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Ausgabe:

1884 Nr. 26

Spalte:

635-637

Autor/Hrsg.:

Zöller, Egon

Titel/Untertitel:

Ueber den Grund und das Ziel der menschlichen Entwickelung und seine Bedeutung unserer Vorstellung des Unendlichen 1884

Rezensent:

Hartung, Bruno

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635 Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 26. 636

da auch Confeffionelle und fogar Pofitiv-Unirte als Privat- faffende Perfönlichkeit und wir find Momente in derfelben,
perfonen zu dem Zugeftändnifs willig, dafs dies die in i die wir uns unteres ewigen Inhaltes in der Form des
Christus, wie er anfchaulich fich darlebt und durch Tod Raumes und der Zeit bewufst werden, die wir, was wir
■ und Auferstehung hindurch zur Vollendung gelangt, fich potentiell find, actuell werden tollen. Und zwar bildet
uns crfchlicfsende und verbürgende Gnade Gottes ist. ! fich unter endliches Ich aus drei Factoren: aus der Ver-
Von diefer gemeinfamen religiöfen Bafis aus kann erft ! nehmung des Seins an und für fich, aus der diefer Verfruchtbar
über das geftritten werden, was nun nicht mehr j nehmung folgenden Vernehmung unteres Selbft und aus
eine religiöfe, fondern eine theologifche Frage ift, näm- ! dem Vernehmung und Selbftvernehmung umfaffenden
lieh wie diefer Grund und Gegenftand des feligmachenden Selbftbewufstfein. Im Laufe diefer Plntwickelung nun
Glaubens fich erklärt, und das Zugeftändnifs errungen : wird unfer Subject fort und fort ein anderes. Während
worden, dafs, was jene als nothwendige objective Voraus- es im Kindesalter der einzelnen, wie der Menfchheit, noch
fetzung der Heilsgegenwart in Chriftus anfehen, felbft wenn am Sinnlichen haftet, gelangt es im Jünglingsalter zu ab-
fie hierin Recht haben, doch für uns nicht eine Voraus- ftracten Formen, welche das Mannesalter mit concretem
fetzung und darum ein Moment des Heilsglaubens, fon- Inhalt zu füllen hat. Jeder diefer Stufen entfpricht auch
dern eine Folgerung aus demfelben ift, eine Folgerung 1 eine Vorftellung vom Unendlichen, allein erft das Chriften-
die wohl immer ein religiöfes Motiv hat, aber die unter thum hat alle Vorftufen überwunden, indem es uns Gott
verfchiedenen theoretifchen Vorausfetzungen auch eine I als rein geiftige Perfönlichkeit erkennen lehrt und darum
verfchiedene theologifche Geftalt gewinnt. — auch uns als Gottes Kindern für alle Zeiten in unferer
Der Verf. ift alfo nicht zu einer zufammenhängenden Entwickelung einen feften unerfchütterlichen Halt ge-
Frörtcrung gekommen, fondern ift bei Einzelausfüh- geben hat. Wenn wir Gott und damit unfer eigenes
rungen geblieben, in denen vieles Beherzigcnswerthe fich Selbft ganz erfafst haben werden, dann flehen wir am
findet. Befonders werthvoll ift es, dafs er nicht nur von Ziele, einem Ziele, welches wir freilich erft in einer voll-
Melanchthon und Luther, fondern auch von Kahnis, kommeneren Dafeinsform erreicht haben werden.
Nitzfeh, Hafenkamp, Menken, Weifs, Kähler, alfo von I Da fich der Verf. nach feiner eigenen Erklärung beMännern
, welche gerade bei den die Pofitivität als ihren fonders an fchwedifche Philofophen (Geifer, Grubbe,
ausfchliefslichen Vorzug in Anfpruch nehmenden Rieh- Boftröm u. a.) anlehnt, ohne im einzelnen anzugeben,
tungen Auctorität befitzen, eine Reihe von Ausfprüchen [ was von denfelben herrührt, fo bleibt für den Nicht-
über die fraglichen Punkte angeführt hat, durch die das kenner der fchwedifchen Philofophie unklar, wie viel von
Verfahren der meiften Wortführer jener Richtungen im 1 den Erörterungen desfelben ihm felbft angehört, wie viel
Bender'fchen Streit auf das fchärffte verurtheilt wird, aus jenen Quellen ftammt. Dafür aber legt auch diefe
Befonders verdient es eine Erklärung des bedeutendften j Schrift Zeugnifs ab, welche inhaltsreiche Zukunft der
unter den lebenden Theologen der pofitiven Union, j Philofophie auf der unter uns Deutfchen befonders von
Prof. Kähler's in Halle, in den weiteften Kreifen bekannt : Lotze nach Leibniz'fchen Gedanken eingefchlagenen Bahn
zu werden. Als pofitiv-chriftliche Theologie bezeichnet ! bevorlteht, wie fie dadurch immer verftändnifsvoller die
derfelbe alle Richtungen, welche als unüberfchrcitbare chriftliche Gedankenwelt in fich aufnehmen kann. Er-
Bafis fefthalten ,das weltgefchichtliche Bekenntnifs der j reicht- ift freilich die Höhe des chriftlichen Gottesbegriffs
Kirche zu dem gekreuzigten, auferstandenen und leben- | bei weitem nicht, wenn es u. a S. 17 heifst: ,Es ift eine
digen Jefus Chriftus, dem Herrn, dem Heiland der Sünder', Verkennung der Bedeutung des Willens, wenn man Gott
die Thatfache ,der Selbftoffenbarung Gottes in dem 1 als dem abfolut höchsten und unveränderlichsten Wefen

gefchichtlichen Jefus Chriftus'. Möchte doch die
Partei der pofitiven Union diefen durchaus entfeheidenden
Mafsftab der Pofitivität auch auf folche anwenden lernen,
die nicht zu ihr gehören. Zur Vervollständigung diefes

einen Willen zumifst. Ebenfo, wie abfolute Freiheit, ift
auch abfoluter Wille ein Widerfpruch in fich, da beiden
das Object fehlt, auf welches fich diefelben beziehen
können'. Warum foll nicht Gott felbft, warum nicht jenes

Catalogus testium veri/atis erlaubt fich Ref. auf die Er- j System von Perfönlichkeiten, deren Mittelpunkt er ift
klärung Julius Müller's in feiner Schrift über die General- 1 fei es in ihrem Dafein, fei es ihrem Ziele nach das Ob-
fynode von 1846 hinzuweifen, er hoffe, die evangelifche j ject bilden? Freilich dies eben wird in den Ausführungen
Kirche werde nie dahin kommen, einen Geiftlichen, der ' des Verf,s. nicht klar, wie von vornherein diefe von Gott
von Bufse und Heilsglaube etwas verftehe, deshalb des unterfchiedenen Perfönlichkeiten möglich und wirklich
Amtes für unwürdig zu erklären, weil er die jungfräuliche
Geburt Christi leugne.

Gicfsen. J. Gottfchick.

Zöller, Egon, Ueber den Grund und das Ziel der menschliehen
Entwickelung und die Bedeutung unferer Vor-

ftellung des Unendlichen. Lindau, Ludwig, 1883. I <terbHchkeitslehre ift darum die pantheiftifche Gefahr

werden, ebenfowenig, wie in der vollendeten Dafeinsform
diefe Unterfchiedenheit bewahrt bleibt. Es würde auch
da ein .Schatten von Sinnlichkeit' übrig bleiben; aber
eben, wenn dies von der Vollcndungszeit noch angenommen
werden müfste, wäre ja nach dem vorher Ge-
fagten die Vollendung keine vollkommene. Am Anfang,
wie am Ende, bei dem Gottesbegriff, wie in der Un-

I nicht ganz vermieden, fo entfehieden an beiden Stellen
(Vill, 79 S. 8.) M. 1. 50. gegen jeden Pantheismus proteftirt wird. Auch die

,Die finnliche Welt ift nur für uns eine fubjective | Sünde, diefe crux für alle Metaphyfik, welche den fitt-
Erfcheinung einer geistigen überfinnlichen Welt. Der 1 liehen und chriftlichen Intereffen gerecht werden will,
finnlichen Welt als folcher kommt keine Wirklichkeit zu. wird nicht deutlich weder ihrem Wefen nach, noch in
Die einzige wirkliche Welt ift eine rein geistige und als ■ ihrer Entstehung erklärt, wenn fie ,als Handeln im Gegen-
folche ein System lebender Perfönlichkeiten. Wir find fatz zu unferem wahren Wefen', wie es durch den Kampf
felbftftändige Wefen, deren Bewufstfein diefe überfinn- I der Entwickelung bedingt ift, als ,nicht an und für fich

liehe Welt als ewiger Inhalt gegeben ift'. Nach diefen
erkenntnifstheoretifchen Sätzen wird entwickelt, wie überall
die finnliche, endliche Welt auf ein Unendliches zurückweift
, welches fich nun für uns als finnlich, endlich darstellt
. Wir fchliefsen wohl die Vielheit derfelben in eine
Plinheit zufammen, allein darin besteht der Fehler der
meiften Philofophen, dafs fie diefe abftracte Einheit mit

beftehend, fondern an und für uns' bezeichnet wird. Und
wo in aller Welt steht in der Bibel, was als Lehre derfelben
behauptet wird: .Nothwendig folgt aller Sünde
die Befferung'? So find überall die Anfätzc zu einem
lebensvollen Gott und Welt umfaffenden, das religiöfe
und fittliche, wie das wiffenfehaftliche Intereffe umfaffenden
Gedankenbau, nicht überwundene philofophifche

der concreten verwechfeln und Gott nennen. Gott ift I Vorurtheile aber laffen ihn nicht zur vollen Ausführung
vielmehr das concretefte, die abfolute, alles Sein um- | kommen. Wefentlich erleichtert würde es übrigens