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Ausgabe:

1884 Nr. 25

Spalte:

604-605

Autor/Hrsg.:

Nitzsch, Friedrich

Titel/Untertitel:

Luther und Aristoteles 1884

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 25.

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Da das Werk leider an dem auffallendtten Mangel fungen, die feine Thätigkeit auf den richtigen Weg
überfichtlicher Compofition leidet und die heteiogenften 1 lenken und viel überflüffige Mühe ihm erfparen werden.
Dinge enthält, fo wird eine kurze Ueberficht des Inhalts , Des Dankes aller, denen folche Forfchungen nahe liegen,
nicht unerwünfcht fein. | ift der Verfaffer gewifs.

Der erfte Band enthält zunächft eine alphabetifche Birkenruh bei Wenden. Otto Harnack.
Aufzählung der durchforfchten Archive mit Angabe der___.

in ihnen gefundenen päpftlichen Urkunden bis zum Jahre
1200, gefchieden nach Original, Copie, Transfcript etc.,
fowie der an einzelnen Orten gefundenen Kaiferurkunden.
Ueber nahezu hundert Städte finden fich hier Angaben,
und kirchliche, wie ftaatliche oder communale Archive

Nitzsch, Prof. Dr. Friedr., Luther und Aristoteles. Feft-
fchrift zum 400jährigen Geburtstage Luther's. Kiel,
Univerfitäts-Buchhandlung, 1883. (51 S. gr. 8.) M. 1.20.
Unter den Schriften, welche durch die Secularfeier

find gleichermafsen berückfichtigt. Mit der gleichen I von Luther's Geburtstag veranlafst find, ift die vorlie-
fachverftändig kühlen Sicherheit wie über die Vorfchriften gende durch ihren Gegenftand befonders intereffant
der Archivbenutzung und Eigenthümlichkeit der Ein- I und durch die Behandlung desfelben ausgezeichnet.- Be-
richtung werden hier auch forgfältig abgeftufte Zeug- kanntlich ift die Würdigung des Ariftoteles durch Luther
nifse über Freundlichkeit und Entgegenkommen der be- I mit einer Leidenfchaft behaftet, welche von Einfeitigkeit
treffenden Archivare und Bibliothekare ausgeftellt. —Es I und Ungerechtigkeit nicht frei gefprochen werden kann;
folgen ,Papftregeften', welche eines Theils Verbefferungen 1 dafs der Verf. bei der bezeichneten Gelegenheit gerade
zu den Regelten Jaffe's bringen, hauptfächlich aber bis- diefe Leiftung des Reformators erörtert, rechtfertigt er
her unbekannte Urkunden verzeichnen, unter ihnen ge- in folgenden Sätzen: Je gröfser ein Mann in der Gewifs
mit Recht auch folche, die nur durch Erwähnung : fchichte dafteht, defto mehr mufs er fich gefallen laffen,
in fpäteren Urkunden uns bekannt find. Nicht weniger nach allen Seiten betrachtet zu werden. Die Grofsen
als 1005 Stücke, die beijaffe zum gröfsten Theile fehlen, ; können das vertragen; denn he finden am leichterten
find hier verzeichnet. Faft 800 Nummern hat das zwölfte ' Verzeihung, felbft wenn fie in dem einen und andern
Jahrhundert, über einhundert das elfte geliefert; indefs t Punkte fich als einfeitig erweifen; fie können darauf
reicht die Sammlung bis in das zweite Jahrhundert zu- rechnen, dafs wir hinter ihren Mängeln die Wucht irgend
rück. — Unter dem nicht ganz paffenden Titel ,Kaifer- , einer edeln Kraft ahnen, deren Kehrfeite diefe Mängel
regelten' find am Schluffe des Bandes fünfundzwanzig 1 find'. — Die herabfetzenden und befchimpfenden UrUrkunden
von Ludwig dem Frommen, Lothar I., Fried= J theile, mit welchen nun Luther den Philofophen belegt,
rieh L, Heinrich VI., Friedrich IL, Heinrich VII., Bafilius I entfpringen aus der Vergleichung feiner Lehren von Gott
dem Macedonier, den Königen Hugo und Lothar und Welt, von Welt und Natur, vom Wefen des Men-
von Italien, der franzöfifchen Königstochter Conftantia ! fchen und von dem fittlichen Leben desfelben mit den
(1117), dem Könige Roger von Sicilien u. a. zufammen- 1 im Chriftenthum und in der Bibel vorliegenden entfpre-
geftellt. chenden Grundfätzen. Sehen wir von den unberech-

Der zweite Band bildet ein eigenthümliches Conglo- ! tigten Folgerungen ab, mit denen Luther gewiffe Sätze
merat, theils von Nachträgen zum erften Bande, theils ! des Ariftoteles begleitet, auf welche der Verf. genau
von Beiträgen anderer Forfcher, die zu der Aufgabe des 1 eingeht, fo vermifst der Reformator an dem Gottesbe-
gefammten Werkes nur in fehr lofer Beziehung flehen, griff des A. alle die Merkmale, welche an dem Gott der
Ihn Dritttheil desfelben nehmen drei Beiträge Th. Wüllen- i Chriften hervortreten, die Vorfehung und die Gerechtig-
feld's ein: Regelten der wichtigeren Urkunden zur Ge- j keit gegen die Menfchen, demgemäfs aber auch die All-
fchichte von Corneto vom 10.—14. Jahrhundert; Beiträge i wiffenheit und die Allmacht. Er beanftandet dieAnfangs-
zur Reihenfolge der oberlten Communalbehörden Roms und Endlofigkeit der Welt, die Leugnung der Unfterb-
von 1263—1330 und ,Ueber eine ghibellinifche Revolution lichkeit der Seelen, die Vorausfetzung der Freiheit der
in Todi zur Zeit Konradin's. Hieran fchliefsen fich aus- Menfchen zum Guten, die Ignorirung des Gewichts der
führliche genealogifche Tafeln der Fürften von Benevent. [ Sünde, den Erwerb der Tugenden durch das entfpre-
Dreiundneunzig bisher unedirte, in extenso abge- ; chende Handeln, kurz alle die ethifchen Lehren, welche
druckte Schriftftücke, meift aus dem elften und zwölften j den Werth der göttlichen Gnade ausfchliefsen. Demge-
Jahrhundert bringen in bunter Mifchung, nur chrono- mäfs verwirft Luther die zu feiner Zeit geltende Bedeu-
logifch geordnet, meift Briefe italifcher Cleriker; aber j tung des Philofophen im Gebiet des Unterrichts und der
auch chronikalifche Berichte, Infchriften, — auch ein j Erziehung. Nun bezieht fich, wie der Verf. nachweilt,
Gedicht über eine Sonnenhnfternifs. Getrennt von diefer I ein Theil der den A. herabfetzenden Urtheile Luther's
Sammlung finden fich gegen den Schlufs des Bandes zwei darauf, dafs der Philofoph in der fcholaftifchen Ueber-
Urkunden Kaifer Heinrich's VII. abgedruckt. Intereffant ' lieferung theils nicht richtig gekannt, theils nach den gang-
ilt ein aus Turin flammendes lateinifches Gloffar des drei- j baren Commentaren mifsverftanden worden fei. Allein zu-
zehnten Jahrhunderts, zu welchem G. Löwe Anmerkungen [gleich ift es deutlich, dafs feine abfehätzigen Urtheile
geliefert hat. Ein ,Appendix' ergänzt die Mittheilungen , über A. die fälfehlich ihm beigelegte Auctorität meinen,
des erften Bandes über Archive und Bibliotheken, und i nämlich die Art, wiedie hervorragendften Theologen des
nennt insbefondere folche, die der Verfaffer felbft nicht ! Mittelalters feine Sätze mit der Bibel gleichgeftellt, ihn
befuchen konnte, und über die er erft nachträglich durch mit dem Chriftenthum in Eins gerechnet, und durch die
Nachforfchungen Anderer Kunde erhielt (vor Allem in , von ihm entlehnte dialektifche Kunft den religiöfen EinSardinien
und Sicilien). Befonders wichtig ift hier die J druck und Werth der chriftlichen Dogmen in den Schatten
genaue Inhaltsangabe eines Turiner Codex, Canones be- [ geftellt oder durchkreuzt haben. Diefe Beobachtung ertitelt
(aus dem 13. Jahrhundert flammend), welcher haupt- klärt die leidenfehaftliche Empörung, in welcher Luther
fächlich Papftbriefe (darunter zahlreiche von Gregor I.) ! an Ariftoteles, als der Auctorität feiner Gegner, deren
und Concilsbefchlüffe enthält. Es folgen Nachträge zu ' Herabfetzung des Chriftenthums zu rächen unternimmt,
den Papftregeften in 65 Nummern. Dafs diefe Motivirung nicht fehr fern liegt, nimmt dem

Alles in Allem bietet diefer Reifebericht, abgefehen : Werthe der Darlegung des Verf.'s nichts; denn eben in-
von den Specialunterfuchungen des zweiten Bandes, nicht j dem er den vollftändigen Zufammenhang klarftellt , hat
nur der Gefchichte des Papftthums das werthvollfte er- [ er das Verdienft, jene Vermuthung zur Gewifsheit zu
gänzende Material, fondern zugleich Jedem, der Ge- j erheben. Er giebt aber überdies einen neuen Auf-
fchichtsforfchungen in Italien nachgehen will, eine Fülle [ fchlufs zur Sache, indem er zeigt, dafs die Feindfeligkeit
der dankenswertheften praktifchen Fingerzeige, die ihm ; Luther's gegen die Perfon und die Gefammtleiftung des
die Arbeit erleichtern, und eine Menge von Nachwei- 1 A. fich auf die Epoche von 1515 bis 1527 befchränkt