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Ausgabe:

1884

Spalte:

500-502

Autor/Hrsg.:

Schrörs, Heinrich

Titel/Untertitel:

Hinkmar, Erzbischof von Reims 1884

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1SS4. Nr. 21.

500

ungerecht fcharf das Urtheil über den fpeculativen Rationalismus
, S. 2189, wo Straufs, Ritfehl, Schultz in einer j
Linie flehen. —

Am leichteflen lieft fich die Archäologie; aber
ihre Darftellung erweckt nicht den Eindruck, dafs diefe j
Disciplin für die Theologie, und fei es auch nur die
hiftorifche, diejenige Bedeutung habe, welche ihr begei-
fterter Bearbeiter derfelben zu vindiciren geneigt ift.
Schrecklich verfehlt ift die Definition, mit der er beginnt:
Die chriftl. Archäologie oder Alterthumskunde . . . begreift
die wiffenfehaftliche Erkenntnifs und Darfteilung
des chriftlichen Lebens. Was noch mehr? Um fo verfehlter
, wenn als Unterabtheilung noch eine Archäologie
des chriftlichen Lebens, neben der kirchlichen Verfaffung
und Verwaltung, des kirchlichen Cultus und der chriftlichen
Kunft aufgeführt ift. Aehnlich deckt fich S. 236
der Inhalt des erften Abfchnitts nicht mit feiner Ueber-
fchrift .die Gemeinde in ihrer Einheit'. Ungenügend ift
die Literaturverzeichnung infofern, als regelmäfsig die
Ortsangabe, häufig auch das Format fehlt (bei den Ver
faffern auch die Vornamen); zumal bei Differtationen ift
das elftere, bei Kunftwerken das letztere irreleitend. |
S. 248 mufs es z. B. heifsen: E. A. Frommann, de
kenneneutis veteris ecclesiae Alttorf1747, 4", wiederholt in
feinen Opusculorum philologici atque historici ärgumenti
tomi duo. Coburgi 1770. 8°. Bei vielen Institutionen wäre j
es dankenswerth gewefen, wenn der Verf. Belege für
ihr erftes Vorkommen beigefügt hätte. Dafs ,erft im
Lauf der Zeit' nach Mafsgabe ihrer Entftehung (?) die
Briefe der Apoftel und übrigen ritl. Schriften zur kirchlichen
Verlefung hinzugezogen wurden, das wiffen wir
anderen ungefähr auch ; aber der Archäologe von Fach
könnte und follte, und fei es auch nur durch ein Citat,
uns eines genaueren belehren; ähnlich über /.hjong als 1
t. t., (trgQ07in'tiTai, kirchliche Archive u. f. w. S. 240
unter den kirchlichen Aemtern fehlt das im Orient bc-
fonders wichtige des /leoiodti:rytg; S. 249 fehlt die orien-
talifche Zurückführung des antiphonifchen Gefangs auf J
Ignatius; S. 254 ,der Charakter des Sonntags als eines
Freudentags bedingte die Ausfetzung des . . . Betens in
flehender Haltung'; ebendafelbft ift nicht ausdrücklich
getagt, dafs Oftern als Tauftermin beliebt wurde; S. 273
fehlt unter der' Literatur über das Kreuzeszeichen diejenige
, die fich auf fein Vorkommen im cod. B bezieht,
ebendafelbft bei den Malereien die berühmte fyrifciie
Evangelienhandfchrift der Laurentiana. Ueberhaupt liefse
fich aus orientalifchen Quellen da und dort eine Ergänzung
anbringen, im übrigen ift ein reicher, wohl vielen
Studirenden wenig bekannter Stoff überfichtlich zufammen-
geftellt und wird darum ficher mit Dank aufgenommen
werden. —

Ganz anders als die Archäologie beginnt die Dog-
m engefchichte mit einer Analyfe des Begriffes Dogma
und DG., wie fie präcifer nicht gegeben werden kann.
Mit den Verhältnifsen Vertraute erkennen darin fofort
die Art Landerer's, als deffen Schüler fich der Bearbeiter
fchon durch die Herausgabe der Vorlefungen
Landerer's über die neuefte DG. (Heilbronn 1881) bekannt
hat. Auch im weiteren Verlauf der Darftellung treten
all die Vorzüge von Landerer's Art, faft noch mehr
aber, wie es dem Ref. fcheinen will, jene Schatten feiten
hervor, die Ritfehl feiner Zeit an dem genannten Werke
in diefer Zeitung (1881, 4) gar zu fcharf gerügt hat.
Letzteres aus einem einfachen Grunde. Der Bearbeiter
der DG. ift offenbar der einzige, der fich ftreng an die
vom Hrsg. urfprünglich gefleckten Raumgrenzen gehalten
hat. Wie foll nun auf 6—7 Bogen die ganze dogmen-
gefchichtliche Entwicklung mit ihren Trägern vorgeführt
und beurtheilt werden, ohne dafs das Ganze, kurz
gefagt, vielfach den Charakter eines Katalogs von Irr-
thümern und ungenügenden Verfuchen erhält? Trotz
diefes Zugeftändnifses ift Ref. aber weit entfernt, in die
oben citirte Verurtheilung diefer Behandlungsweife ein-

zuftimmen, ift vielmehr überzeugt, dafs diefer Theil des
Werkes, bis jetzt der einzige, der nicht aus direct aka-
demifchen Kreifen herrührt, fich getroft neben den
anderen fehen laffen kann, ja manche übertrifft. Noch
einige Einzelheiten: Bei der Gefchichte der Disciplinen,
alfo hier Abzweigung der DG. von der KG., wäre auf
das erfte Hervortreten im Kreife der akaclemifchen Vorlefungen
zu achten; in Tübingen z. B. wurde DG. erft
1767,8 erftmals gelefen (Weizfäcker, Unterricht 121); S.
293 fehlt jede Berückfichtigung der Sibyllinen ; ift S. 300
das Wort von den glänzenden Laftern der Heiden
auguftinifch? (cf. Büchmann); S. 307 war das Einheits-
intereffe in der Gotteslchre des Arianismus eine Nachwirkung
des Judenthums? S. 358 der Antitrinitarismus
einfach Folge des Antibaptismus? Im Druck hätten, der
Ueberficht wegen, z. B. S. 361—368 die Namen gefperrt
werden follen. Ift S. 371 das letzte Bekenntnifs von Straufs
würdig genug charakterifirt, wenn ihm nur die Vertretung
der Affenurfprungslehre nachgefagt wird? S. 372 follte
ftatt ,Pfleiderer, Verfaffer einer Religionsphilofophie'
anders gefagt fein; S. 380 konnte von Möhler eine
neuere Auflage citirt werden. Ein zufammenfaffendes
und vorwärts blickendes Schlufswort hätten wir auch
hier, wie bei der KG., gerne gewünfeht. —
Ueber die Symbolik f. zum 6. Halbband.

Ulm aD. E. Neftle.

Schrörs, Dr. Heinr., Hinkmar, Erzbischof von Reims. Sein
Leben u. feine Schriften. Freiburg i Br., Herder, 1884.
(XII, 588 S. gr. 8.) M. 10. —

Die Literatur über Hinkmar von Reims ift gerade
keine unbedeutende: in zu viele Bewegungen feiner Zeit
ift feine Perfönlichkeit verflochten. Auch an einer mono-
graphifchen Bearbeitung hat es nicht gefehlt: Noorden's
Schrift über Hinkmar ift zur felben Zeit erfchienen,
da auch von anderen Seiten her die Arbeit über die
Gefchichte vorzüglich der kirchlichen und politifchen
Reformbewegungen im weftfränkifchen Reich umfaffend
aufgenommen und die letzteren namentlich in ihrem Zu-
fammenhang mit der pfeudifidorifchen Gefetzgcbungunter-
fucht wurden. Seither find über 20 Jahre verfloffen und
Schrörs will nun die Gefchichte Hinkmar's auf breitefter
Grundlage abermals darftellen.

Man kann ohne weiteres fagen, dafs die Arbeit eine
fehr erfreuliche Leiftung katholifcher Gefchichtsforfchung
ift: zwar etwas weitfehweifig und umftändlich, nicht überall
die Hauptpunkte in gehöriger Schärfe aus der Maffe
des minder bedeutenden hervortreten laffend, aber trotzdem
nie wirklich ermüdend, durchaus gründlich und mit
allen nöthigen Vorkenntnifsen, namentlich auch kano-
niftifcher Bildung, ausgelüftet, ficher und mafsvoll im
Urtheil und nur ganz feiten durch den modern katho-
lifchen Standpunkt beeinflufst.

In der Auffaffung der politifchen und kirchlichem
Gefchichte des weftfränkifchen Reichs als der Grundlage
von Hinkmar's Wirksamkeit war nach den Forfchungen

1 Wenck's, Dümmler's, Noorden's u. A. nicht mehr viel
Neues zu gewinnen. Auch die Rolle, welche Hinkmar
als Staats mann, Adminiitrator und Kirchenmann gefpielt

I hat, war doch nur in einzelnen Punkten richtiger und
noch genauer zu beftimmen, als bisher gefchehen war.

! Der Hauptwerth des Buchs liegt wohl in der Entwick-

1 lung des Antheils, den H. an den theologifchen Streitigkeiten
feiner Zeit genommen, fowie in der literar-
gefchichtlichen Seite, die fich freilich an mehreren Punkten
wieder direct mit der Gefchichte der politifchen und
kirchlichen Vorgänge berührt.

In letzterer Beziehung nenne ich hier die fehr
dankenswerthe Zufammenftellung der Regelten aus
fämmtlichen uns ganz oder nur im Auszug erhaltenen
Briefen, Erlaffen, Gutachten etc. Hinkmar's S. 512—588.