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Ausgabe:

1884

Spalte:

431-433

Autor/Hrsg.:

Seifert, Frdr.

Titel/Untertitel:

Die Reformation in Leipzig. Zur 400jährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luthers hrsg 1884

Rezensent:

Enders, Ernst Ludwig

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Was das Einzelne betrifft, fo begegnen faft auf jeder
Seite die feltfamften Argumente, die wunderlichften Ausdeutungen
und völlig luftige Erwägungen. Ein Beifpiel:
Die Frage, ob Julian die Taufe erhalten hat, wird auch
auf Grund folgender Ueberlegung bejaht: ,Die beifpiel-
lofe Verbitterung Julian's gegen das Chriftenthum erklärt
fich dem Pfychologen leicht, wenn er in ihr ein ohnmächtiges
y.c.cä tou y.kVTQOi ).uy.iiC.tiv fieht und eine wenn
auch nur anklagende Reaction der Taufgnade'. Ich würde
diefes Argumentnicht erwähnt haben, wenn nicht Dutzende
von viel weniger harmlofen zu finden wären. Der Ver-
faffer zeigt durch diefelben, dafs er fich nicht nur auf
den Ton der entfchloffenften Parteimänner des 4. Jahrhunderts
geflammt, fondern auch noch die nöthige Ver-
ftärkung diefes Tones aus der mittelalterlichen und der
neueren Controversliteratur gewonnen hat. Dafs es unter
folchen Umftänden nicht zu einer genauen kritifchen Er-
forfchung des Einzelnen kommen kann, ift offenbar. Ein
Beifpiel ift die Art, wie der Verf. ,die oikumenifch fyno-
dale Authentie und die Nyffenifche Autorfchaft des Con-
ftantinopolitanums' beweift. Aber von hiftorifch-kritifcher
Methode hat Kölling überhaupt keine Ahnung; mit der
gröfsten Unbefangenheit häuft er die Verftöfse und fucht
nicht einmal den Schein des unparteiifchen Hiftorikers
zu wahren. Mit der Sicherheit des Laien wetteifert nur
die Sicherheit des Parteimanns. So find alle Fragen im
Voraus entfchieden, und der ,Kenner', als welchen fich
Kölling überall vorftellt, hält es durchweg für fein Recht,
aus feiner Phantafie ihm gutdünkende Züge zu ergänzen.

Die Dispofition und Eintheilung des Ganzen war für
den Verfaffer bequem, ift aber wenig zweckmäfsig für
den Lefer. Der Stoff ift in mehr als 150 Capitel zerhackt,
und die vier Bücher, in welchen er untergebracht ift (Die
kaiferliche Kirchenpolitik von Nikäa bis Conftantinopel
— Die Kämpfe und Siege des Athanafius — Innere Ge-
fchichte des Arianismus und der übrigen mit ihm zu-
fammenhängenden Härefien — Die drei grofsen Kappa-
doker), trennen das Zufammengehörige.

Der Verfaffer hat einen Theil der Quellen gelefen,
recht Vieles aber aus zweiter Hand genommen. Das
Werk ift von einem Doctor der Theologie und Superintendenten
verfafst und ift gewidmet einer theologifchen j
P"acultät — ein trauriges Denkmal für künftige Zeiten
von dem, was ,im evangelifchen Jubeljahr 1883' in der
evangelifchen Kirche möglich und wirklich gewefen ift1).
Giefsen. Adolf Harnack.

Seifert, Lehr. Dr. Frdr., Die Reformation in Leipzig. Zur

400jährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luthers hrsg.
Leipzig, Hinrichs, 1883. (VIII, 220 S. gr. 8.) M. 4. —

Nachdem der Verf. bereits in den , Beiträgen zur
Sächf. Kgfch.' H. 1. S. 125fr. den wichtigften Theil der
Reformationsgefchichte Leipzigs, nämlich die Ein- und
Durchführung der Reformation felbft, 1539—15455 behandelt
hatte, hat er in vorftehender Schrift feine Aufgabe
erweitert und eine Reformationsgefchichte diefer
Stadt von den erften Regungen des evangelifchen Geiftes
bis zur vollendeten Befeftigung der Reformation geliefert.
Wenn auch fo die frühere Arbeit faft wörtliche Aufnahme
in die jetzige finden konnte, fo hat fie doch beachtens-
werthe Zufätze erhalten aus dem mittlerweile dem Verf.
weiter zugegangenen Material, fo dafs für diefe Parthie
des Buches fich wohl kaum noch etwas Neues wird beibringen
laffen. Andere Dinge, welche der Verf. bei feiner
erften Arbeit noch unentfehieden laffen mufste, find zu
einer ficheren Entfcheidung gebracht, fo z. B. die Frage,
in welcher Kirche Leipzigs Luther zu Pfingften 1539
predigte.

') Vgl. die ausführliche Anzeige des Buches von Möller (Theol.
Studien und Krit. 1884, S. 781 — 806), die mir foeben zukommt. Möller
hat fich der Mühe unterzogen, den Verfaffer im Einzelnen zu controliren
und dabei fchlimme Dinge aufgedeckt.

Die ganze Arbeit gliedert fich nach einer Einleitung,
welche .Leipzig vor und in dem Reformationszeitalter'
fowie die .Stellung der beftehenden Gewalten zur Reformation
und Territorialverhältniffe' befpricht, in 6 Ab-
fchnitte, welche nach S. 31 die mächtigen Hebel aufzeigen
follen, durch welche die Reformation dortfelbft
Eingang fand und endlich durchgeführt wurde, nämlich:
1. die Disputation 1519, 2. die dabei gehaltene Predigt
Luthers, 3. die von Wittenberg aus hierher gerichteten
Troftfchreiben Luthers, 4. die mit Leipzigern gewechfelten
Streitfchriften, 5. Melanchthons zwei Religionsgefpräche
in Leipzig und 6. Luthers und Melanchthons perfönliche
Mitwirkung bei der Ein- und Durchführung der Reformation
dafelbft. — Auf den erften Blick leuchtet ein,
dafs diefe Eintheilung keine glücklich gewählte ift. Von
dem Beftreben geleitet, die ganze Entwicklung hauptfächlich
um die Perfon Luthers fich gruppiren zu laffen,
fieht der Verf. fich einestheils genöthigt, Dinge als Schlagworte
aufzuftellen, welche keineswegs von der Wichtigkeit
waren, dafs fie die Entwicklung geführt hätten,
fondern vielmehr von ihr herbeigeführt wurden (fo
Abfchn. 3), anderntheils wird er aber auch durch feine
Partition verleitet, zeitlich und fachlich Zufammenge-
höriges in mehrere Abfchnitte zu vertheilen, und vermag
nicht von Wiederholungen fich frei zu halten. Auch ift
für die Trennung von 1 und 2 kein befonderer Grund
erfichtlich.

Abgefehen aber von diefer m. E. verfehlten Eintheilung
mufs man die Arbeit als eine tüchtige bezeichnen,
welche durch forgfältige Benutzung der Quellen auch dem
in der Reformationszeit nicht Unbewanderten manches
Neue darbietet — Referent zählt für feine Perfon dahin,
das in der Einleitung über die focialen und kirchlichen
Verhältniffe Leipzigs unmittelbar vor der Reformation
Mitgetheilte —, in Anderem landläufige Irrthümer berichtigt
. Wenn dagegen der Verf. in anderen Parthien
etwas weitfehweifig wird, ohne dem bereits Bekannten
etwas eigentlich Neues hinzuzufügen — fo z. B. bei der
Leipziger Disputation S. 32—58, — fo findet dies feine
Erklärung und Rechtfertigung darin, dafs er fein Abfehen
wohl auf einen weiteren Leferkreis als den der fpeciellen
Reformationshiftoriker richtete.

Auf Einzelnes übergehend fchliefse ich mich dem
Gange des Buches felber an. S. 16. wird der bekannte
Gegner Luthers, Hieron. Dungersheim von Ochfenfart
nur fo nebenher erwähnt, S. 143 und 205 kommt der
Verf. etwas ausführlicher auf ihn zurück. Es hätte jedoch
diefer, keineswegs ungelehrte Gegner, der auch
nach dem Münzerfchen Aufruhr bei der Gegenreformation
Mühlhaufens eine Rolle fpielt, eine eingehendere Betrachtung
verdient. Nicht nur gerieth er 1519 über die Frage
des päpftlichen Primats mit Luther in einen Streitbrief-
wechfel, der übrigens auch in feiner Wichtigkeit für die
Entwicklung der Anficht Luthers, mit welcher er nachher
auf der Leipziger Disputation felbft hervortrat, nicht
gehörig gewürdigt ift; fondern auch mehreren anderen
reformatorifchen Schriften Luthers Hellte Dungersheim
Controversfchriften gegenüber, in denen er fich als einen
bedeutenderen Gegner als der S. 137 k befprochene Fran-
ciskaner Auguftinus Alveldenfis, ja m. E. mindeftens
ebenfo bedeutend als der S. 141 ff, behandelte Emfer
zeigt. Der Verf. hätte hierfür die freilich fehr feltenen,
aber auf der Leipziger Univerfitätsbibliothek vorhandenen
j Aliquot opuscula Dungersheims verwerthen müffen. —
S. 21 zum erften Male und dann öfter wird die in Dresden
gehaltene Predigt Luthers, welche Herzog Georg zuerft
gegen Luthern einnahm, in das Jahr 1517 gefetzt, während
fie in das Jahr 1518 fällt. Der Verf. folgt hierin freilich
vielen Vorgängern, welche fämmtlich durch den bei
de Wette, Luthers Briefe I, 83ff. um ein Jahr falfch
datirten Brief Luthers an Spalatin irre geleitet wurden,
während doch Köftlin, Luthers Leben, 2. Aufl. (wonach
fonft citirt wird), Bd. I. S. 790. Note 1 zu S. 240 fchon