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Ausgabe:

1884 Nr. 25

Spalte:

597-602

Autor/Hrsg.:

Ranke, Leop. von

Titel/Untertitel:

Weltgeschichte. 1.-3. Aufl. 4. Thl. in 2 Abth 1884

Rezensent:

Harnack, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 25.

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feinen eigenen Landsleuten will der Verfaffer dienen
und einen Bauftein liefern ,zu der bei uns ficli bildenden
theologifchen Wiffenfchaft'. Diefen Zweck erfüllt das mit
fehr reichlichen Literaturnachweifen ausgeftattete Werk
ohne Zweifel; es darf als eine tüchtige Leiftung eines
kundigen Gelehrten, der auch die neueften Unterfuchungen
forgfältig verfolgt hat, bezeichnet werden. In der Periodi-
firung weicht Waphidis von Kurtz ab, fofern er die alte
KG. bis Joh. Damascenus und Bonifatius, die mittlere
bis zum Fall von Conftantinopel reichen läfst. Kritifchen
Erwägungen zeigt fich der Verf. durchaus nicht unzugänglich
; häufig fixirt er kurz und treffend den Stand
der Frage mit Angabe der Argumente für und wider
und verzichtet felbft auf eine Entfcheidung. So läfst er
die Befreiung des Paulus aus der römifchen Gefangen-
fchaft im Ungewiffen; dafs Petrus vor d. J. 62 nach Rom
gekommen und dafs er römifcher Bifchof gewefen fei,
ftellt er benimmt in Abrede, hält aber einen kurzen
Aufenthalt des Apoftels in Rom für wahrfcheinlich. In
Bezug auf Johannes regiftrirt er die Einwürfe, die gegen
einen kleinafiatifchen Aufenthalt vorgebracht worden find,
ohne fich irgendwie zu erhitzen. Diefes Verfahren beobachtet
er durchweg; nirgendwo verletzt er die Pflichten
des Berichterftatters, und man gewahrt deutlich, dafs es
ihm vor allem daran liegt, feine Lefer in die Wiffenfchaft
einzuführen. In der Beurtheilung des ,apoflelgleichcn'
Conftantin zeigt fich der Verf. allerdings befangen ; um
fo erfreulicher ift die unparteiifche und gerechte Würdigung
Juliän's. Ref. irrt wohl nicht in cler Annahme,
dafs diefer Monarch noch niemals von einem griechifch-
orthodoxen Theologen fo vorurtheilsfrei beurtheilt worden
ift. Wie es nicht anders fein kann, befriedigen die dog-
mengefchichtlichen Ausführungen am wenigften. Aber
auch in diefen werden fich die griechifchen Theologen
befferer Einficht nicht mehr verfchliefsen können, wenn
fie in der Arbeit, fich eine theologifche Wiffenfchaft zu
fchaffen, fo rüftig fortfahren. Diefe Kirchengefchichte
bezeichnet einen fehr bedeutenden Portfehritt in folcher
Arbeit und ift daher freudig zu begrüfsen. Das neben
flehende kleinere, kirchlich approbirte Werk fei nur erwähnt
als ein Beweis, wie jetzt auch für den kirchen-
gefchichtlichen Unterricht in höheren Schulen des byzan-
tinifchen Patriarchats geforgt wird.

Giefsen. A. Harnack.

Ranke, Leop. v., Weltgeschichte. 1—3. Aufl. 4. TM in
2 Abtheilgn. Das Kaiferthum in Conftantinopel und
der Urfprung romanifch-germanifcher Königreiche.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1883. (VI, 445 u- VI>
368 S. gr. 8) M. 20.— ; in 1 Bd. geb. M. 23.—

Die alljährlich mit Regelmäfsigkeit erfcheinenden
Bände von Ranke's Weltgefchichte liefern einen fortlaufenden
Beweis der ungefchwächten ftaunenswerthen Arbeits
- und Schaffenskraft des Meifters, deren jedesmalige
neue Bewährung ftets die allgemeinfte Freude und Theil-
nahme hervorruft. Um fo mehr müffen wir es beklagen,
wenn die Hoffnung, das grofse Unternehmen vollendet
zu fehen, mehr und mehr abnehmen mufs, angefichts
der immer fich fteigernden Ausführlichkeit, mit der der
Verfaffer, offenbar während der Arbeit felbft immer lebendiger
von dem Intereffe auch für das Einzelne feines
Stoffes erfafst, von Band zu Bande auch Ereignifse von
geringerer welthiftorifcher Bedeutung behandelt. Der
vorliegende 4. Theil reicht nur von dem Tode Conftan-
tin's bis in die Mitte des fiebenten Jahrhunderts, und
fügt der Darftellung am Schluffe, wie fchon der dritte
gethan, eine Reihe kritifcher Quellenbchandlungen hinzu.

Die Gefammtentwicklung des germanifchen Lebens
in feinen Beziehungen zum römifchen Reich', — fo fafst
R. felbft in dem ,Schlufswort' den Inhalt des Bandes zu-
fammen. Aber was wir finden, entfpricht nicht der Bedeutung
, die der gewöhnliche Sprachgebrauch mit jenen
Worten verbindet. Nicht das ,germanifche Leben und
das römifche Reich', fondern die Gefchichte germanifcher
Könige und römifcher Kaifer finden wir in den umfang-
reichften Abfchnitten dargeftellt, und wenn diefe Be-
fchränkung des Stoffes fich auch in den meiften übrigen
Werken Ranke's wiederfindet, fo fällt fie doch hier be-
fonders auf, wo die wenig individualifirten, fchnell auftauchenden
und verfchwindenden Geftalten der Herrfcher
gegenüber den grofsen fich befehdenden Völkermaffen
und Culturmächten unbedeutend, faft gleichgültig er-
fcheinen.

Eine kurze Charakteriftik der neuen nachconftanti-
nifchen Geftaltung des Weltreiches geht der Erzählung voraus
. ,Im Often und Weiten waren die Kräfte (die Germanen
) zurückgedrängt, die dem Reiche Gefahr drohten,
aber in jedem Augenblick konnten fie lieh mit verdoppelter
Energie wieder erheben . . . Man wird das Intereffe der
Gefchichte der Menfchheit nicht in der Behauptung des
Imperiums fuchen . . . Für die Continuation der weltge-
fchichtlichen Bewegung kam es auf eine Verftändigung
, der elementaren Gegenfätze an. Das Imperium war durch
feine Verbindung mit dem Chriftenthum . . . diefem Intereffe
entgegengekommen; . . . allein diefes felbft war
fchon in einer Verfchiedenheit der Meinungen über die
tiefften Geheimnifse begriffen, deren Conftantin durch
conciliare Verfammlungen Meifter geworden war, die er
aber nicht völlig hatte heben können ... Wie lange konnte
j es dauern, bis das Kaiferthum mit den der Kirche innewohnenden
Tendenzen der Autonomie in Conflict ge*-
! rieth? Wir blicken in eine Welt von Gegenfätzen . . .'
' Der Kampf und Wiederftreit aller diefer Elemente, die
zugleich Lebenskräfte find, erfüllt die folgenden Zeiten:
wobei fich dann herausftellt, dafs die Motive der Ent-
wickelung in ihren mannigfaltigen Phafen fich berühren,
'. die der Religion und der Macht, der äufseren Kriege und
des inneren Friedens und alle unter einander; fie bedingen
das ununterbrochene, von der Vergangenheit gebundene
, aber immer nach neuen Zielen ringende Leben
des Menfchengefchlechts'. —

Die eigentliche Darftellung, mit dem Tode Conftan-
tin's beginnend, enthält im erften Capitel die politifchen
Ereignifse der Regierung des Conftantius und wendet
fich darauf zu dem Thema ,Conftantius und die Kirche'.
Die Zeit der genialen Productivität der Theologie, nennt
Ranke jene Epoche, und ftellt mit gleichem Intereffe den
Werth der ,theofophifchen Anfchauungen' des Athana-
fius wie der .anthropomorphiftifchen Anflehten' des Arius
dar. Mit dem dogmatifchen Zwift vermengt fich der nationale
und politifche Streit zwifchen Orientalen und Occi-
dentalen; und die Verflechtung des Kaiferthums in den-
felben führt zu deffen erfter Niederlage gegenüber der
kirchlichen Autorität: gegen den Willen des Kaifers
Conftantius kehrt Athanafius nach Aegypten zurück (347);
: das Concil zu Sardica begründet zugleich die kirchliche
Prärogative des römifchen Stuhls. Es bleibt dem Kaifer-
thume kein anderer Weg, als der mächtig gewordenen
orthodoxen Lehre zu ,accediren'. ,In der Verbindung
der Geiftlichkeit mit dem Imperium bildet fich der grie-
chifch-römifche Katholicismus'. Die geheime Kraft jedoch
der Orthodoxie, die hier fiegte, tag nicht in jener
Geiftlichkeit, fondern in ,den Anachoreten der oberen
Thebais, welche die kaiferliche Gewalt nicht erreichte,
in denen fich das eigenfte religiöfe Motiv der Epoche
darfteilte .... Die kirchliche Genoffenfchaft war doch
noch nicht die volle Repräfentation des chriftlichen Be-
wufstfeins; fie befafs keine abfolute Unabhängigkeit
Es ift zu begjeifen, dafs der nach Gottähnlichkeit ftre-
bende religiöfe Sinn fich eine Freiftatt fuchte'.

Der letzte Widcrftand des Heidenthums gegen diefe
übermächtigen Bewegungen wird in zwei hochintereffan-
ten Capiteln ausführlich behandelt. Ausgehend von einer
Darfteilung der neuplatonifchen Lehre leitet Ranke aus