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Ausgabe:

1884 Nr. 22

Spalte:

526-533

Autor/Hrsg.:

Nitzsch, Karl Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichte des deutschen Volkes bis zum Augsburger Religionsfrieden. 2. Bd.: 11. und 12. Jahrhundert 1884

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 22.

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Ausdruck S. I, die ganze eigentümliche Thätigkeit des
Paulus, feine Heidenmiffion ruhe auf feiner Lehre vom

fetzen; der ganze abftracte Begriff Norm ift dem Paulus
etwas Fremdes, wie Gräfe nach S. 4 Z.7ff. v. u. felber auch

Gefetz, etwas fchief; von feiner inneren Stellung zum , fpürt. Wenn Paulus fich einen Xoiornr dof/.oc nennt
Gefetz mag das gelten; dafs die Lehre auch an diefem j und doch von der feiigen Freiheit der Kinder Gottes
Punkte fich erft mehr allmählich ausgebildet haben wird, zu erzählen weifs, zu welcher Chriftus uns befreiet hat,
räumt fpäter der Verf. felber ein. Das Gelungenfte in fo hat dqiXog an jener erden Stelle nicht etwa eine
der ganzen Schrift fcheint mir auf S. 5 —8 die Ausein- : andere Bedeutung als gewöhnlich, fondern es ift nur
anderfetzung mit Volkmar u. Holften und Allen, welche ! gewählt, um durch das Widerfpruchsvolle der Verbin-
in dem Wechfel zwifchen vo/wg und h vöfing, wie er düng die Aufmerkiämkeit des Lefers zu reizen und ihm
auffallend genug durch die ganz.e paulinifche Literatur j den Unterfchied des neuen Verhältnifses von der alten
fich hindurchzieht, eine tiefe Abficht des Apoffels yer- , önr'Uiu recht draftifch nahezubringen; aus dem dnvXog
muthen, fei es nun, dafs blofs voyxng oder blos ü vofjtog ce/ta^ziag ift ein doilog Xqiozoi geworden, d. h. wir ftehen
vom mofaifchen Gefetze gebraucht werden foll, wäh- jetzt zu Chrifto in denfelben engen und unlösbaren Be-
rend im entgegengefetzten Falle Gefetz in höherem, all- Ziehungen, in denen wir ehedem zur Sünde Banden,
gemeinerem Sinne gemeint fei. Treffend gewählte Bei- Genau entfprechend iff vöiiog an jenen zweifelhaften
fpiele thun die Einfeitigkeit aller hier aufgetretenen i Stellen zu erklären. — Ueber die Bedeutung und den
Hypothefen dar; Gräfe erinnert mit Recht daran, wie j Zweck des Gefetzes, über feine Stellung in der Heils-
befonders nach Präpofitionen der Artikel vor 10110g fort- i gefchichte orientirt der Verf. trefflich auf S. IO—21.
falle, fo dafs diefer ganze Wechfel aus dem Sprachge- j Das Gefetz hat nicht den Zweck, Gerechtigkeit zu befühl
Pauli zu erklären, auf rhythmifche Intereffen zurück- 1 wirken; es kann nur Sünde mehren; fo iff es ein Inffi-
zuführen fei. Gräfe hätte nicht blofs für vomoc ohne tut von vorübergehender Bedeutung als Vorbereitung

Artikel = Mofegefetz den Siraciden citiren follen, fondern
einige Beifpiele aus verfchiedenen Büchern des A. T.'s in
der LXX beibringen, wo ebenfalls ohne jede Veränderung
des Sinnes vn/tog und ü ro/iog dicht neben einander gebraucht
werden.

Vorher fchon S. 2—4 hat Verf. 5 Bedeutungen des
roitog bei Paulus feBgeffellt: 1) das mofaifche Gefetz,
wie es im Pentateuch enthalten iff, 2) der ganze Pen-
tateuch, 3) das ganze alte Teffament, 4) einmal Rom.
2.14 f. 26 f. das natürliche fittliche Bewufstfein der

auf die NTliche Gnadenordnung. Es felber weiff über
fich hinaus — denn Paulus will wahrlich nicht gegen
das A. T. polemifiren — durch ChriBus iB es. nachdem feine
BeBimmung erfüllt, aufgehoben für immer und nicht
blofs als Heilsgrund S. 16, Z. 4 v. u. wenn man fo uneigentlich
reden darf, denn es iB ja nie Heilsgrund gewefen
fondern auch als Lebensnorm. Nur für das Gebiet der
oagg~ iB das Gefetz beBimmt gewefen; die der oa«4
Entwachfenen haben in keiner Weife mehr mit ihm zu
thun. Die Entfchiedenheit, mit der hier der Verf. unHeiden
, 5) ein Formalbegriff etwa = Norm. Wenn dann beirrt durch Autoritäten, feinen Weg geht, verdient alles
zufolge der Inhaltsangabe S. V auf S. 8—10 die Frage Lob; manche feine Bemerkung iB eingeflochten wie der
beantwortet wird: IB vö/i'K bei Paulus ein einheitlicher Satz S. 15, Z. 7 v. o. — üb man (S. 20) in dem GeBegriff
r fo wundert der Lefer fich hierüber, da ja be- brauch der Formel niiooiv iov vnuov, die doch auch
reits S. 2 f. ein fünffacher Begriff von vo/.iog conffatirt
worden iB. In der That iB jener Ausdruck nicht glücklich
; es wird hier unterfucht, ob Paulus etwa, wie in
gröbBer Form auf dem Standpunkt der pfeudoclementi-
nifchen Schriften gefchehen ifl, zwifchen einem ethifchen
Kern des Gefetzes und rituellem Beiwerke unterfcheide.

Gal. 5,14 vorkommt, eine gewiffe Anbequemung an den
judenchriBlichen Standpunkt finden mufs? Ueber das
Verhältnifs von Buchffabe und Geifi wäre um der Wichtigkeit
für die Stellung zum roitog willen mehr zu fagen
gewefen als S. 19 unten gefchieht.

S. 21 ff. wird die Antinomie, dafs Paulus ein Er-

Dies wird im Allgemeinen — unzweifelhaft richtig — j füllen des Gefetzes unmöglich nenne und doch von

verneint, aber doch eingeräumt, dafs der Apoffel bisweilen
. wie im Galaterbriefe, mehr an die rituelle, im
Römerbriefe wieder mehr an die ethifche Seite des
einen göttlichen Gefetzes denke. M. E. hätte Verf. beffer
hinter der Einleitung zuerff die Unwefentlichkeit des

oirjzai vof.101 rede, in Anlehnung an frühere Ausleger
von Rom. 2 gelöB, darnach die andere behandelt, dafs
lein Urtheil über das Gefetz nicht immer gleich geffimmt
gewefen fei. Rechnet er es nicht vor den Galatern
unter die ozor/tla tov xnu/mr, während er vor den Rö-

Artikels bei ro/ioc conffatirt, und dann zufammenhängend j mern es als uymg und nvtvfiazzx6g bezeichnet? Gräfe
unterfucht, ob die verfchiedenen Bedeutungen, welche j klärt das auf, ohne die Differenz hinwegzukünffeln. Er
von anderen Forfchern an den articulirten oder nicht fchliefst dann feine gewinnreiche Abhandlung mit einem
articulirten roiiog gehängt worden find, überhaupt Stich ! Wort über Recht und Unrecht diefer paulinifchen Gehalten
und ob weiter der v/iftog als Mofegefetz vielleicht i fetzeslehre. Darin iff mir nur S. 26 der Satz anfföfsig:
noch einer verfchiedenen Beurtheilung unterliege, näm- . Die allegorifch-pneumatifche Schriftauslegung des Paulus
lieh etwa als Ritualgefetz einer verwerfenden, als Sitten- ffehe hoch über der feiner Zeitgenoffen. An Geiff viel-
gefetz aber einer anerkennenden und beibehaltenden, leicht und an eigenen Gedanken; als Auslegung aber
Wenn Verf. das letztere leugnet, fo hätte er auch bei > thut fie es nicht. Von kleineren Accent- und Inter-
der früheren Frage nicht fo fcharf trennen follen; feine punktionsfehlern abgefehen ändere man an folgenden
drei erffen Bedeutungen fallen eigentlich zufammen, und Stellen: S. 4 Z. 15 v. o. ev z<!i in zot; S. 9 Z. 19 v. o.
die zwei letzteren braucht man nicht anzunehmen. Paulus i/ifitvei 7imn,v in i. ev näoiv, S. 9 Z. 26 v. o. ,feiner' in
kennt nur einen tOftog, die altteffamentliche Willens- ,einer; S. 14 Z. 5 v. o. ,in feine' in ,feiner',
äufserung Gottes; wenn er daneben auch bei Nichtjuden 1 Rummcisburg b Berlin . iulicher

(beffer fo als Heiden S. 9 Z. 5 v. u.) von vofiog redet | _ J

oder bei Chriffen einen v6f.tog Xoinzoi (Gal. 6, 2) ein- j

führt, fo iff das blofs eine rhetorifch aecommodirende j Nitzsch, Karl W illi., Geschichte des deutschen Volkes bis
Redeweife, eine Art kühnen Oxymorons, er verffeht zum Ausburger Religionsfrieden. Nach deffen hinter-
darunter das, was auf vorjüdifchem und überjüdifchem laffenen Papieren und Vorlefungen hrsg. von Dr Geo
Standpunkte dem rouog des Judenthums entfpricht. Wer ; Matthäi. 2. Bd.: It. und 12. Jahrhundert. LeipzD
Rom. 2,15 behaupten kann, dafs die Heiden rouog über- ~ , „ „ , ^'P^'s»

haupt nicht haben, der kennt offenbar aufserhalb des Dycker & Humblot, 1883. (X, 344 S. gr. 8.) M. 7. 20.

Alten Teffaments nichts, was ihm vo/mg zu heifsen verdiente
. Auch mit der Bedeutung ,Norm' kann man
nichts anfangen; in den betreffenden Stellen Gal. 6, 2;
Rom. 7, 23. 25; 8, 2; 9, 31 iB es unmöglich fo zu über-

Der erffe Band vonNitzfch's deutfeher Gefchichte
(vgl. Th. L.-Z. 1884 Nr. 1) war bis zu dem Moment gelangt
, da der allgemeinen Zerfetzung des abendländifchen
und fpeciell des germanifchen Lebens durch Otto d. Gr.