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Ausgabe:

1884 Nr. 19

Spalte:

468-469

Autor/Hrsg.:

Dörpfeld, F. W.

Titel/Untertitel:

Beiträge zur pädag. Psychologie in monographischer Form. 1. Heft. Denken und Gedächtniß. 2. Aufl 1884

Rezensent:

Strack, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 19.

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auch zugleich folchen Lefern verftändlich ift, die nur
eine gewöhnliche Bildung befitzen. Wir glauben, dafs
dies dem Verf. im ganzen gelungen ift. Er unterfcheidet
bei der Erziehung zwei Hauptaufgaben: I. Erziehung des
Leibes und II. Erziehung der Seele. Die erfte gründet
er auf Phyfiologie, die andere auf Pfychologie. In den
am Schluffe des erften Theiles flehenden ,hiftorifchen
Bemerkungen' über Gymnaftik im Alterthum und in der
Neuzeit vermiffen wir die Namen Jahn' und ,Spiefs'.

Natürlich nehmen die Erörterungen über die Erziehung
der Seele mehr als den fünffachen Raum ein
als die über die leibliche Erziehung. Vorher geht eine
ausführliche Erörterung über das Wefen und die Kräfte
der Seele, nämlich nach ihren Grundthätigkeiten: dem
Erkenntnifs-, Gefühls- und Willensvermögen. Doch erkennt
der Verf. in denfelben nicht befondere angeborene
Gaben; diefelben würden alle im Leben felber durch
Verarbeitung der empfangenen Eindrücke entwickelt und
ausgebildet. Auch feien fie keine zufälligen Refultate der
Erfahrung in dem Sinne, als könnte ein menfchlicb.es
Seelenleben fich entwickeln, in welchem diefelben fich
überhaupt nicht finden. Man fieht es der ganzen Dar-
ftellung an, dafs der Verf. Pierbart und Beneke ftudirt
hat; doch hat er deren Anflehten felbftändig verarbeitet.
Gerade bei diefen pfychologifchen Erörterungen, die uns
durchfehnittlich wohl befriedigt haben, möchte es dem
Verf. am wenigften gelungen fein, auch für weniger philo-
fophifch gebildete Perfonen verftändlich zu schreiben.
Beffer hat er diefes Ziel erreicht in der Ausführung, wie
diefe drei Vermögen gebildet oder erzogen werden könnten
und füllten. Wir finden hier durchfehnittlich recht prak-
tifche Winke und Belehrungen. Gleich im Anfang fanden
wir den Unterfchied zwifchen Erziehung und Unterricht
recht anfehaulich dargeftellt. Doch heifst es am
Schluffe: , Man wird jedoch leicht einfehen, dafs eine
fcharfe Grenze zwifchen Erziehung und Unterricht weder
gezogen werden darf noch kann. Wie der method.
Unterricht durch Vorftellung und Denken das Gefühl
und den Willen bereichert und veredelt, fo find umgekehrt
diefe letzteren durch ihre Bedeutung für Aufmerk-
famkeit, Eleifs und Gehorfam unentbehrliche Bedingungen
dafür, dafs der Erzieher feine Aufgaben als Lehrer löfen
kann'. Wir bedauern recht fehr, dafs uns die Beschränkung
des Raums verbietet, durch weitere Mittheilungen
zu zeigen, wie gerade in der Gegenwart die vom Verf.
gegebenen Winke und Belehrungen Beachtung verdienen.
Wir befchränken uns zur Charakterifirung auf einige
Beifpiele: S. 165 heifst es: ,Ein Kind kann einen ziemlich
entwickelten Verftand, aber fchwache Urtheilskraft
haben, was fich darin zeigt, dafs es richtige Schluffe
ziehen kann, fo lange die Sache in ihrer Allgemeinheit
bleibt, während es rathlos dafteht, wenn es die Wirklichkeit
vor fich hat und fein allgemeines Refultat auf
einen beftimmt vorliegenden Fall anwenden foll. Es
mufs daher fehr ernfthaft eingeschärft werden, dafs man
beim Unterricht fich nicht allein an jene allgemeinen
abftracten Verftandesübungen halten darf, fondern dafs
man das Kind wieder und wieder vor das wirkliche
Leben ftellt und dazu die Mittel benutzt, die Zeit und
Verhältnifse einem an die Hand geben'. S. 168: ,Man
hüte fich, die Originalität zu verwifchen und die menschliche
Gefellfchaft mit jenen charakterlofen Wefen zu
recrutiren, die niemals zu einem felbftändigen Urtheil
über die Aufgaben des wirklichen Lebens kommen,
oder wenn das, doch nicht den Muth haben, ihre Meinung
frei und offen auszufprechen und für diefelbe ein-
zuftehen'. Wie der Verf. durch fein: ,Ich will' zum
Glauben kommt, fo fpricht er auch zu dem Kinde: ,Du
follft zu dir felber fagen: Ich verftehe das nun zwar
nicht, aber trotzdem ergreife ich die Hand, die mir gereicht
wird; ich will an eine Sündenvergebung glauben,
die eine reine Gnadengabe ift, und nicht im geringsten
auf meine eigenen Verdienste zurückgeführt werden kann;

1 ich will an die Auferstehung des Pleifches und an ein
künftiges Gericht glauben. Ich will diefen Glauben
j haben; ich will, dafs er das Gefetz meines Lebens wer-
j den foll'. Doch genug, wir rnüffea den Lefer auf das
: Buch felbfit verweifen, das wir jedem Schulmanne zur
Beachtung empfehlen, wenn wir auch nicht mit allen
i Vtailforderungcn übereinstimmen. Wir bemerken nur
noch, dafs man der Ueberfetzung anmerkt, dafs fie nicht
Original ift.

Lang-Göns. Dr. Strack.

Dörpfeld, Rekt. F. W., Beiträge zur pädag. Psychologie

in monographifcher Form. 1. Heft. Denken und
Gedächtnifs. 2. Aufl. Gütersloh, C. Bertelsmann, 1884.
(XXVIII, 181 S. gr. 8.) M. 3. —

Der als päd. Schriftfteller ungemein produetive Verf.
: vorliegender Monographie ift ein entfehiedener Anhänger
Herbart's. Er hat als Autodidakt blofs nach Büchern
feine philofophifchen Kenntnifse fich angeeignet und ver-
! dient darum um fo mehr Anerkennung, da er in der
I That Männern von gründlicher akademifcher Bildung
würdig zur Seite steht. Befonders hat er mit
unermüdlichem Eifer, was ihm auch als Pädagog am
nächsten lag, pfychologifche Studien gemacht, hierzu ift
er nach feinem eigenen Geftändnifs durch Diefterweg und
Hahn angeregt worden, befonders aber durch die Be-
. fchäftigung mit Beneke's Schriften, namentlich mit deffen
| .Pfychol. Skizzen'. Auch in den Lehrerkreifen des Se-
I minarbezirks Mörs war in den vierziger Jahren durch
j die erwähnten Seminardirectoren ein lebhaftes Intereffe
für das Studium der Pfychologie erweckt worden, darum
hat der Verf. in mehreren ausgedehnten Conferenzbe-
zirken theilweife zufammenhängende pfychologifche Vor-
i träge gehalten. Zu feinem Bedauern war während der
Regulativzeit die Behandlung der Pfychologie aus den
Seminarien verbannt, fo dafs auch die damals gebildeten
Lehrer die nöthigen Vorkenntnifse zu weiteren pfychologifchen
Studien entbehrten. Da fich dies durch
j die ,Allgemeinen Bestimmungen' änderte, fühlte fich der
Verf. auch wieder mehr berufen, für die pfychologifche
Weiterbildung der Lehrer literarifch thätig zu fein. Er
erkannte gar wohl, dafs hierzu eine compendienartige
Darstellung der Pfychologie nichts nütze; wer mehr
autodidaktifch diefe Wiffenfchaft ftudiren wolle, bedürfe
folcher Schriften, die auch dasjenige mittheilen, was ein
Profeffor in feinen Vorträgen zur Erläuterung des Com-
pendiums mündlich hinzufüge. Dies könne nur durch
Monographien gefchehen. Darum lieferte der Verf.
einige Auffätze der Art in dem Ev. Schulblatt, wie auch
die vorliegende Brofchüre zuerst 1866 als folcher er-
fchienen ift, bald aber auch als Separatabdruck, damals
allerdings kürzer, fowohl im pfychologifchen als pädagogischen
Theile. Eine zweite Monographie (,Die fchul-
mäfsige Entwicklung der Begriffe', alfo eine Special-
unterfuchung über die Denkoperationen) ift auch fchon
1877 im Ev. Schulblatt mitgetheilt worden, und wird als
zweites Heft der ,Beiträge zur pädag. Pfychologie' bald
erfcheinen.

Dafs das vorliegende erfte Heft: /Denken und Gedächtnifs
' einen für die Pädagogik überaus wichtigen
Gegenstand behandelt, bedarf keines Beweifes. Auch

I müffen wir dem Verf. das Zeugnifs geben, dafs er diefen
Gegenstand grundlich und doch allgemein fafslich behandelt
hat. Allerdings erfpart er dem Lefer das Den-

1 ken nicht, was fchon in dem Gegenstand felbst liegt;

| aber ein denkender Lehrer, oder wer es fonft fei,
wird ohne Befchwerde das Gefagte verstehen. Hierzu

! dienen befonders die mitgetheilten, befonders aus dem
Schulleben entnommenen Beifpiele. Das Ganze zerfällt
in vier Abfchnitte: I. Einleitung: Zur vorläufigen Orien-
tirung. IL Die Vorgänge des Denkens und des Gedächt-
nifses. III. Die Gefetze des Denkens und Gedächtnifses.