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Ausgabe:

1884 Nr. 2

Spalte:

510-512

Autor/Hrsg.:

Schmid, K. A.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, bearbeitet in Gemeinschaft mit einer Anzahl von Gelehrten und Schulmännern. 1. Bd 1884

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 21.

heterogene Frage umgebogen, ob wir in der deutfchen
Ueberletzung Luther's den echten oder einen alterirten
Bibeltext vor uns haben. Die Frage wird — uns fcheint:
etwas verftändnifslos — in einer Polemik gegen Luther's
Ueberfetzung beantwortet, die mühfeligen Arbeiten der Re-
vifions-Commiflion werdenüber dieAchfel angefehen,dem
fprachkundigen Theologen wird fogar die ,einzige Mittler-
ftellung zwifchen der gläubigen Seele und dem Mittler
Jefus Chriftus zugefchrieben' (S. 220) und eine einheitliche
moderne Ueberfetzung wird gefordert, — als ob
auch nur unter den gebildeten Schriftfreunden de Wette
und Bunfen nennenswerthen Erfolg gehabt, und als ob die
Herftellung einer guten allgemein gültigen Bibelüber-
fetzung eine Kleinigkeit wäre. Erft S. 226 wird in wenigen
Sätzen bei der Frage, ob Alles in der Bibel Predigtge-
genftand fei, eine chriftliche Antwort gegeben, aber frei-
Reh, um fofort wieder in folche Allgemeinheiten fich zu I
verflüchtigen, dafs fleh auch Anhänger aufserchriftlicher
Religionen damit zufrieden erklären können: ,Was für
uns wahr ift, ift wahr, weil es allgemein menfehlich wahr
ift, darum follen nur allgemein menfehüche Wahrheiten
gepredigt werden'; ,was in der Hl. Schrift fleht, gehört
nur infofern zum Worte Gottes, als es zum gebietenden
oder zum Heilswillen Gottes gehört'. Auf den homile-
tifchen Werth des A. T.'s wird mit vollem Rechte hinge-
wiefen, aber bedenklich erfcheint die Begründung, dafs 1
ohne das A. T. dem Chriflenthum ein Gottesbegriff .beizubringen
' fei, der dem Pantheismus näher flehe als {
dem Monotheismus. Mit vollem Rechte wird die fym-
bolifche Verwendung der biblifchen Gefchichte gerechtfertigt
: fie befteht darin, dafs die Idee der individuellen
Gefchichte (wir fügen hinzu: unter Fefthaltung der Einheit
des Subjects) auf eine allgemeine Idee zurückgeführt
wird, damit fic ihre Verwerthung in anderen Verhältnifsen
finde. Allein es widerfpricht mindeftens dem Sprachgebrauch
, wenn die allegorifche Schriftauslegung darin
beliehen foll, dafs man dem fymbolifchen Werth der Ge- j
fchichte in den Einzelheiten nachgeht (S. 233). Es
mag fchwer fein, die Allegorie fcharf zu definiren;
allein die Momente der Willkür und der Deutung auf I
Heterogenes werden der Definition nicht fehlen dürfen.
Werthvoll ift die Beleuchtung des Perikopenzwanges, die
uns S. 351 ff. dargeboten wird, ebenfo was S. 371 ff. über
die Einheit[lichkeit] der Predigt gefagt wird.

Seine Kraft entfaltet der Herr Verf. in dem 3. Theile,
der formellen Homiletik (S. 391—658). Ein grofser
Reichthum an genauen Beobachtungen, die durch einen
gleich grofsen, oft faft zu grofsen Reichthum an meift
trefflich gewählten Beifpielen erläutert werden, nicht
weniger aber auch eingehende Studien im Gebiete der
Rhetorik zeichnen diefen Theil aus, wenn wir auch Einzelnes
, z. B. die Lehre vom homiletifchen Beweife, ver-
miffen, und Anderes, z. B. die Verwerthung der Topik
(S. 445 ff.), die übrigens ihren Platz in der materiellen ,
Homiletik haben dürfte, mit Geringfehätzung behandelt
fehen. In vortrefflicher Weife wird die ja auch in neuefter
Zeit noch ventilirte Frage, ob Text oder nicht, erörtert
die Ausführungen von Mich. Baumgarten in feinen
Nachtgelichten desSacharja II, 172 ff. fcheinen dem Herrn
Verf. entgangen zu fein); die Predigtformen werden eingehend
dargelegt, und der analytifch-fynthetifchen
fbeffer vielleicht: homiletifch-fynthetifchen) Form
wird, wir ftimmen durchaus bei, die Palme gereicht und
die Zukunft prophezeit. Ueber die der ältern Homiletik
fo wichtigen Capitel der Confutatio und Confirmatw
geht der Herr Verf. hinweg, um defto ausführlicher von
der Einleitung und dem Schlufs der Predigt zu handeln
. In dem Abfchnitt über die fachliche Ausführung
ift aller Beherzigung werth, was über Gebrauch und Mi fsbrauch
der Individualifirung (S. 546 ff.) gefagt wird,
wogegen die Verurtheilung der Amplification, fie fei
nichts Anderes als Wichtigthuerei und die Kunft, aus
einem Frofche einen Ochfen zu machen, wohl kaum Billigung
finden dürfte. Amplificationem, fchreibt A. Hy-
perius (ed. prineeps i553 fo/. 56 h, i5Ö2 ed. Wagnitz
pag. (jq) non ad labet concionator, quo efficiat itt res major
minorer quam per sese est appareat, in quo vel maxime
laborant R/ictores, cupientes eidelicct auditorum Judicium
corrumpere atque a recto abduecre; sed quo talis ac tan-
ta ab omnibus agnoscatur, qua/eut et quantam agnosci par
est, quod profecto aliud nihil est, quam homincs aberrantes
ad prudens syncerumque Judicium revocare. Befonders in-
ftruetiv durch die Ausführungen und die theils recht ergötzlichen
Beifpiele, unter denen Marburgs Vergangenheit
eine nicht geringe Rolle fpielt, ift die Lehre von
den ftiliffifchen FThlern fowohl des Ausdrucks als des
Sat/.baues, und des eingehenden Studiums werth ift das,
was der Herr Verf. über Tropen und Figuren mittheilt
. Es würde zu weit führen, im Einzelnen abweichende
Anfchauungen hier zu begründen; es fei nur
der lapsus calami bemerkt, dafs der Herr Verf. ftets
der Klimax ftatt die Klimax fchreibt, und dafs die
Annominatio S. 618 grammatikalifcher Tropus,
S. 632 grammatikalifche Figur genannt, und das erfle
Mal als Wortfpiel, das zweite Mal als Verwendung
desfelben Begriffs in demfelben Zufammenhange als
Adjectiv, als Subftantiv, als Verbum definirt wird.

Es ift zuzugeben, dafs bei vielen praktifchen Geift-
lichcn die Technik der Predigt mehr als gut ift ver-
nachläfsigt wird; ohne Zweifel trägt diefe Vernach-
läffigung einen Theil der Schuld daran, dafs manchen
der Gebildeten ein willkommener Vorwand zur Hand ift.
fleh dem kirchlichen Leben zu entziehen. So gefchieht
der Kirche ein wefentlichcr Dienft damit, dafs in diefem
Lehrbuch der Homiletik auf das Formelle der Nachdruck
gelegt wird; bei richtigem Gebrauche wird das
Werk gewifsfegensreich wirken, und das ift unfer Wunfcn
für die Arbeit, die auch in anderer Beziehung des Guten
fo viel bietet und der Niederfchlag langjähriger Erfahrungen
und Beobachtungen und weit faffender Studien
ift. Ein dreifaches forgfältig gearbeitetes Regifter erhöht
den Gebrauchswerth des Buches.

Marburg. Achelis.

Schmid, Präl. Oberftudienr. Gymn.-Rect. a. D. Dr. K. A.,
Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf untere
Zeit, bearbeitet in Gemeinfchaft mit einer Anzahl von
Gelehrten und Schulmännern. 1. Bd. Die vorchrift-
liche Erziehung, bearbeitet von K. A. Schmid und
G. Baur. Stuttgart, Cotta, 1884. (VI, 333 S. Lex.-8.)
M. 10. —

Eine grofse und fchüne Aufgabe ift der auf vier
Bände berechneten ,Gtfchichte der Erziehung', deren
erffer Band hier vorliegt, geftellt, und in fchöner Weife
und in edlem Stil ift dicfelbe bis dahin erfüllt. Der
Abfchnitt über die Literatur S. 19—29 weift mit Sorgfalt
nach, was in der Bahn unferes Werkes bisher geleiftet
worden ift; an Vorarbeiten ift kein Mangel, und von dem
bahnbrechenden Werke von Fr. H. Chriftian Schwarz
(1802. 1829) bis auf Schmidt-Lange (1872 ff.) fehlt es
auch nicht an werthvollen Arbeiten, welche unter demfelben
oder ähnlichem Titel denfelben Gegenltand, die
Gefchichte der Erziehung, behandeln. Dennoch tritt unfer
Werk mit keiner derfelben in Concurrenz. Aus zwei
Gründen. Es ift nicht ausfchliefslich für den engen Kreis
der Fachleute, fondern für den weiteren Kreis der Gebildeten
gefchrieben, weshalb es fleh möglichfter Gedrängtheit
in der Darftcllung befleifsigt und auf fortlaufende
literarifche Nachweifc verzichtet. Der Solidität
der Arbeit hat diefe Rücklicht jedoch keinen Eintrat
gethan; foweit Ref. das zu beurtheilen vermag, entfpricht
das Werk wie kein anderes dem heutigen Stande der
wiffenfehaftlichen Forfchung in den in Betracht kommenden
verzweigten Gebieten, und in gediegener Aus-