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Ausgabe:

1884 Nr. 21

Spalte:

504-505

Autor/Hrsg.:

Pressensé, Edmund von

Titel/Untertitel:

Der Erlöser. Vorträge 1884

Rezensent:

Löber, Richard

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 21.

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1847 in feinen Auffätzen ,das Deffauer Bündnifs' und
,der Mainzer Rathfchlag' geliefert —: gleichwohl ift es
den Bemühungen des Verfaffers gelungen, diefe Vorgänge
in nicht wenigen Punkten weiter aufzuhellen und
ein klareres Bild von dem Fortfehritt der Verhandlungen
zu fchaffen. Dahin gehört zunächft die Aufklärung, die
er über das Deffauer Bündnifs geliefert hat; von diefem
hat er nicht nur das Datum (c. 19. Juli) gegen frühere
Annahmen feftftellen, fondern vor allem eine Relation
ans Licht ziehen können, die Herzog Georg felbft aufgefetzt
hat und aus welcher unzweideutig erhellt, dafs
es fich hier um weit mehr als um ein Defenfivbündnifs
gehandelt: es wird dort nämlich ins Auge gefafst, ,wie
man die Wurzel diefes Aufruhrs [des Bauernkrieges] als
die verdammte lutherifche Secte ausrotten möge, nachdem
der Aufruhr zur Verkleinerung und Verminderung
der Ehre und dts Dienftes Gottes von dem lutherifchen
Evangelio erweckt, auch zu Abbruch der Geiftlichen,
Prälaten, gemeiner, adeligen Stände vorgenommen und
nicht wohl möchte ganz gedämpft werden — ohne Ausrottung
derfelben Lutherifchen u. f. w.' (S. 113).
Von grofsem Intereffe ift ferner der Nachweis, wie fich
Herzog Georg Anfangs der trügerifchen Hoffnung hingab
, dafs er den Landgrafen und den eben zur Regierung
gelangten fächf. Kurfürften noch werde auf Grund
der Erfahrungen des Bauernkrieges von Luther's Sache
abwendig machen können, wie aber beide Fürften im
Fortgang der Verhandlungen entfehieden Farbe bekennen
, und eben dadurch die Bildung zweier Fürftenbünd-
nifse wider einander zur Nothwendigkeit wird. Der in
feinen Anfängen fchon auseinander fallende Augsburger
Reichstag von 1525 erhält hier eine fo eingehende Dar-
ftellung, wie er fie fonft noch nicht gefunden hatte. Der
Leipziger Fürftentag Weihnachten 1525, den wir bisher
nur aus einer Angabe Schmidt's in feiner ,Gefchichte
der Deutfchen' 1783 V 188 kannten, empfängt durch
neue urkundliche Angaben (S. 98 flg.) Beftätigung: Kurf.
Albrecht, Georg von Sachfen, Heinrich von Braun-
fchweig u. A. ftehen hier zufammen als Vertreter des
alten Glaubens und faffen den Befchlufs, einen aus ihrer
Mitte an den Kaifer zu entfenden, um diefen zu Schlitten
gegen die neue Lehre zu provociren. Gleichzeitig
kommt vom Rhein her die Botfchaft, dafs das Mainzer
Domcapitel in feinem ,Rathfchlag' den Kaifer zur Unterdrückung
der Evangelifchen auffordere, und auch Erzherzog
Ferdinand fendet Botfchaft an feinen Bruder in
ähnlichem Sinne. Da entfchliefsen fich Philipp und
Kurf. Johann, deren mannigfache Bemühungen, eine
Verbindung der evangelifch gefinnten Fürften bei Gelegenheit
des Augsburger Reichstages herbeizuführen, an 1
der Unentfchloffenheit und Lauheit derer, an die fie fich |
gewendet hatten, völlig gefcheitert waren, in der Gothaer
Zufammenkunft (Ende Febr. 1526) zunächft felber unter !
einander ein beftändiges Defenfivbündnifs abzufchliefsen,
welchem dann, wie fie hoffen, bald auch andere Stände .
beitreten werden. Die Grundlage zu gemeinfamer poli-
tifcher Action im Intereffe des evangelifchen Glaubens
ift damit gefchaffen. Von jenem ,Mainzer Rathfchlag', j
den wir bisher nur durch Seidemann aus dem Fragment
einer Gegenfchrift Luther's kennen gelernt hatten, liefert
uns Friedensburg aus dem Würzburger Kreisarchiv den
lateinifchen Text, liefert auch den intereffanten Nachweis
, dafs Luther's (durch den Kurfürften wegen zu
ftarker Invectiven gegen Herzog Georg unterdrückte)
Gegenfchrift auf Vorfchlag des Landgrafen Philipp ab-
gefafst war, wie denn auch die beiderfeitigen Räthe in
Gotha proponirt hatten, ,dafs der Rathfchlag fürderlich
Doctor Luther zugefertigt und von ihm begehrt würde,
der Capitel unchriftlich und eigennützig Vornehmen
herauszuftreichen, damit daffelbige männiglich kund
würde' (S. 138). Wie der Verfaffer an diefem Punkte
zur Lutherforfchung einen dankenswerthen Beitrag liefert
, fo auch auf S. 43 flg., wo er den Zufammenhang

klar macht, in welchem das Gutachten der Wittenberger
Theologen vom 6. Sept. 1525 (de Wette VI 57) über
den Ansbacher ,Rathfchlag' mit den Einigungsplänen des
Kurfürften Johann ftand. Diefer wollte nämlich jene
Bekenntnifsfchrift der Ansbacher Theologen als Grundlage
für die Vereinigung der evangelifch gefinnten Stände
benutzen. Jene erhält dadurch eine ganz befondere Bedeutung
: wir haben in ihr — wenigftens in der Intention
des Kurfürften — eine Vorläuferin des Bekenntnifses
von Augsburg.

Dem Verf. fei für diefe erfte Gabe beftens gedankt;
man darf der verfprochenen Fortfetzung diefer Studien
mit Intereffe entgegen fehen.

Magdeburg. G. Kawerau.

Pressense, Edm. v., Der Erlöser. Vorträge. Mit einer
Vorrede des Verfaffers. Gotha, F. A. Perthes, 1883.
(VII, 363 S. gr. 8.) M. 6. -

Die vorliegenden Reden find anfprechende Erzeug-
nifse jener rhetorifchen Kunft, welche durch gewandte
und leichte Behandlung fchwieriger Probleme die innere
Einheit und Harmonie der chriltlichen Weltanfchauung
darzuftellen bucht. Da finden fich nirgends mühfelige
und beladene Erörterungen, vielmehr find diefe Reden
bei aller rhetorifchen Breite von jugendlicher Frifche
und von jenem Pathos chriftlicher Heilsgewifsheit befeelt,
welche den Verf. einft befähigten, auf das innere Seelenleben
feiner franzöfifchen Zuhörer wohlthuend einzuwirken
.

Der leuchtende Mittelpunkt diefer Reden ift der
Erlöfer; aber die Erlöfung wird zugleich dargeftellt als
die das gefchichtliche Leben der Menfchheit heherr-
fchende und durchdringende LIeilsmacht. Mit grofsem
freiem Blick wird auf die erlöfenden Wirkungen hinge-
wiefen, durch deren richtige Erkenntnifs uns das Leben
der vorchriftlichen Völkerwelt verftändlicher wird, als
durch die unhiftorifche Ftction des fogenannten hovio
naturalis. Wenn der Verf. p. 98 die Auffaffung derer
zurückweift, welche ,aufserhalb des Judenthums jedes
vorbereitende Einwirken leugnen', fo ift das wohl nur
eine im rhetorifchen Intereffe erfundene Meinung; nicht
minder rhetorifch klingt auch die Verficherung, dafs ,die
Tugenden der Heiden noch von Sünde befleckt, aber
keineswegs nur trügerifche Scheintugenden waren'; denn
jenes ift noch niemals geleugnet und diefes noch von
Niemandem, felbft nicht von Auguftin trotz der bekannten
vitia splendida behauptet worden. Durch folche
fingirte Gegenfätze fucht fich der Verf. feine Stellung
zu fichern, wenn er in fehr ungemeffener Weife von der
Heilsfehnfucht und von der Erlöfung redet, deren Spuren
er in der vorchriftlichen Völkerwelt gefunden hat. Gerade
das Zufammentreffen der heidnifchen Athener mit Paulus,
welches der Verf. mitteilt frei erfundener Reden fehr
ausführlich darftellt, macht es uns anfehaulich, wie das
Heilsverlangen auch des höher cultivirten und mit vielen
geiftigen Gutern ausgeflutteten Menfchen auf das chrift-
liche Heil nicht gerichtet ift und daher in der wirklich
dargebotenen Erlöfung fich nicht fofort befriedigt findet.
Uebrigens tritt der Verf. feinen eignen Behauptungen
entgegen, wenn er gelegentlich die heidnifche Religiolität
allzu niedrig taxirt und in den Göttern nur die .vergötterten
Leidenfchaften der Menfchen' fleht (p. 103).

Eine unvollziehbare Scheidung fucht der Verf. durchzuführen
, wenn er nur in der Religion ,das Suchen und
Fragen nach Gott', in der Philofophie aber ,ein Suchen
nach Wahrheit' anerkennt. Eine unbiblifche Sch cidung
des Ineinanderliegenden finden wir ferner in jener Betrachtungsweife
des Erlöfers, nach welcher er als Opferlamm
, als König und Prophet erfafst wird. Denn die
beiden letzteren .Aemter' flehen der fühnenden Leiftung
nicht felbftändig und coordinirt gegenüber; fie find vielmehr
nur zu verliehen, indem fie die Sühnung als voll-