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Ausgabe:

1884

Spalte:

605-609

Autor/Hrsg.:

Frank, Fr. H. R.

Titel/Untertitel:

System der christlichen Sittlichkeit 1884

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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605 Theologifche Litcraturzeitung. 1S84. Nr. 25. 606

dafs hingegen feine Schriften feit 1532 eine mildere I trauen auf die allein befreiende Macht der Gnade liegt,
Stimmung und theilwcife eine befondere Anerkennung j die der Chrift in Chriftus verfteht und fich zu Herzen
des Philosophen kund geben. Indirect hat Luther eine 1 nimmt. Aber die Selbftentäufserung, welche in der Myftik
Reihe von abfchätzigen Aeufserungen über A. zurück- ' angeftrebt wird, und überhaupt die ganze verfchwom-
genommen, direct manche Züge der Ethik des A. mit j mene Gefühligkeit der Myftik findet in ihm einen ent-
Wohtgefallen beurtheilt. Diefe Nachweilungen find be- j fchloffenen Gegner. Er warnt vor den Beraufchungen
fonders werthvoll. Indem der Verf. mit Recht auf die [ der Myftik, und dem Streben Auguftin's nach einer
gefchichtliche Aufgabe fich befchränkt, die er fich ge- j myftifchen Unmittelbarkeit des Verkehrs mit Gott ftellt
ftellt hat, regt er, — und das ift ja ein befonderer | er das fchöne Wort entgegen:, ,wenn wir recht fiehen
Vorzu"- an einer Schrift, — in dem Lefer noch andere ' zur Natur in und aufser uns, zu den creatürlichen Dingen
Gedanken an. Zunächft die Frage, ob die günftigere überhaupt, fo braucht das sine Iiis nicht einzutreten,
Beurtheilung der ariftotelifchen Ethik durch Luther durch fondern in ihnen, aus ihnen, durch fie hören wir Gottes
Melanchthon's erneute Befchäftigung mit diefer Disciplin Rede'. Der Verf. nennt diefes chriftliche Verftändnifs
bedingt ift? Gefetzt aber, dies fei der Fall, fo reichen der Natur mit Vorliebe Monismus und grollt mit denen,
doch die mitgetheilten Ausfprüche Luther's nicht an den 1 welche vor dem Monismus, wie vor einem Popanz
Gelichtspunkt heran, unter welchem Melanchthon die fliehen. Er hat diefen Ausdruck einem ihm allzu wichtig
Ethik des A. der Theologie aecommodirte, nämlich dafs erfchienen Buche entnommen, in welchem die Herbart'fche
deffen Tugendlehre dem Mofaifchen Gefetz aequivalent Schule ihre Unzufriedenheit mit ihrem Schickfal ausfei
. Und fo wie Luther's Anficht von der Philofophie ; fpricht. Da nun hier die Flucht vor dem Monismus als
des A. dem von ihm vertretenen Grundfatz, dafs es rieh- mein fpecieller P'ehler gerügt war, fo mufs ich fürchten,
tige Gotteserkenntnifs nur aus der Offenbarung Chrifti dafs Frank's harte Worte ebenfalls auf mich gehen,
gebe, correlat ift, fo läfst Luther auch in feinen fpäteren Ich erwidere darauf Folgendes. Wenn der Glaube, dafs
Urtheilen über A. auf nichts weniger rechnen, als auf die j Gott die Natur in feiner Hand hält und durch fie fein
erneute Einftellung der natürlichen Gotteserkenntnifs in I Werk an feinen Heiligen verrichtet, Monismus heifsen
die chriitliche Theologie, welche Melanchthon vorge- I foll, fo fliehe ich diefen Monismus nicht, fondern fuche
nommen hat. mir inn gegen Kleinmuth und Verzagtheit zu erkämpfen.

Göttinnen. A. Ritfchl. Heifst aber Monismus die Annahme, dafs wir durch

._ °___unfer Welterkennen von der Natur, oder, was dasfelbe

Frank Prof. Dr. Fr. H. R., System der christlichen Sitt- fagC von der Metaphyfik aus Gott erfaffen und verliehen
lichkeit. I.Hälfte. Erlangen, Deichert, 1884. (VII, könne" > f0 ?iehc ich fffn Monismus auch nicht; denn
" , M ö er erfcheint mir nicht fürchterlich, fondern gänzlich

44b S. gr. o.j M. 7. fchwach und hinfällig. Es ift wohl als eine Conceffion

Der Wahrheit verfichert fein, die Wahrheit erkennen, gegen die romantifchen Neigungen des Neulutherthums
die Wahrheit thun — das find die drei Stücke, worauf anzufehen, wenn Frank einen fo heftigen Abfcheu ge^en
die fyftematifche Theologie fich bezieht. Diefes fein j jeglichen Dualismus bekundet, und darüber bisweilen zu
Programm bringt der Verf. mit dem vorliegenden Werke , vergeffen fcheint, dafs das Welterkennen des Menfchen
zur Erledigung. Es ift wenigen Theologen der neueren und das Evangelium Gottes fich nicht in Eins zufammen-
Zeit befchieden gewefen, eine Löfung der Gefammtauf- j ziehen laffen. Die Unficherheit in diefen Dingen hängt
gäbe der fyflematifchen Theologie den Fachgenoffen J mit Frank's Stellung zur Philofophie zufammen. Durch
vorlegen zu können. Schon deshalb würden dem Verf. [ eines von Luthardt's Organen ift vor Kurzem verrathen
unfere Dankbarkeit für das, was er bisher geboten hat, . worden, Frank's Bücher fänden deshalb nicht den wün-
und unfere aufrichtigen Wünfche für die Vollendung des j fchenswerthen Leferkreis, weil fie den im praktifchen
orofsen Werkes ficher fein. Seine Leiftungen ragen aber Amte flehenden Theologen zu philofophifch vorkämen,
auch aufserdem hervor durch ihre charaktervolle Haltung Eine gewiffe Berechtigung wird jeder Lefer Frank's diefem
in folchen Fragen, welche bei den fich mit Vorliebe Urtheil einräumen müffen. Frank führt, um fein Liebkirchlich
nennenden Theologen einer ebenfo einhelligen ; lingswort zu gebrauchen, eine Sonderliche' Redeweife,
wie unverftändigen Behandlung zu unterliegen pflegen. Eine archaiftifche Färbung des Stils, viele und gewaltige
Ueber den in diefen Kreifen üblichen Schriftbeweis, j Fremdworte, tieffinnige Sprüche über Sein und Werden
welcher fich an die Infpirationslehre und die unrichtige müffen bei philofophifch ungefchulten Lefern die Mei-
Gleichfetzung von Wort Gottes und h. Schrift knüpft, ' nung erregen, dafs es hier fehr philofophifch zugehe,
kann man nicht fchonungslofer reden, als Frank es gethan | In Wahrheit haben wir es bei ihm nicht mit philo-
hat. Er hat eine gefunde Empfindung dafür, dafs ein fophifcher Bildung, fondern mit fcholaftifcher Termino-
Glaube, der fich bei dem ,es fleht gefchrieben' beruhigt, ' logie zu thun, welche den Ausdruck der bei Schleierüberhaupt
kein ernfter Glaube ift. Einen folchen mecha- ; macher und Hofmann erworbenen gefunden Erkenntnifse
nifchen Schriftgebrauch hält er für noch gefährlicher in ' oft wunderlich beeinträchtigt. Man glaubt das Grollen
der Ethik als in der Dogmatik. Demgemäfs fpricht er 1 des für feine Abftractionen beforgten Scholaftikers gegen
fich auch hier kräftig gegen die gefetzliche Auffaffung Luther zu hören, wenn Frank den Satz, die Verwirk-
der Gnadenmittel aus. Seine Anfchauung von dem I lichung des Reiches Gottes fei nicht unwefentlich für
chriftlich-fittlichen Leben ift frei von pietiftifcher Aengft- j Gott, fondern der Zweck, in welchem uns fein Wefen
lichkeit. Er hat den fröhlichen Muth des evangelifchen i verftändlich ift, aus natürlicher Reflexion und Philofophie
Chriften, der die religiöfen Motive des Mönchthums und | herleiten zu können behauptet. Es wäre intereffant, zu
des Pietismus wohl zu würdigen weifs, dem aber der ; erfahren, was für eine Philofophie auf diefen Gedanken
Reichthum des aus Gott flammenden Lebens die pie- geräth. Luther hat bekanntlich wider alle Vernunft zu
tiftifcheSchablonealsfeelengefährlichund den pietiftifchen lehren gemeint, dafs die Tiefe der Gottheit nichts Anderes
Bekehrungseifer als unzart erfcheinen läfst. Ebenfo forg- J fei als der in Chriftus wirkfame, auf die Verwirklichung
fältig fucht der Verf. auf Schritt und Tritt zwifchen j des Reiches Gottes gerichtete Sinn. Mit der philofophi-
natürlicher und chriftlicher Sittlichkeit zu unterfcheiden. ' fchen Arbeit der neueren Zeit, Kant miteingefchloffen hat

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Die Rechtfertigung aus dem Glauben, der Gebrauch der
in Chriftus erkannten Gnade Gottes ift für uns der

fich der Verf. nicht hinreichend befchäftigt. Unmöglich wäre
fonft der folgende Satz (S. ioijentftanden: .Soviel haben

alleinige Grund eines gottgefälligen fittlichen Lebens. [ wir freilich aus der neueren Geiftesbewegung auch ge
Der Chrift hält keine Lebensbewegung für gut, die nicht j lernt, dafs von einem Erkennen der Dinge nur in ihrer
aus diefem Grunde flammt. Scharf hebt der Verf. den Beziehung auf uns die Rede fein könne'. Was für eine
Selbftverzicht hervor, der in diefem rückhaltlofen Ver- epochemachende Erfcheinung mufs diefe .neuere Geiftes-