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Ausgabe:

1884 Nr. 20

Spalte:

475

Autor/Hrsg.:

Zeller, Jules

Titel/Untertitel:

Entretiens sur l‘histoire du moyen âge. I. partie. I. 3. éd 1884

Rezensent:

Mueller, Karl

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475

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 20.

476

weil er mit fchlichten Worten zu fchildern verfteht, was I
er gefehen und beobachtet hat. Dabei treten feine mehr
perfönlichenErlebnifse und die fonft fo oft gehörten Klagen
über Gefahren und Mühfale ganz in den Hintergrund.
Nur noch eines möchte ich berühren: Lortet fpricht
fich öfters mit Abfcheu gegen die heutige Türkenwirth-
fchaft aus: er ift ftolz darauf, dafs Frankreichs Name in
Syrien einen guten Klang hat. Zu wiederholten Malen
macht er feiner Entrüftung darüber Luft, dafs feine heimatliche
Regierung, ftatt auf politifchem Wege ihren
Einflufs herzuftellen, blofs die katholifche Geiftlichkeit
unterftütze (p. 80; 373). Er wünfcht, Frankreich möchte
mittelft Colonien in Syrien feften Fufs faffen. Von
diefem Standpunkt aus ift er entfchieden ungerecht gegen
die deutfchen Colonien (p. 170); auch wiederholt er das
Märchen, Preufsen habe fich neulich die Gegend von
Caefarea abtreten laffen (p. 171). Für Ackerbauverhält-
nifse und Entwicklungsfähigkeit des Landes aber hat
Lortet ein offenes Auge, wie er in diefer Beziehung namentlich
die Gegend von Akka und Chaifa (p. 162; 172)
als wichtig bezeichnet.

Um fchliefslich unfer Urtheil zufammenzufaffen, fo
ift in dem vorliegenden Buche eine Menge höchft in- |
tereffanten Stoffes verarbeitet. Da nun auch die Aus-
itattung des Werkes eine vortreffliche ift, fo können wir
es entfchieden felbft weiteren Kreifen als ein höchft gediegenes
empfehlen; als Mangel empfinden wir, dafs ein
Index fehlt.

Tübingen, Juli 1884. A. Socin.

Zeller, Jules, Entretiens surl'histoire du moyen äge. 1. partie
I. 3. ed. Paris, Perrin, 1884. (III, 455 S. 8.) Fr. 3. 50.

Die Auffätze Zeller's zur Gefchichte des Mittelalters
follten in der 2. Aufl. von zwei auf vier Bände vermehrt
werden. Es find davon aber bisher nur die beiden erften
erfchienen. Der erfte, der hier in dritter Auflage vorliegt
, geht von den Wurzeln des Mittelalters aus; er
fchildert in Buch 1 die drei grofsen Factoren der weit- I
bewegenden Umwälzung: das römifche Reich und feine
Gefellfchaft, die germanifche Welt bis zum 4. Jahrh. und
die chriftliche Kirche bis zum 6. Jahrkundert. Buch 2 behandelt
die Barbareneinfälle und den Untergang des
römifchen Reichs; Buch 3 die erftengermanifchen Staatengründungen
auf dem Boden des alten Reichs, befonders
diejenigen Chlodowech's und Theodorich's, endlich Buch
4 den Zerfall der germanifchen Reiche, insbefondere des
fränkifchen unter den Merovingern.

Es find wirkliche entretiens, leicht gefchrieben, für
ein gröfseres Publicum, dem man etwas dünnflüffige
Nahrung geben mufs, nirgends tiefer eingehend, auch
nirgends originell und neu, felbft der plaftifchen Darfteilung
und Anfchauung oft recht entbehrend. Zum
Widerspruch fordern fie deshalb wohl nur da heraus,
wo Anfchauungen vorgetragen werden, die fonft heute
als überwunden oder doch als fehr unficher erkannt find.

Berlin — Halle a/S. Karl Müller.

Balan, Hauspräl. Petrus, Monumenta reformationis Luthe-
ranae ex tabulariis S. Sedis secretis. 1521 —1525.
Collegit, ordinavit, illustravit. Fase. I. Ratisbonae,
Pustet, 1883. 320 S. gr. 8.) M. 5.—

Bei einer Befprechung diefer Publication in einem
wiffenfehaftlichen Blatt darf man von dem fenfationellen
Schimmer, mit welchem man diefelbe zu umgeben verflacht
hat, abfehen; und auch die Frage, ob wirklich die
hier veröffentlichten Actenftücke auf Luther und fein
Werk ein ungünftiges Licht werfen oder umgekehrt den I
Vertreter der Curie blofsftellen — wie fowohl das Eine
wie das Andere behauptet worden ift —, intereffirt uns
hier nicht. Denn die wiffenfehaftliche Forfchung tritt an
ein neu erfchloffenes Quellenmaterial ohne derartige par-

teiifche Fragen heran, indem fie es einfach nach feinem
gefchichtlichen Werthe prüft. Und diefer ift — mögen
immerhin diejenigen, welche das Material für die Tagespolitik
ausbeuten wollten, fich enttäufcht gefühlt haben
— ein hoher und bleibender.

Der Inhalt diefes 1. Heftes, auf das fich meine heutige
Befprechung befchränken foll, ift (abgefehen von den
letzten 24 Seiten, welche zu der 2. Abtheilung gehören)
ein einheitlicher, indem er fich um die Sendung
Aleander's nach Worms gruppirt. Die hier zum erften
Mal mit der jetzt möglichen Vollftändigkeit mitgetheilten
Depefchen Aleander's aus Worms und aus den Niederlanden
(Mitte December 1520 bis 13. October 1521) würden
wir freilich auch ohne Balan einige Monate fpäter
erhalten haben, wie fie denn feit dem März d. J. in dem
von mir auf der Grundlage einer Trienter Handfchrift
beforgten Abdruck vorliegen.*) Es ift unvermeidlich,
dafs ich hier zunächft beide Publicationen in der Kürze
vergleiche; dabei eine oratio pro domo zu fcheuen habe
ich keinen Grund.

Mein Abdruck hat vor dem Balan'fchen voraus: 1)
eine Reihe fachlicher Anmerkungen (das illustravit auf
dem Titel B.'s entbehrt jeder Unterlage), 2) ausführliche
Inhaltsangaben, welche bei den wichtigften der neuen
Depefchen mitunter faft einer im Auszuge gegebenen
Ueberfetzung gleichkommen, 3) eine zum erften Mal
ftreng durchgeführte und eingehend (S. 272—302) begründete
chronologifche Ordnung. In letzterer Beziehung
ift die Ausgabe B.'s einfach unbrauchbar
, wie das fchon aus der Thatfache erhellt, dafs er
von den 25 undatirten Wormfer Depefchen nur 4 richtig
angefetzt, bei den übrigen fich mit einem Ungefchick
vergriffen hat, das feines gleichen fucht. So find Nr.
11, 12 und 14, die um die Mitte des December 1520
anzufetzen find, auf den 12., 14. u. 19. Januar 1521 verlegt
, Nr. 55 (Mitte December) auf den 23. März, Nr. 94
(29. April) auf den 23. Mai, Nr. 104 (Anfang Juni) auf
den 5 Juli, Nr. 75 (Anfang Juni) auf den 29. April und
fo fort (man vgl. die Tabelle in dem Vorwort meiner
Ausgabe S. XIV f.).

Etwas anders fteht es mit dem von Balan gebrachten
Texte der Depefchen, von dem ich gern hervorhebe
, dafs er im allgemeinen mit lobenswerther Correct-
heit gegeben ift. Balan hatte eine vorzügliche Vorlage,
eine, gleichzeitige Abfchriften bietende, fehr leferliche
Handfchrift des Vatikanifchen Archivs, aus der ich, im
übrigen auf die ungleich weniger zuverläffige Trienter
Handfchrift angewiefen, nur zerftreute Notizen zur Verfügung
hatte. So war er im Stande, einige Lücken des
Cod. Trid. auszufüllen, gar manche Fehler desfelben zu
berichtigen. Aber um einen kritifch hergeftellten Text,
um den es mir zu thun war, hat fich Balan nicht bemüht
: weder hat er die Fehler feiner Vorlage durchweg
verbeffert, noch auch, was ja an fich fchon dankens-
werth gewefen wäre, einen diplomatifch genauen
Abdruck des Cod. Vat. geliefert.

Da bei dem Erfcheinen Balan's die Depefchen
grofsentheils bereits gefetzt waren, konnte ich feinen
Text für meine Ausgabe nicht mehr verwerthen, habe
aber im Anhang: ,Zur Kritik des Textes auf Grund
der Balan'fchen Publication' 1) die beachtenswerten Lesarten
B.'s (S. 302—10) und 2) die falfchen oder doch zu
beanftandenden (S. 310 —15) zufammengeftellt.

Seitdem habe ich zu Ottern d. J. Gelegenheit gehabt
, die Vatikanifche Handfchrift an allen den Stellen,
wo Balan abweichende Lesarten brachte, forgfältig zu
vergleichen, und ich werde in der 2. Abtheilung des I.
Bandes meiner ,Quellen und Forfchungen' über diefe
neue Collation, durch welche fich der Text faft überall

*) Quellen und Forfchungen zur Gefchichte der Reformation
. I. Band: Aleander und Luther 1521. Die vervollftändigten
Aleander-Depefchen nebfl Unterfuchungen über den Wormfer Reichstag.
I. Abtheilung. Gotha, F. A. Perthes, 1884. (XVI und 315 S. in 8.)