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Ausgabe:

1884 Nr. 26

Spalte:

634-635

Titel/Untertitel:

Positives Christentum und orthodoxer Pietismus. Ein evangelisches Zeugnis zum Benderschen Streit. 2. Aufl 1884

Rezensent:

Gottschick, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 26.

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(Quellen zurückgehen, ein Umftand, der es wirklich dem 1
nüchternen Beobachter diefer Literatur fchvver macht
risutti teuere'; aber ich vermag die Nothwendigkeit
jener Annahme z. Z. nicht einzufehen*). Das Quellen-
verhältnifs für Soz. wird dazu durch diefe Annahme nicht
nur äufserft complicirt, fondern auch nicht mehr contro-
lirbar. Man erwäge: Soz. hat nach Jeep felbftändig den
Sokr., den Philoftorg., den Olympiodor**) und vielleicht j
auch den Eunapios benutzt; Sokr. aber foll felbft wieder
den Philofi, Philoftorg. den Eunapios, Olympiodor ebenfalls
den Eunapios benutzt haben. Hier ift eine Controle
nicht mehr möglich. Ueber Theodoret hat fich Jeep
kurz gefafst, aber doch fehr wichtige Nachweifungen gegeben
. Mit Recht erklärt er ihn für den unbedeutend-
Iten unter den griechifchen Kirchenhiftorikern und weift
eine Stelle nach, aus der deutlich hervorgeht, dafs er den
Sokr. benutzt hat; ob auch den Sozom., ift zweifelhaft.
Diefe Frage verdient noch eine eingehende Unterfuchung.
Selbftändig ift Athanafius von Theod. ausgebeutet. Auf
die Ausfchmückungen, die fich Theod. erlaubt hat, und
auf feine Unzuverläffigkeit wird richtig hingewiefen.
»Wichtig ift, dafs Theod. ohne Zweifel den Philoft. kennt'.
In der That ift die Parallele Phil. VII, 10 Theod. III, 12
fehr frappant und ungleich werthvoller als irgend eine
der für Sokr. und Soz. im Verhältnifs zu Philoft. auf-
gewiefenen Parallelen. Man wird hier geneigt fein, eine
wirkliche Abhängigkeit des Theod. von Phil, anzunehmen
; doch mufs auch diefe Frage noch eingehender erwogen
werden***).

Die sub 10) und 11) mitgethcilten Unterfuchungen
zu Theodoros Lector (S. 157—159) und zu den
Quellen des Euagrios (S. 159—178), von denen die
letztere ganz neue Auffchlüffe bringt, mufs ich hier bei
Seite laffen, da fie meinen Studien fern liegen. Möge
der Verf. feine Verheifsung eines Hand- und Quellenbuches
der griechifchen Kirchenhiftoriker, in welchem
alle üriginalberichte zufammengeftellt fein werden, in
Bälde verwirklichen und — Ref. erlaubt fich diefen
Wunfeh — vorher namentlich das Verhältnifs des Sokr.
und Sozom. zu Philoft. noch einmal einer Prüfung unterziehen
, um die Ergebnifse feiner Kritik entweder ficherer
zu ftellen oder zu berichtigen.

In der an zweiter Stelle genannten Abhandlung hat
derfelbe Verf. einen lehrreichen Beitrag zur Gefchichte
Conftantin des Grofsen geliefert. Es handelt fich um das
aimrgiov xov otccvqov ar^iEiov in Eufeb., //. e. IX, 9, eine
Stelle, die Brieger (Conftantin d. Gr. 1880 S. 46 f.) für
eine Interpolation aus Vit. Constant. I, 40 halten wollte.
Jeep zeigt, dafs die Auffaffung des Zeichens als Kreuz
lediglich dem Eufebius angehört. Es war vielmehr das
Labarum. Scharffinnig wird aus Lactantius nachgewiefen,
dafs diefes die Geftalt eines rechtwinkeligen, links oben
mit einem Henkel verfehenen Kreuzes gehabt hat, alfo
mit den Buchftaben XP nichts zu thun hatte, und dafs
Eufebius felbft noch wahrfcheinlich diefes Zeichen bei
feiner Befchreibung {Vita I, 31) vor Augen gehabt hat.
Was den Urfprung desfelben anlangt, fo Hellt Jeep unter
Berufung auf Firmicus Maternus die m. E. fehr anfpre-

*) Auch die Nachrichten über Ullilas bei Sokr. und Soz. l'ollen aus
lelbftändiger Benutzung des Philoft. zu erklären fein. Eine gemeinfame
Quelle liegt hier allerdings vor, wie zuerft Kaufmann gezeigt hat, aber
dafs fie in der KG. des Philoft. zu fuchen ift, ift nicht erwiefen.

**) Das fcheint mir von Jeep und vor ihm fchon von Rofenftein
erwiefen zu fein. Die Benutzung ift auch nicht nur im letzten Buch des
Sozom. nachweisbar.

***) Eine Bemerkung fei hier geftattet. Zweimal (S. 146. 156) ereifert
lieh Jeep über die .unendlich ekelerregend langweiligen' Mönchsgefchichten,
die meift vollkommen gleichgültig für gebildete Menfchen feien'. Gleichgültig
find fie keineswegs, wenn fie auch ,den verftändigen Menfchen
jetzt langweilen'; fie find vielmehr eine geiftige und literarifche Grofs-
macht gewefen und find es z. Th. noch. Man kann die Gefchichte des
katholifchen Chriftenthums — für den verftändigen Menfchen unzweifelhaft
ein Problem — bis auf den heutigen Tag fchlechterdings nicht ver-
ftehen, wenn man den Ekel nicht überwindet und fich nicht fehr ernft-
haft mit jenen Ausgeburten der religiöfen Phantafie befchäftigt.

chende Hypothefe auf, dafs das Vorbild des Zeichens,
da es als ein glückbringendes galt, das Zeichen der
Venus $, welches aus cp = tpcoaqpögog entftanden, gewefen
ift. In der Geftalt X° ur>d -p- erblickt Jeep den
Uebergang zur curfiven Schreibung und zur Schreibung
in einem Ductus. Diefe Form fei von den Chriften wegen
der bekannten Lefung feftgehalten worden.

Beigefügt ift eine Befprechung einer bisher nie genau
unterfuchten wichtigen Stelle über das Leben Con-
ftantin's bei Niceph. VII, 17 ff. Parallel ift hier Theo-
phanes; da aber Theophanes nicht benutzt fein kann,
was erwiefen wird, fo ift eine gemeinfame Quelle indicirt.
Diefelbe ift, wie gezeigt wird, jünger als Gelafius und ift
auch von anderen Hiftorikcrn benutzt. Jeep fchliefst
mit guten Gründen, dafs fie zu der Tradition gehört,
welche im Johannes Antioch. ihren Mittelpunkt und
Sammelplatz fand und durch ihre Zuverläfligkeit fich
auszeichnete.

Giefsen. A. Harnack.

Positives Christentum und orthodoxer Pietismus. Ein evan-
gelifches Zeugnis zum Benderfchen Streit. I. Zur
Orientirung. II. Randgloffen eines Laien zu der Proteft-
Erklärung Rheinifcher Kreis-Synodal-Vorftände wider
Prof. Bender in Bonn, mit Zufätzen von einem Theologen
. III. Kritifche Gänge und Refultat. 2. Aufl.
Bonn, Cohen & Sohn, 1S84. (84 S. gr. 8.) M. 1. 20.

Ein Schriftchen von fehr beherzigenswertherTendenz
Die durch Bender's Lutherrede hervorgegangene Bewegung
hat unverkennbar gezeigt, wie wenig die das Wort
führenden Vertreter der die chriftliche Pofitivität für fich
in Anfpruch nehmenden Parteien und die den Stimmführern
blindlings folgenden Anhänger derfelben im
Stande find, die wahrlich gerade im Intereffe der Glau-
bensgewifsheit des Chriften nothvve'ndige Unterfcheidung
zu vollziehen zwilchen der Heilswahrheit, welche der
unantaftbare Gcgenftand und unerfchütterliche Grund des
Heilsglaubens ift, und zwifchen der traditionellen Ausprägung
desfelben oder vielmehr demjenigen Maafs der
letzteren, die man felbft feilzuhalten und dann zum allgemein
gültigen Gefetz zu machen für gut findet. Dem
gegenüber bemüht fich der Verfaffer die befonnenen
Gemüther auf jener Seite zur Anerkennung zu bringen,
dafs diefe beiden Dinge nicht gleichgefetzt werden dürfen,
und zugleich richtet er ernfte Mahnworte gegen den
Indifferentismus der Gebildeten.

Das Schriftchen zerfällt in 3 Theile. Der erfte orien-
tirt über den Verlauf des Bender'fchen Streites. Der
zweite, ausführlichfte, enthält Randgloffen eines Laien zu
der bekannten Protefterklärung rheinifcher Kreisfynodal-
vorftände wider Bender, die der theol. Verfaffer des
Schriftchens mit weiteren, befonders biblifchen und hifto-
rifchen Ausführungen begleitet hat. Der dritte wendet
fich gegen die Art, wie Krüger den Streit wider Bender
geführt hat.

1 Die Randgloffen folgen der Protefterklärung Schritt
für Schritt, und fo ift zuerft von dem apoifolifchen
Glaubensbekenntnifs, dann von Trinität, jungfräulicher
Geburt, Opfertod Chrifti, den Wundern u. f. w., zuletzt
von dem chriftlichen Leben, nämlich dem perfönlichen
Umgang mit Chriftus, dem Durchgang durch die Gefetzes-
bufse, dem Grund der Sonntagsfeier die Rede. Die Infpi-
rationslehre kommt im dritten Theil zur Sprache. Ref.
kann diefen Weg der Auseinanderfetzung für keinen
glücklichen halten, da die Centralfrage nach dem einen
Glaubensgegenftand durch diefe zerfplitterte Behandlung
einzelner .Wahrheiten' verdunkelt wird. Es wäre dien^
licher gewefen, zunächft ausführlich auf die Frage einzugehen
, was es eigentlich ift, woran das um das Heil
beforgte Gewiffen fich vor aller Reflexion halten muls
und halten kann. Nach des Ref. Erfahrung finden fich