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Ausgabe:

1884

Spalte:

505-510

Autor/Hrsg.:

Krauss, Alfred

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Homiletik 1884

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 21.

506

brachte oder als zu vollbringende vorausfetzen. Da i Recht geben mufs, dafs das homiletifche Gefetz der
der Verf. in der Vorrede mit grofsem Selbftgefühl auf j Partition fich nicht immer mit dem Gefetze der Logik
diejenigen herabblickt, welche ,die lebendige, ewige j decke, und S. 472 gar Sita spontc bekennen mufs, dafs
Wahrheit in Formeln einzuzwängen fuchen', fo hätte er | logifche Correctheit unter Umftänden zu unnützen und
gerade hier die zerfpaltenden Formeln der älteren Dog- j Hörenden Wiederholungen und zu verfchwommenen und
matik nicht beibehalten, die Lehre von dem .dreifachen , verworrenen Reden verleitet. Mit diefer Eigenthümlichkeit
Amte Chrifti' fich nicht aneignen follen. Auch die , hängt wohl zufammen, dafs nicht feiten der Herr Verf.
Scheidung des ,Wefens' Jefu Chrifti von feinem ,Plane' j nicht die Sache felbft reden läfst, fondern perfönlicher
erinnert an vergangene Zeiten, deren fteife und ungelenke j Liebhaberei oder Abneigung das Wort giebt; nur fo
Formeln längft von lebensvolleren Gedanken verdrängt j dürfte das Urtheil S. 318 zu erklären fein, dafs, je
wurden. ernfter die Religiofität eines Chriflen fei, defto weniger

Die vorliegenden Reden haben gewifs einft, vor 30 j er fich zu entfeheiden vermöge, ob er der Taufe oder
Jahren, auf die franzöfifchen Zuhörer einen bedeutenden der Confirmation religiös die höhere Werthfehätzung zuEindruck
gemacht. Aber es ift fchwer zu begreifen, j ertheile; dafs der feelforgerliche Werth der Haustaufe

dafs fie jetzt unverändert herausgegeben und fogar in's
Deutfche übertragen werden konnten. Denn gerade in
Deutfchland hat feit 30 Jahren die Erkenntnifs der Er-
löfung fich fo vertieft und erweitert, auch ift diefe Erkenntnifs
nun in allen Tonarten auf einen fo fchönen
und anfprechenden Ausdruck gebracht worden, dafs in
den vorliegenden Reden fehr Vieles fich findet, was ent-

fo verkannt wird, dafs fie (S. 320) ein ,böfer Gebrauch'
genannt wird, bei welchem die ,profane Stätte [das foll
die Familie, das Haus fein] ad Iwc durch ein weihevolles
Wort geweiht werden müffe'; dafs das Verhältnifs von
Taufe und Confirmation S. 321 ff. bis zu dem römifchen
Satze gefteigert wird confirmatione baptismum perfici.
Dahin gehört auch die Polemik gegen den warnenden

weder als unentwickelt oder als veraltet erfcheint. J Schlufs der Predigt (S. 524); derfelbe erwecke den Ver-

n , Löber i dacht, der Pfarrer habe ein heimliches Wohlgefallen an

dem Gedanken, einft werde es den Widerfachern feiner
Anflehten fo böfe ergehen. Der Schlufs der Bergpredigt
widerlegt dies Urtheil, und Bengel {Gnomon ad Mt. 7.
27) wird wohl Recht behalten: Non opus est, omnes ho-
milias desinere in usum paracleticum. Wohlthuend berührt
die Pietät, die der Herr Verf. dem fei. Tholuck und

Krauss, Alfr., Lehrbuch der Homiletik. Gotha, F. A. Perthes
, 1883. (VIII, 669 S. gr. 8.) M. 10.—

Was der Herr Verleger in der Ankündigung vorliegenden
Buches bemerkt, ift in der That richtig. Es
wird uns darin eine ausgereifte Frucht langjähriger Stu- f unferem heut zu Tage faft fchon vergeffenen theueren
dien und vielfeitiger Erfahrungen dargeboten, wie fie R. Rothe weiht, die Freude, mit welcher er die hohe

nur ein Theologe geben kann, der das Amt des Pfarrers
und des akademischen Lehrers verwaltet und in der
Leitung eines homiletifchen Seminars aus reicher Praxis
das kennen gelernt hat, was den angehenden Predigern
vorzugsweife noth ift. Die Vorzüge des Werkes liegen

homiletifche Leiftung von R. Kögel anerkennt; aber befremdlich
erfcheint die Antipathie, die der Herr Verf.
gegen Cl. Harms und zum Theil auch gegen Menken,
die er gegen die bedeutendften Homiletiker unferer Tage
Steinmeyer und v. Zezfchvvitz durch Ignorirung, die

nicht fo fehr auf der Seite grofser Conception, neuer [ er durch heftige, zu perfönlichen Invectiven fich fteigernde
oder tiefer den gefammten Bau beherrfchender Ideen, j Gereiztheit gegen J. T. Beck S. 451—456 zu Tage treten
fie liegen in der Reichhaltigkeit des Einzelnen, der forg- j läfst.

fältigen Behandlung namentlich der formellen Homi- Die Einleitung (S. I —120) behandelt in 4 Capiteln

letik, welche faft die Hälfte des Buches ausfüllt, der den Zufammenhang der Homiletik mit anderen Disciplinen.
grofsen Fülle von erklärenden Beifpielen aus der ge- I zur Gefchichte der Predigt, zur Gefchichte der Homiletik,
fammten Predigtliteratur. Befonders dankenswerth und und die homiletifche Syftematik.

trotz van Oofterzee keineswegs überflüffig ift die Hervor- j Das erfte Capitel befpricht die Nothwendigkeit
hebung der homiletifchen Leiftungen auf dem Gebiete j der Predigt als des vornehmften Stückes des chriftlichen
der reformirten Kirche und die forgfältige Berück- Cultus. Die Nothwendigkeit der Predigt wird hergeleitet
lichtigung, welche den franzöfifchen theoretifchen und 1 aus dem Satze, dafs je höher die Religion, defto höheren
praktifchen Arbeiten zu Theil geworden ift. In einer fehr ! Rang in ihrer Selbftdarftellung das Wort einnehme (im
lebhaften Sprache bewegt fich die Rede: nach rechts , Gegenfatz zu Ceremonien), und dem andern, dafs das
und links fehlt es nicht an kraftvollen Zurückweifungen [ Gattungsbewufstfein der Menfchen zu gemein-
des Unrichtigen und Krankhaften; man hat nie den j famer Befprechung nöthige, denn eine wahrhaft geiftige
Wunfch nach dem Ende, der Herr Verf. weifs immer Religion laffe fich ohne homiletifche Behandlung des in
zu feffeln, und um deswillen darf man auch nicht rechten, : den Gläubigen vorhandenen Glaubens nicht denken,
wenn fich das Wort bisweilen in Ausfälle auf die ,dum- So richtig dies fein mag, fo bezweifeln wir doch, dafs
men Pfarrer' (S. 310), auf die ,fchauerliche Gefchmack- | man auf diefem Wege über die Nothwendigkeit gemein-
lofigkeit' (S. 39), auf die Verkehrtheit, ,dafs man fich j famen Gebetes und gemeinfamer Unterhaltung über reli-
darauf verftand, die Ketzer ftattlich auszufchandiren' , giöfe Dinge hinauskommen werde; die evangelifche
iS. 45) u. dgl. verirrt. Der Herr Verf. liebt es, feine j Predigt ift dadurch weder materiell noch formell beGedanken
und Urtheile in fcharfer Zufpitzung vorzu- 1 gründet. Um fie zu gewinnen, führt der Herr Verf. S.
tragen; dafs es ihm dabei begegnet, dafs die zu fehr | 14 nebenbei und unvermittelt den trotz Nitzfeh un-
gefchärfte Spitze abbricht und ihn verwundet, läfst fich ! evangelifchen Gegenfatz von Klerikern und Laien ein,
denken. Sätze wie S. 146: ,Die fchwärmerifche Neigung, | von denen die Erftgenannten als Leiter des kirchlichen
welche fich gegen die Strenge der logifchen Zucht auf- Lebens den übrigen Gläubigen zum Lichte und zum
bäumt, hat nur zu häufig eine moralifche Relaxation zur Halte in ihrem religiöfen Leben dienen. An fpäterer
Folge, wenn diefelbe auch keineswegs immer in ge- Stelle (S. 137 ff.) wird dies dahin ausgeführt, dafs das
fchlechtlichen Verirrungen zu Tage tritt'; und ,ob durch 1 Amt fo lange nöthig fei, als noch nicht alle Menfchen
Verachtung des Ideals in der Sittlichkeit oder der feft- | getauft und der Kirche eingereiht und noch nicht alle
flehenden Denknormen in der Logik der Menfch feinen ( äufserlich zur Kirche gehörigen Menfchen echter und
feilen und unerfchütterlichen Halt dahingiebt, — für den gerechter xidjoog Gottes feien, dafs das Amt feinen Zweck
ErfoR kommt es auf dasfelbe hinaus', — überfchreiten i aber darin erblicke, fich felber überflüffig zu machen,
die Grenze des Mafsvollen und Richtigen. Die Ueber- Wir halten diefe Anfchauung für nicht haltbar; die
treibung rächt fich dadurch, dafs der Herr Verf. j Nothwendigkeit des geifllichen Amtes wird fich nur
S. 45o'Alex. Schweizer, allerdings etwas widerwillig, i aus dem evangelifch correcten Begriff der Kirche, der