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Ausgabe:

1884

Spalte:

576-577

Autor/Hrsg.:

Predigt und Vorträge, gehalten bei der 25jährigen Jubelfeier der Meissner Konferenz von Rüling

Titel/Untertitel:

Fricke, Baur, Wold. Schmidt und Rud. Hofmann 1884

Rezensent:

Sachsse, Eugen

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 24.

576

deutfche Ueberfetzung gekannt und für die feinige benutzt
habe, find ebenfalls in neuefter Zeit Stimmen laut
geworden, welche im Gegenfatz zu dem früheren Dogma
fich im bejahenden Sinne zu äufsern geneigt waren. An
einer gründlichen Unterfuchung darüber fehlte es aber
bisher gänzlich. Als einen fehr willkommenen Beitrag |
hierzu begrüfsen wir das vorliegende Lutherprogramm
von Krafft. Hierin wenigftens erkennen wir den Haupt-
werth der Schrift, da das, was fonft über die Luther'fche
Bibelüberfetzung und einleitungsweife über die ahd. und
mhd. Bearbeitungen biblifcher Stücke gefagt wird, nicht
eben Neues bietet. — Der Verf. zeigt durch gute Zu-
fammenftellung der Zeugnifse, dafs fich im 14. und 15.
Jahrhundert ein feftftehender deutfcher Bibelfprachftoff
ausbildete und eine Art deutfcher Vulgata entftand, die
befonders für die fonntäglichen Perikopen durch gottes-
dienftlichen Gebrauch gefertigt wurde. Er weift ferner
auf die grofse Verbreitung hin, welche die Gefammt-
ausgaben der deutfchen Bibel in 14 Drucken gefunden
hatten und bringt aus einem Briefe Luther's an Amsdorf
aus dem Jahre 1522 ein directes Zeugnifs dafür bei, dafs
Luther diefe deutfchen Bibeln kannte. Dafs er fie auch
benutzte, weift der Verf. nach fowohl durch Befprechung
einzelner charakteriftifcher Stellen, als auch durch parallelen
Abdruck von 8 evangelifchen Abfchnitten aus
der Bibel von 1483 und Luther's Septemberausgabe des
N. T.'s von 1522. Man wird fich der Ueberzeugung j
nicht verfchliefsen können, dafs hier ein directer Anfchlufs |
Luther's an die ältere Geftalt vorliegt, wie grofse Vorzüge |
im Einzelnen auch immer die Luther'fche Faffung bietet, !
welche allein fchon durch ihre Begründung auf den j
Originaltext einen gewaltigen Fortfehritt bedeutet. Im
alten Teftamente dagegen foll nach Krafft die Luther'fche
Ueberfetzung, befonders in den poetifchen und prophe- j
tifchen Büchern, vollftändig von der älteren verfchieden
fein und zwei abgedruckte Parallelabfchnitte aus Hiob
beftätigen dies.

Wenn fonach die Thatfache der Benutzung durch |
Krafft's Arbeit feftftehen dürfte, fo bleiben doch im Einzelnen
noch manche Fragen, auf die man eine präcife
Antwort wünfehte und eine gröfser angelegte Gefammt-
unterfuchung könnte daher noch lohnende Ausbeute j
geben. Manches hat Krafft nur angedeutet. Er führt |
z. B. für die Benutzung an, dafs Luther fein neues Tefta-
ment neben anderen fchriftftellerifchen Arbeiten in drei
Monaten fertig geffellt habe, was doch nur durch Benutzung
der fchon vorhandenen Ueberfetzung erklärlich
werde. Ferner weift er auf das confervative Verfahren
hin, welches Luther anfangs dem Cultus gegenüber
beobachtete, um zu erklären, dafs er in den Perikopen !
den im Volke fchon bekannten deutfchen Wortlaut mög- ]
lichft beibehalten hätte. Man möchte nun gern wiffen,
ob fich wirklich in den Perikopen der enge Anfchlufs j
an die alte Ueberfetzung häufiger nachweifen läfst, als j
in den übrigen Partien des N. T.'s, und ob überhaupt !
im N. T. fich eine Verfchiedenheit der Benutzung zeigt.
Krafft giebt feine Nachweife nur aus den Evangelien;
über die anderen Bücher des N. T.'s bemerkt er
nur, dafs da Luther viel mehr zu berichtigen gefunden
habe, was man doch immerhin fo verftehen kann, als
ob er auch hier den alten Text gewiffermafsen als
Grundlage benutzt habe. Ift ferner im A. T. die Differenz
zwifchen Luther und der alten Ueberfetzung nur
dadurch bedingt, dafs feine nach dem Grundtext gemachte
Arbeit hier radicaler verfahren mufste, oder auch dadurch
, dafs er hier gar nicht die alte Ueberfetzung zu
Grunde legte, da er am A. T. viel langfamer arbeitete
als am N. T.? Ueber diefe und andere Fragen, insbe-
fondere alfo über den Grad der Benutzung in allen einzelnen
Theilen der Bibel, müfste eine umfaffendere 1
Unterfuchung noch Genaueres bringen. Es würde eine
folche eingehende Vergleichung beider Verfionen am
beflen mit der dringend zu wünfehenden kritifchen Bearbeitung
der vorlutherfchen Ueberfetzung verbunden
und könnte zu einer ausführlichen Gefchichte der deutfchen
Bibelüberfetzung bis Luther incl. führen.

Giefsen. W. Braune.

Predigt und Vorträge, gehalten bei der 25jährigen Jubelfeier
der Meissner Konferenz von Ob.-Konfift.-R. D. Rüling,
Konfift.-R. Prof. D. Fricke, Konfift.-R. Prof. D. Baur,
Proff. DD. Wold. Schmidt u. Rud. Hofmann.
Leipzig, Lehmann, 1884. (IV, 108 S. 8.) M. 1. —
Am 9. November 1859 traten auf Einladung des damaligen
Profeffors D. Brückner eine Anzahl Paftoren der
fächfifchen Landeskirche zur Begründung einer Conferenz
zufammen. Es beffanden fchon einige derartige Confe-
renzen, die bedeutendfte darunter war die ftreng con-
feffionell gerichtete Dresdener Conferenz; andere hatten
eine mehr rationaliftifche Richtung. Darum war bei
vielen das Bedürfnifs rege nach einer neuen Conferenz.
Sie wollte nach ihrer eignen Erklärung keine Partei bilden,
fondern die reformatorifchen Grundwahrheiten von Bufse
und Glaube follten der gemeinfehaftliche Boden fein,
fie wollte einerfeits ein Prediger fein in der Wüfte des
kalten Verftandeschriftenthums, andererfeits behüten vor
geiftlichem Hochmuth und allem überfpannten Amtsbegriff
entgegentreten. Vor allem aber wollte fie der
Arbeit des Friedens dienen zwifchen den verfchiedenen
kirchlichen Richtungen, fobald fie nur auf kirchlichem
Boden ftanden; daher hat fie ftets das Einigende, nicht
das Trennende gepflegt. So ift es ihr gelungen, zu der
Dresdener Conferenz in ein achtungsvolles, brüderliches
Verhältnifs zu treten. Dafs eine folche Conferenz
ein Bedürfnifs war, zeigte ihr zahlreicher Befuch, bei
der dritten Conferenz waren bereits 50 Mitglieder zugetreten
. Seitdem hat fie 26 Mal getagt, meift in Meifsen,
dreimal in Zwickau um der Brüder aus dem Erzgebirge
willen ; doch fcheint auch hier die Erfahrung gezeigt zu
haben, dafs der Wechfel des Orts dem Gedeihen einer
Conferenz nicht förderlich ift. Urfprünglich Paftoral-
conferenz ftand fie unter der Leitung ihres Begründers,
des Profeffors Brückner und dem Einfluffe des zu früh
heimgegangenen Oberhofpredigers Liebner. Als Brückner
1869 nach Berlin berufen wurde, trat ein Vorftand von
fechs Geiftlichen an die Spitze unter dem Vorfitz des
Superintendenten Lechler. 1871 wurde die Conferenz auf
Antrag des Profeffors Fricke zu einer zweitägigen Kirchen-
conferenz erweitert, deren erfter Tag für alle Kirchenglieder
, der zweite nur für die Geiftlichen benimmt
wurde. Seitdem übernahm Profeffor Fricke die Leitung.
Ihre Ordnung ift folgende: Sie wird eröffnet durch
Gottesdienft und Anfprache, dann folgt der Hauptvortrag
über ein kirchliches Thema von allgemeinem Intereffe,
an welchen fich eine Discuffion anfchliefst. Abends ein
zweiter Vortrag mit Befprechung. Am zweiten Tage
wird ein theologifcher Vortrag, meift ohne folgende
Discuffion, gehalten; dann werden Thefen über eine
zweite, meift praktifche Frage geftellt und befprochen.
Die Themata find durchgehends zeitgemäfs ausgewählt.
Wir führen als dogmatifche an: über den Gottesbegriff,
über die Schöpfung nach Schrift und Naturwiffenfchaft,
über das Dogma vom Gottmenfchen, über Jefu Sünd-
lofigkeit, Dogmatik nnd Metaphyfik (mit Bezug auf
Ritfehl); als juriftifche: Ueber die fächfifche Gemeinde-
und Synodalordnung, über die Verpflichtung der Geiftlichen
auf die Symbole, über die preufsifchen Kirchen-
gefetze, über die Civilehe; als praktifche: über zeitgemäfse
Predigtweife, die Stellung des Geiftlichen zur Politik und
zur Preffe, die Kirche und die fociale Frage, die Fürforge
für Gefangene und entlaffene Sträflinge, Behandlung des
Confirmandenunterrichts, Aufgabe der Kirche gegenüber
den Secten, über Kirchengefang, über Zunahme des
Selbftmordes u. a.

Die Conferenz hat ihren 25jährigen Beftand gefeiert,