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Ausgabe:

1884

Spalte:

502-504

Autor/Hrsg.:

Friedensburg, Walter

Titel/Untertitel:

Zur Vorgeschichte des Gotha-Torgauischen Bündnisses der Evangelischen, 1525-1526 1884

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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5°'

502

Schrörs unternimmt den Nachweis, dafs diejenigen Re- lehrreicher Weife und auf Grund einer Menge von forg-
geften aus Hinkmar's Schreiben, die Flodoard im dritten fältigen Beobachtungen über Hinkmar's Verhältnifs zu
Buche feiner Historia Remcnsis eeclesiae faft durchweg den Rechtsquellen. Hervorragendes Intereffe erregt na-
undatirt giebt, innerhalb der einzelnen Adreffatengruppen türlich die Stellung Hinkmar's zu der pfeudifidorifchen
chronologifch geordnet find und dafs auch in der Rei- Sammlung. Schrörs kommt mehrfach auf die allgemeine
henfolge diefer Gruppen felbftdasfelbePrincipbefolgt wird. Frage zu fprechen. Auf Grund einer — neuerdings auch
Doch hat er davon in feiner chronologifchen Beftimmung von Langen — gemachten Beobachtung kommt er zu
der Regeften vorfichtiger Weife nicht zu ausgedehnten der von Hinfchius etwas abweichenden Datirung auf die
Gebrauch gemacht, fondern jedesmal feine Datirung Zeit zwifchen 845 und 852. Dagegen befindet er fich in
noch auf anderweitige fehr forgfältige Erörterungen ge- j Bezug auf die übrigen allgemeinen Fragen mit Hinfchius
gründet. faft durchaus in Uebereinftimmung. Speciell hebt er aus

Von Unterfuchungen über einzelne Schriften Hink- dem Kreis der Fälfcher hervor Rothad von Soiffons
mar's nenne ich nur weniges: fo die Datirung der auf und den Reimfer Cleriker Wulfad (über ihn S. 273 ff.),
den Streit mit Gottfchalk bezüglichen Schrift: ,Collcctio ' führt aber für den letzteren früheren, ungenügenden Be-
. . . de una et non trina De/tate' etc. in das Jahr 860; weifen gegenüber einiges neue, aber freilich auch
den beftimmten Widerfpruch gegen Sirmond's und Noor- nicht durchfchlagendes Material vor. In Bezug auf die
den's Verbuch, die anonyme Schrift ,Dc diversa et mnlti- Frage, ob Hinkmar die Falfchung als ganzes erkannt
pUci animae ratwne1 dem Hinkmar zuzufprechen; den habe, ift Schrörs (S. 398 ff. u. Anh. VI. S. 504 ff.; der
gründlichen Nachweis, dafs die dem Prädeftinationsftreit Meinung, dafs H. trotz feines hervorragenden kritifchen
entflammte und aus der Lyoner Kirche gegen Hinkmar , Scharffinns und Taktes, trotz feiner damals vielleicht
gerichtete Schrift ,De teilenda immobiliter scriptnrae veri- einzigartigen kirchenrechtlichen Gelehrfamkeit nie über
tute' (bei Migne, patrol. tat. 121, 1083 ff.) nicht, wie meid die Erkenntnifs des gefälfehten Charakters einzelner
angenommen wurde, von Remigius felbfl verfafst fei, Stücke hinausgekommen fei: die vorgefchützte Autorität
fondern, wie bereits J. Weizfäcker tri A. ausgeführt Ifidor's habe ihn offenbar geblendet. In feinen Grundhatten
, von dem fpäteren Bifchof von Grenoble, Ebo, fätzen über den Werth und die Verbindlichkeit der ver-
der zur Zeit der lintftehung jener Schrift nach mehreren fehiedenen Rechtsquellen (S. 401 ff.) habe er ein weit
Anhaltspunkten Beziehungen zu Lyon gehabt habe und einfacheres und wirkungsvolleres Mittel befeffen, alle auf
auch als Redactor der Canones von Valence 855 nach- Neuerungen zielenden Beftimmungen der falfchen Decre-
zuweifen fei, von denen längft angenommen ift, dafs fie talen als ungiltig bei Seite zu fetzen. Die entgegengefetzte
mit obiger Schrift denfelben Verfaffer haben müffen Anficht, die befonders J. Weizfäcker vertreten hat, dafs H.
(vgl. S. 128 ff. u. 135). j den Betrug durchfehaut, ihn aber nicht offen aufgedeckt

Hinkmar's hiftori fch e Arbeiten werden in einem habe, weil er die Sammlung auch wieder für feine eigenen
befonderen Abfchnitt befprochen (S. 444—457,. Schrörs Pläne hätte benutzen wollen, wird entfehieden bekämpft,
weift mit Recht auf den Gegenfatz hin, in welchem fich Schrörs' Beweisführung ift durchaus befonnen und fcheint
Hinkmar's oft bewiefene Gabe zu eigentlich kiitifcher j mir, foweit ich mir den fo fehr fchwierigen Quellen-
Arbeit mit dem wirklichen Werth feiner eigenen hifto- verhältnifsen gegenüber hier überhaupt ein Urtheil erlauben
rifchen Schriften befinde. Er fleht eben in den letz- darf, durchfchlagend zu fein. Dagegen hat der Verfuch
teren, wenn man von den Annalen abfieht, durchaus (S. 259 u. 266), dem Papft Nicolaus I. die Benutzung
unter dem Einflufs des Gcfchmacks und der ganzen ! und Anerkennung der Sammlung und mit Ausnahme
geiftigen Richtung feines geiftlichen Publicums, das nicht 1 eines einzelnen wenig beweifenden Falls unter Fladrian II.
wirkliche Gefchichte, fondern erbauliche Legende begehrt. ; (S. 344) den Päpften des 9. Jahrh. überhaupt jedes Citiren
Insbefondere intereffirt die Unterfuchung über die Vita derfelben abzusprechen, keinen erheblichen Eindruck auf
Remigii. Den Verfuch Noorden's und Roth's, in ihr eine mich gemacht.

kirchenpolitifcheTendenz unter unfchuldiger Hülle durch- Im Uebrigen find gerade die Partien, welche kano-

gefuhrt zu erkennen, weift Schrörs wohl mit Recht ab niftifche Materien enthalten, vom Verfaffer mit befonderer
(S. 454); auch an die Benutzung des unechten Remigius- Sorgfalt bearbeitet. Ich erwähne in diefer Beziehung
Teftaments glaubt er nicht (S. 451 n. 43) und die ge- fpeciell die Ehefcheidungsangelegenheit Lothars II. Auch
wohnliche Annahme von directen FWchungen und Er- gegenüber der werthvollen Unterfuchung Sdralek's ift der
dichtungen wird in einem befonderen Excurs(S. 507—512) I Gang der ganzen Sache vielfach fchärfer und offenbar
bekämpft. , [ richtiger beleuchtet. Es finden fich hier auch eine ganze

Wie Schrörs die hiftorifchen Kenntnifse Hinkmar's Reihe von Beobachtungen, die fowohl für die Gefchichte
nachzuweifen verfucht hat, fo unternimmt er dies auch i des Ehefcheidungsproceffes als des materiellen Eherechts
für deffen patriftifche und claffifche Studien (S. 166 ff. von Belang find.

466 ft".). Was er aber von den letzteren mehrfach er- Halle aS Karl M'nM

wahnt und begründet, dafs nämlich aus Citaten nicht |--_ 1 muuer-

ohne weiteres auf die wirkliche Belefenhcit in dem be- Friedensburg, Privatdoc. Dr. Walter, Zur Vorgeschichte
treffenden Schriftfteller gefchloffen werden dürfe (vgl. des Gotha-Torgauischen Bündnisses der Evangelischen
auch S. 389), das dürfte vielleicht auch bei manchen 1 ,525_IS26. Mit archival. Beilagen Marbur- Elwerfs
aus der ftatthehen Reihe von Kirchenvätern angenommen iJ ■> scu- rviarourg, ciwerr s

werden, deren Kenntnifs Schrörs bei H. vorausfetzt. Verl-> l8»4- (HI, 140 S. gr. 8.) M. 3. -
Mit Citaten zu prunken, die man doch nur aus Citaten- 1 Diefe auf umfaffenden archivalifchen Forfchunfen
fammlungen oder aus Schriften kennt, die fich felbfl | beruhende. Studie zur Reformationsgefchichte behandelt
wieder keines originalen Studiums rühmen können, das die Zeit vom Mai 1525 bis Mai 1526 und zeigt auf der
ift im Mittelalter allen Beobachtungen nach noch viel einen Seite in Herzog Georg von Sachlen den eifrigen
gewöhnlicher gewefen, als heutigen Tages. Trotzdem j und gewandten Agenten für eine Verbindung katholifch
wird das Urtheil über Hinkmar's aufserordentliche Kennt- gefinnter Fürften (Deffauer und Leipziger Fürftentag),
nifs der Väter zu Recht beliehen, ebenfo das andere, andererfeits in Philipp von Heften und Kurfurft Johann
dafs fein ,ganzes theologifchesWiffen in nichts anderem die Vertreter des immer beftimmtere Geftalt gewinnen-
beftand, als in einer ftaunenswerthen Belefenheit in den Projectes, ein Defenfivbündnifs der evangelifchen
den Schriften der Väter und Kirchenfchriftfteller'. j Reichsftände zu fchaffen. Die wichtigeren Momente in

Mit befonderer Vorliebe hat Schrörs offenbar die diefen beiderfeitigen Bemühungen waren zwar fchon be-
juriftifchen, fpeciell die kanoniftifchen Fragen behandelt, kannt — den bedeutfamften Beitrag zur Gefchichte jener
Ein befonderer Abfchnitt (S. 389 ff.) handelt in fehr ; Tage hatte Seidemann in der Zeitfchr. f. hift. Theologie