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Ausgabe:

1884 Nr. 20

Spalte:

483-484

Autor/Hrsg.:

Kleinert, P.

Titel/Untertitel:

Zum Gedächtnis Isaak August Dorner‘s 1884

Rezensent:

Mueller, Karl

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4§3

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 20.

484

fich anMancinianfchliefsend— wenigftens an Einem Punkte
den Gedanken durch, dafs und wie eine Thätigkeit des
italienifchen Staates zu Gunften der Erweckung kirchlichen
Intereffes und zur Bekämpfung der Allgewalt'der
Curie ftattfinden könne. Er erblickt diefe Möglichkeit |
in der Chance, welche fich bei der durch das Garantien-
gefetz verfprochenen Neuordnung des Kirchenvermögens
(Art. 18) ergeben würde: diefe Gelegenheit zur Wiedergewinnung
des Pfarrwahlrechts der Gemeinden zu benutzen
. Was diefe Chance betrifft, die zweifellos zu
Anfang der fiebziger Jahre günftiger war als heute, fo
hat die damals allmächtige Partei von der Rechten die-
felbe abfichtlich unbenutzt gelaffen, weil fie in Anbetracht
des überall herrfchenden Indifferentismus der National-
gefinnten in kirchlichen Dingen fürchtete, durch Ueber-
weifung der Vermögensverwaltung an die Gemeinden den
Einflufs der curialen Partei nur noch zu verftärken. Und
die Herren von der Linken, die als Mitglieder der Oppo-
fition einft fo laut nach Ausführung von Art. 18 gerufen
haben, find, als fie nun felber an's Ruder kamen, auch
nicht mit einem einzigen Schritte auf diefem Wege vorgegangen
. Und fo wird denn auch der wohlgemeinte |
Vorfchlag des Verf.'s vorausfichtlich ohne Erfolg bleiben.
Uebrigens empfiehlt fich die Beachtung feines Werkes I
allen Denen, welche in Minghetti's ,Staat und Kirche'
den entgegengefetzten Standpunkt kennen gelernt haben.

Bonn. Benrath.

Kleinert, Dr. P., Zum Gedächtniss Isaak August Dorner's,

7 den 8. Juli 1884. Rede, bei der Gedenkfeier der j
theologifchen Fakultät zu Berlin am 26. Juli 1884 '
gehalten. Berlin, Dobberke & Schleiermacher, 1884.
(22 S. gr. 8.) M. —. 80.

Als am S.Juli d.J. der ehrwürdige Senior der Berliner 1
theologifchen Facultät feinem jahrelangen Leiden in
Wiesbaden erlag und wenige Tage darauf in der Nähe '
feines Geburtsortes Neuhaufen ob Eck, in Tuttlingen,
feine vorläufige Ruheftätte fand, war es bei der grofsen
Entfernung keinem der Mitglieder der Berliner Facultät
möglich gewefen, der dankbaren und pietätsvollen Liebe,
die fie mit ihm verbunden hatte, an feinem Sarg Ausdruck
zu geben. Es war daher ein naheliegender Gedanke
, dafs die Facultät dem Gedächtnifs des Mannes,
den fie 22 Jahre den ihrigen genannt hatte, eine behendere
akademifche Feier veranftaltete, bei welcher der
derzeitige Decan, D. P. Kleinert, der dem Entfchlafenen
lange Jahre in naher Freundfchaft verbunden war, die
Rede hielt.

Diefe Rede liegt hier vor als ein Zeugnifs von dem
unvergefslichen Mann: fie giebt ein überall kurzes und |
gedrängtes Bild von der theologifchen Arbeit Dorner's,
ihrer hiftorifchen Stellung, ihren eigenthümlichen Zielen
und Mitteln; ein Bild feiner kirchlichen und kirchen-
regimentlichen Wirkfamkeit, die er in den ver-
fchiedenften Stellungen amtlicher und freier Thätigkeit
entfaltet hat mit jener Mäfsigung, Weisheit und Weite
des evangelifchen Herzens, die fich nicht binden läfst an
die engen Grenzen eines lehrhaft umfehriebenen Be-
kenntnifses oder eines gröfseren oder kleineren territorialen
Kirchenwefens, fondern vielmehr alle Bruchftücke
und Glieder der über die Welt zerftreuten evangelifchen
Kirche fammeln und verbinden will zur gemeinfamen
Arbeit in einem Geift evangelifch lebendigen Glaubens
und Lebens, und der über die einheitliche Geftaltung |
der theologifchen Lehre und Formel die kräftige Belebung
evangelifchen Gemeinfinns und Gemeindelebens
fowie der erbarmenden Liebe im Geifte des Evangeliums
geht, — endlich ein Bild feines perfönlichen Charakters
: ,des ftillen Adels, der lauteren Reinheit, des
edlen Mafses, der fchlichten Würde, die allem Wefen
des Mannes aufgedrückt war und alle feine Züge durch-

geiftigte', feiner Bethätigung .jener grofsen Lehren, dafs
die gewiffefte Ueberzeugung immer zugleich die duld-
famfte, die treuefte Nachfolge Jefu immer zugleich die
demüthigfte ift, dafs die lauterfte Strenge der Selbft-
beurtheilung und Selbfterziehung fich allezeit äufsert in der
Milde und Geduld mit andern'; endlich des Thatbeweifes
für feinen Chriftenglauben, den er unter dem fchweren
körperlichen Leiden, wie den mannigfachen fonftigen
Enttäufchungen und Kümmernifsen feiner letzten Jahre
gegeben hat in der nie erlahmenden Frifche und Freudigkeit
feiner Ergebung und feines Gottvertrauens, in
der unermüdlichen Treue, mit welcher er auch in dem
letzten Leiden jeden nutzbaren Augenblick der wachsenden
Schwäche des Leibes abrang, um auch an dem einfamen
Abend feiner Tage die Arbeit fortzufetzen und womöglich
zu vollenden, der feine volle wiffenfehaftliche Thätigkeit
im Mittag feines Lebens gegolten hatte. — In
denfelben Tagen, da die Facultät diefe Gedenkfeier hielt,
ift die Beifetzung Dorner's da, wo er felbft es fich ge-
wünfeht, auf dem Kirchhof feines Geburtsortes Neuhaufen
erfolgt.

Berlin — Halle a/S. Karl Müller.

Steude, Lic. E. G., Beiträge zur Apologetik. Gotha, F. V
Perthes, 1884. (VII, 295 S. gr. 8.) M. 4. 80.

Wie der Titel diefes Buches lautet, foll dasfelbe
keine Apologetik fein, fondern verfchiedenartige Fragen
beantworten, welche fich auf diefe Disciplin beziehen.
Der erfte Beitrag gilt dem Begriff und der encyklopä-
difchen Stellung der A. Diefe Bezeichnung wird in der
neueren Theologie auf dreierlei Aufgaben angewendet:
I. auf die Principienlehre der Theologie, 2. auf den Beweis
des Chriftenthums, 3. auf die Anleitung zur Verteidigung
des Chriftenthums. Gelegentlich kommen auch
Mifchungen diefer Aufgaben vor. Der Verf. entfeheidet
fich nun für die dritte Bedeutung der A. und ftellt die-
felbe demgemäfs in die praktifche Theologie ein. Aus
den fpäteren Theilen feiner Schrift ergiebt fich freilich,
dafs er in der A. zugleich die zweite Aufgabe umfaffen
will. Nun legt er aber (S. 42) ein grofses Gewicht auf
den Gedanken, dafs die Verteidigung des Chriftenthums
als der abfoluten Religion nicht blofs eine directe wiffenfehaftliche
Leiftung, fondern auch eine indirecte Aufgabe
des chriftlichen Lebens fei, und vergleicht beides
mit dem Verhältnifs von Vorpoftengefechten zu dem
wuchtigen Eingreifen des Hauptheeres. Da er nun die
Anleitung dazu auch in die A. einrechnet, fo behandelt
er im dritten Beitrag die Theorie diefer indirecten
Apologie. Die allgemeinen Anforderungen fittlicher Güte,
welche aus diefem Gedanken abgeleitet werden, kann
fich jeder Theolog felbft denken. Der Verf. putzt fie
mit allerlei Diftinctionen des Stoffes heraus, die nicht
glücklich find. Denn wenn das apologetifche Wirken
des Chriftenthums 1. als objectiv gegebenen Gutes, 2.
als fubjectiver Ueberzeugung, 3. als einer Leben wirkenden
und regelnden Macht dargeftellt wird, fo wird
man fchwer einfehen, wie diefe drei Beziehungen neben
einander vorkommen follen. Wenn aber S. 111 Kirchenzucht
erfordert wird, damit die Gemeinde jene indirecte
Vertheidigung des Chriftenthums wirkfam ausführen könne,
fo ift darin wohl etwas zu viel Theorie und etwas zu
wenig gefchichtlicher Sinn wahrzunehmen. Der letztere
Umftand bezeichnet aber einen durchgehenden Mangel
gerade an der Erörterung der von dem Verf. empfohlenen
indirecten Apologie. Er wäfcht hier mit dem
Schwamm, allein er macht nicht nafs. Dann aber verzichtet
man lieber auf diefes Capitel.

Als zweiter Beitrag geht vorher ein Grundrifs der
(directen) Apologetik. Derfelbe wird eingeleitet durch
fehr weitfehweifige und ebenfo überflüffige Gemeinplätze
über Vertheidigung. Endlich formulirt der Verf. feinen
Grundrifs in zwei abzuweifenden Themata, 1. das Chri-