftanden oder gedeutet werden? Man
fetze doch: ,Des Menfchen Niedrigkeit und Hoheit'.
Was Jer. 23, 6 u. 33, 16 betrifft, fo vermag ich weder
die Beibehaltung des Luther'fchen Textes in der erften
Stelle, noch die leife Aenderung desfelben in der zweiten
zu billigen. Am wenigften werden die Aendcrungen in
Dan. 9, 25 u. 26 befriedigen; fie erfcheinen mir als ein
unhaltbarer Compromifs. Wer die Verfe freilich in der
Probebibel lieft, wird den fett gedruckten Worten und
Kommas kaum anmerken, welche Gegenfätzc damit verhüllt
und doch wieder angedeutet werden follen. In
diefer Form find die bis jetzt befchloffenen Aenderungen
unverftändlich und daran zwecklos.

Leipzig. H, Guthe.