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Ausgabe:

1884

Spalte:

383-386

Autor/Hrsg.:

Günther, Ant.

Titel/Untertitel:

Anti-Savarese. Hrsg. mit einem Anhange von Peter Knoodt 1884

Rezensent:

Lemme, Ludwig

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383 . Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 16. 384

Grundfätze der römifchen Kirche, wie fie Hildebrand j Selbftbewufstfeins (Unterfchied von Subject und Object
ausgefprochen hatte, im Kampfe gegen den Kaifer durch- 1 im Ich) einen Beweis für den (pfychologifchen) Creatia-
zufetzen. nismus gegen den Traducianismus meinen entnehmen zu

Strafsburg i/E. R. Zoepffel.

Günther, Ant, Anti-Savarese. Hrsg. mit einem Anhange
von Peter Knoodt. Wien, Braumüller, 1883. (XII,
318 S. 8.) M. 6.—

Im J. 1856 gab Savarefe, der fpäter päftlicher Hausprälat
wurde und neuerdings der römifchen Kirche den

Rücken gekehrt hat, ein Buch heraus, in welchem er das j die Durchführung diefes Dualismus verwickelt in unheil

können. Der Unterfchied von Subject und Object im
Ich ift ja ein formaler, real ift das Ich in der Mannigfaltigkeit
feiner Zuftände oder Erfcheinungen: dafs aber
das Ich als Subject im Verhältnifs zu feinen Erfcheinungen
die Subftanz (im Verhältnifs zu jenen als Acci-
denzen), das caufale Princip derfelben fei, ift Behauptung
ohne Beweis; der pfychologifche Dualismus, der den
Grundftein des Syftems bildet, ift erfchlichen. Aber auch

Syftem Günthers als logifchen Anthropomorphismus kriti- ' bare Schwierigkeiten. Indem Günther den Geift fcharf
firte. Diefe Kritik erregte Günther befonders darum, weil j von der Pfyche unterfcheidet, fieht er die letztere als
feine Sache gerade damals in der Indexcongregation i Product der Naturfeite im Menfchen an. Ift aber dann
fchwcbte, und weil er Savarefe als Marionette der Jefuiten ! die Pfyche nicht auch ohne Geift denkbar, und bleibt
anfah. In diefer Erregung fchrieb er den Anti-Savarefe, | die Verbindung von Geift und Seele nicht wie bei Des-
deffen Herausgabe Günther's Freunde verhinderten. Es ; cartes ein blofses Nebeneinander? Die ganze Entwicke-
ift mir fraglich, ob die Herausgabe nicht auch jetzt noch i lung Knoodt's hierüber S. 234 ff. erweift ebenfowenig,
beffer unterblieben wäre. Tiefere Begründungen giebt ' dafs die Menfchenfeele nicht als Blüthe des Naturlebens
Günther feinen Ideen in diefer Schrift nicht. Und die j ohne Geift real werden kann, als fie die Vereinigung
Polemik macht bei beiden Gegnern keinen erquicklichen ! von Seele und Geift irgendwie verftändlich macht. Der
Eindruck. Bei Savarefe behielt man trotz allem, was er 1 Menfch bleibt bei Günther eine unbegreifliche Addition
mit Recht gegen Günther vorbringen mag, mit Günther ' von Geift und Natur. Aber felbft diefe von ähnlich fal-
das peinliche Gefühl, dafs es ihm daran liegt, dem 1 fchen Vorausfetzungen wie bei Descartes angenommene
Letzteren an allen möglichen Stellen Ketzerei nachzu- [ Addition zugegeben, fo bleibt die von Günther behauptete
weifen. Und Günther's Ausführungen find im Grunde j Unterfcheidung des begriff liehen Denkens, das dem Naturgenommen
ungeniefsbar, weil er überall feine verwickel- I individuum im Menfchen im Gegenfatz zum perfönlichen
ten Theoreme als bekannt vorausfetzt, und weil ihm jede Geift zukommen foll, vom ideellen Denken um fo halt-
Gabe klarer, zufammenhängender Entwickelung fehlt, lofer, da zugeftanden wird, dafs die Bildung des begriff-
Und was beide Gegner vorbringen, liegt uns Proteftan- ; liehen Denkens nur unter Vorausfetzung des Geiftes denkten
darum meiftens ferner, weil fie fleh in fcholaftifcher j bar ift. Bleibt dem Geift die Umwandlung des Schemas
Weife um philofophifche Termini bekämpfen im Hinblick j (wie es fchon das Thier bildet), das die leibliche In-
auf kirchliche Dogmen. dividualität einhändigt, in den Begriff, fo ift es falfch,

Das Werthvollfte an dem Buche ift der den weitaus I das begriffliche Denken als niederes der Naturfphäre
gröfseren Theil desfelben (S. 99—318) umfaffende An- im Menfchen zuzuweifen. Die Hauptfache ift eben die,
hang, zu deffen Anfügung fleh Knoodt durch eine Be- | dafs die Unterfcheidung des begrifflichen und des ideel-
merkung von mir (in diefer Zeitfchrift J. 1882, Sp. 82) über len Denkens willkürlich erfonnen ift zu dem Zweck, mitfeine
Güntherbiographie veranlafst gefehen hat, an der i telft des ideellen Denkens einer theologifirenden Metaich
tadelte, dafs Knoodt nicht durch diefelbe in die Ent- | phyfik Raum zu fchaffen, die weder Theologie noch
Wickelung der Günther'fchen Philofophie einführe. In ! Philofophie ift. Diefes ideelle Denken aber meinte Günther
diefem Anhange giebt nun Knoodt in Form von erläutern- | zu gewinnen durch feine Unterfuchung des Selbftbewufst-
den Anmerkungen zu Günther's Anti-Savarefe einen Ab- feins. Wenn aber von der Realität des Denkens die
rifs der Hauptpunkte der Günther'fchen Philofophie, Realität eines Seins erfchloffen wird, das denkt, fo ift
namentlich der Lehre von dem Selbftbewufstfein und den ! es doch eine feltfame Folgerung, dafs hierdurch die Kant'-
Kategorien, des Dualismus, der Creations- und Trinitäts- : fche Unterfcheidung zwifchen der Erfcheinung und dem

lehre. Diefer Abrifs ift um fo dankenswerther, da er demjenigen
, dem es nicht gerade an einer genaueren Kennt-
nifs der Günther'fchen Speculation liegt, das mühevolle
Studium feiner Schriften erfpart. Aber der Abrifs, der
in Günther den Schlufsftein der ganzen bisherigen philo-
fophifchen Geiftesbewegung fehen möchte, fordert auch
zu einer kurzen Kritik geradezu heraus.

Ding an fleh aufgehoben fei, dafs fleh aber hieraus ein
ideelles Denken im Unterfchied vom begrifflichen ergebe:
Günther glaubte eben hier das Reale hinter dem Idealen,
das Sein hinter dem Denken gefunden zu haben, hier
that fleh alfo das Thor auf für eine in Realitäten fchwel-
gende Speculation. Wenn alfo Knoodt einen Fortfehritt,
ja eine ungeheuere Leiftung Günther's darin fleht, dafs

Die creatio ex nihüo bildet einen der Angelpunkte 1 Günther bei der Ableitung der Kategorien nicht im For-
von Günther's Syftem: er nannte es darnach Creatianis- malen ftehen bleibt, fondern ,zugleich im Realismus ab-
mus. Ift es nun fchon merkwürdig, dafs ein Gedanke, fchliefst', fo kann ich darin nur einen Rückfehritt erder
den Werth eines theologifchen Poftulats hat, den kennen, der darauf beruht, dafs Günther der von Kant
Angelpunkt eines philofophifchen Syftems bilden foll, fo ! formulirten Aufgabe der Erforfchung des menfehlichen
ift es noch merkwürdiger, dafs Günther denfelben aus j Erkenntnifsvermögens kein genügendes Verftändnifs ent-
der Bedingtheit des endlichen Subjects meinte gewinnen i gegengebracht hat. Günther's Entwickelung ,der Ent-
zu können. Die Schlufsfolgerung ift eben in diefem ; ftehung der Kategorien im Proceffe des menfehlichen
Syftem gelegentlich eine erftaunlich fchnelle und gewalt- Selbftbewufstfeins' hat nämlich überhaupt nicht den Werth
fame. Weil das Subject Caufalität feines Handelns ift, I einer erkenntnifstheoretifchen Ableitung, wie Knoodt
gilt S. 139 ff. ohne Weiteres die Theorie von der Wahl- I meint, fondern den einer pfychologifch-metaphyfifchen
freiheit als bewiefen. S. 169 wird die Gewifsheit der j Theorie, wie denn in der Darftellung Knoodt's der theo-
Erkenntnifs darauf begründet, dafs dem Ichgedanken ein logifch-metaphyfifche Charakter der von vornherein fer-
Scin zu Grunde liegt. (,Darum ift der Ichgedanke als tigen Weltanfchauung vielfach fcharf hervortritt (S. 136.
felbttbewufstes Sein ein zweifellos gewiffes und verge- ! 137. 157. 167 u. f. w.). Während Kant unter den Kate-
wifferndes Denken!') Und nach S. 173 wird diefe Ge- i gorien die Denkformen verttand, in denen der Verftand

wifsheit objectiv verfichert durch die Gottesidee, die Gottes
erkenntnifs verleiht Bürgfchaft für diefe Gewifsheit! Nach
folchen Proben werden wir uns nicht mehr wundern, dafs
Günther und mit ihm Knoodt fchon aus der Form des

die Erfcheinungswelt auffafst, verfteht Günther unter den
Kategorien die Begriffe refp. Ideen, in denen er die Entwickelung
des Selbftbewufstfeins auffafst. So bringt er es
fertig, an die Spitze der Kategorien-(oder Ideen ) Lehre das

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