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Ausgabe:

1884

Spalte:

346-349

Autor/Hrsg.:

Hirzel, Rud.

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zu Cicero‘s philosophischen Schriften. 3 Thle 1884

Rezensent:

Siebeck, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1884- Nr. 14.

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Das dritte Capitel ift der deutfchen Theologie gewidmet.
Eine ungenaue Charakterifirung des Pietismus Note 2
auf p. 93, die Schreibung Semnler ftatt Semmler (durchgängig
) und die Behauptung, Schleiermacher fei der
glänzendfte und gefährlichfte Gegner von Straufs ge-
wefen p. 109, fallen auf. Im Uebrigen lieft fich das
Capitel gut und ohne Anftofs. Gegen die Vertheilung
des Stoffes auf die beiden folgenden Capitel, 4) die Orthodoxen
und 5) die Unabhängigen, läfst fich der Einwand
erheben, dafs erft Cap. 5 das in Cap. 4 Erzählte
verffändlich macht. P. 117 Note 1 wird der Infrala-
pfarismus erklärt: les suiles dupeclie originell Nicht blofs
an diefer Stelle vermifst man es fehr, dafs dem Verf.
Schweizer's Centraidogmen unbekannt geblieben find. —
Je weiter der Verf. fortfehreitet, deffo intereffanter wird
er. Immer enger Ichliefst er fich an fein eigentliches
Thema an und immer fpecieller werden feine Mittheilungen
. In Bezug auf die orthodoxe Periode fcheint
er Manches nicht immer aus erfter und auch nicht immer
aus befter Quelle bezogen zu haben. So definirt er
p. 203 Note 1 das testimonium Spiritus Si. als Impression
murale produite sur la conscienee par la lecture de la
Biblc. Das ift aber weder der Begriff, den die Reformatoren
, noch viel weniger der, den die Orthodoxen
mit dem Ausdruck verbanden, fondern nur die rationa-
liffifche Abfchwächung desfelben. Das testnu. Spir. S.
wird von der proteftantifchen Orthodoxie als ein ganz
fupranaturaler Act gedacht, analog der wunderbaren
Geiftesausgiefsung am erffen chriftlichen Pfingftfeft. Darüber
hätte fich der Verf. fchon aus Calvin Instit. I. I
c. 7 $ 4 u. /. III c. 2 $ 34 sqq. unterrichten können, von
den Stellen in den fcholaftifchen Dogmatikern des Pro-
teffantismus ganz zu fchweigen.

Der intereffantefte Abfchnitt ift c. 7: la grande lutte.
Hier erhalten wir ein lebendiges Bild der Kämpfe, die
auf franzöfifchem Sprachgebiet um den Infpirationsbegriff
gefochten wurden. Wiederholungen kommen freilich
auch hier vor, und unnöthige Sprachkunfte, um zu
amplificiren, namentlich in oft Hörender Weife die Figur
der correctio, fehlen nicht. Aber die Hauptmomente
werden ficher erkannt und hervorgehoben, und in diefem
wie in dem folgenden Abfchnitt, dem Schlufscapitel {les
resultats,, zeigt der Verf. treffend, dafs der Streit um die
Infpiration nur ein, wenn auch befonders wichtiges Moment
in der grofsen Geifterfchlacht ift, die um den
point fondamental actucl, le surnaturel p. 337, geführt
wird.

Vorn fleht gedruckt, dafs die Compagnie des Pasteurs
de Geneve, die das Preisthema geftellt hatte, in keiner
Weife über die Anflehten in den von ihr gekrönten
Schriften fich zu äufsern gewillt fei. In diefem Sinne
möchte auch ich über diefes Buch urtheilen. Der Verf.
fteht entfehieden auf Seiten der fogenannten liberalen
oder reformerifchtn Theologie. Er vertritt deren Standpunkt
mit Ruhe, Mäfsigung und Gefchick. Die theolog.
Literatur feines Volkes aus diefem Jahrhundert hat er,
foweit fie hier in Betracht kommt, mit Fleifs und Ver-
ftändnifs durchforfcht; auch in der frühern Zeit hat er
fich umgefehen. obfehon nicht mit demfelben Urtheil
und nicht in demfelben Umfang. Es ift ein ganzes
Stück proteftantifcher Dogmengefchichte, das vor uns
aufgerollt wird, und je weniger in weiten Kreifen Deutfch-
lands die proteftantifche Theologie Frankreichs und der
franzöfifchen Schweiz gründlicher Kenntnifs fich erfreut,
um fo mehr verdient es diefes Buch, dafs es von Allen,
welche fich mit Dogmatik und Dogmengefchichte eingehender
zu befallen haben, gelefen werde.

Strafsburg i/E. Alfred Kraufs.

Hirzel, Rud., Untersuchungen zu Cicero's philosophischen
Schriften. 3 Thle. Leipzig, Hirzel, 1877, 82 u. 83. (244,
913 u. III, 576 S. gr. 8.) M. 35. -

Je mehr in der Gegenwart das culturgefchichtliche
Intereffe für die Zufammenhänge und Entwicklungen der
fpäteren griechifchen Philofophie gewachfen ift, um fo
fühlbarer macht fich der Umftand, dafs diefe Periode des
antiken Geifteslebens in Bezug auf monographifche Be-
händlung hinter der früheren um einBedeutendes im Rück-
ftande ift. Diefer Mangel der Forfchung wird nun durch
die gründlichen und an Refultaten fehr ergiebigen Unter-
fuchungen des vorliegenden Werkes wefentlich verringert.
In verhältnifsmäfsig wenigen, aber ausgedehnten Partien,
leider ohne recht überfichtliche Gliederung fich fortfpin-
nend bringen diefelben an fachlicher Ausbeute fehr be-
achtenswerthe neue Wendungen und Gefichtspunkte zu
Tage, die einer weiteren Verwerthung auch von Seiten der
hiftorifchen Theologie zugänglich fein dürften.

Die Abfchnitte des Werkes, welche in directer Beziehung
zu Cicero's Schriften gehalten find, dienen
vorwiegend der philologifchen Quellenanalyfe. Zwifchen
diefen literarhiftorifchen Ausführungen über die Quellen,
aus denen der römifche Autor in de nat. deor., de finib.,
de offic, Acad. prior, und Tuscul. die Darfteilung der Anflehten
griechifcher Philofophen gefchöpft hat, findet fich
in jedem der drei Bände je eine felbftändige Unter-
fuchung zur Entwicklungsgefchichte der alten Philofophie.
Sie alle geben eine anfehauliche Vorftellung von der
Fülle von feinerer Detailkenntnifs, die es hier in den
einzelnen Schulen und Richtungen namentlich für den
Zeitraum zwifchen Ariftoteles und den Neuplatonikern
noch auszufchöpfen gilt.

Der erfte Band bietet in diefer Weife den eingehenden
Nachweis von Differenzen innerhalb der epikureifchen
Schule, in der fich innere Spaltungen noch verhältnifsmäfsig
am wenigften beobachten laffen, weil fie am
wenigften in der Richtung auf die Tiefe arbeitete. Der
perfönliche Werth Epikur's in fpeculativer Beziehung,
fowie der feiner Schule wird dabei auf das richtige Mafs
zurückgeführt. Von einer Anzahl kleinerer Ergebnifse,
welche für die antike Weltanfchauung in dem Stadium
ihres allmählichen Auslebens und Ueberganges zu Neuem
ftellenweife bezeichnend find, erwähne ich hier die Auf-
weifung (S. 171) des ausgleichenden Flinfluffes, den das
römifche Wefen auf die Einfeitigkeit der griechifchen Prin-
eipien ausübte. Die Milderung des ftoifchen Moralprincips
durch Panätius erfcheint wefentlich mitbedingt durch eine
,bewufste oder unbewufste Accommodation an römifche
Anfchauungen'. Andrerfeits lernte der Epikureer Philo-
demus durch fein Leben unter und feine Freundfchaft
zu Römern das Wefen der Freundfchaft felbft etwas
idealiftifcher auffaffen, als fein Meiner es vermocht hatte.
S. 172 f. wird gezeigt, dafs der Einflufs der ftoifchen
Schule hauptfächlich feit Karneades in der theoretifchen
Sterilität der Epikureer eine Wandlung bewirkte und eine
Richtung diefer Schule hervorrief, die mit gröfserer
Freiheit die Probleme behandelte und namentlich die
Lehre von den Göttern fo veränderte, dafs fie dem
religiöfen Bedürfnifse mehr Genüge that.

Der erfte Theil des zweiten Bandes giebt auf 566
Seiten die innere Entwicklung der ftoifchen Philofophie.
Er zeigt in der Hauptfache, dafs der Stifter der Schule,
Zeno, feinerfeits Schüler des Krates war und auch in
der Lehre an die Cyniker anknüpft, von denen er den
rig.'/öc InyoK als Kriterium der Wahrheit aufnahm. Der
Myoc felbft bildete dann die Veranlaffung, hinfichtlich
der Beftimmung des Weltprincips auf Heraklit zurückzugreifen
. Von befonderem Intereffe ift S. 198 ff. der
Nachweis, dafs durch die Namen des Zeno, Kleanthes
und Chryfippus innerhalb der Stoa zugleich verfchiedene
Stufen in der Fortbildung des Hylozoismus zum Pan-
heismus vertreten find. ,Zeno hat den materialiftifchen