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Ausgabe:

1884 Nr. 1

Spalte:

14-15

Autor/Hrsg.:

Wilhelmi, Heinr.

Titel/Untertitel:

Augusta, Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow, und die Dargun‘schen Pietisten 1884

Rezensent:

Ritschl, Albrecht

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 1.

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Einblick in die hier befprochenen Schriften auch zur Ver-
gleichung der bewegenden religiöfen Grundgedanken.
Da aber der Verf. für den dritten und letzten Band der
Prolegomena neben den Unterfuchungen über die Nationalität
des Verfaflers der Iiniiatio, feinen Stand, die
Dispofitionsweife, auch die über den Lehrbegriff in
Auslieht flellt, fo verfparen wir uns darauf bezügliche
Bemerkungen bis zum Erfcheinen diefes dritten Bandes,
auf den wir hoffentlich in kürzerer Zeit rechnen dürfen.
Mit Dank dürfen endlich noch die auf 15 Tafeln beigegebnen
photolithographifchen Nachbildungen hand-
ichriftlicher Stellen, über welche pp. LXXVTII—LXXXII
Auffchlufs geben, erwähnt werden.

Kiel. Möller.

Usteri, Pfr. Joh. Martin, Ulrich Zwingli, ein Martin Luther
ebenbürtiger Zeuge des evangelifchen Glaubens. Feft-
fchrift auf die vierhundertjährigen Geburtstage der
Reformatoren zur Beförderung wahrer Union auf dem
Boden der Freiheit. Mit einem Vorwort von Ob.-
Confift.-R. etc. D. Frhrn. Herrn, von der Goltz.
Zürich, Höhr, 1883. (XI, 144 S. gr. 8.) M. 1.80.

Der etwas langathmige Titel der Schrift des als
Zwingliforfcher nicht unbekannten Schweizer Pfarrers
giebt den Zweck ihrer Abfaffung felber an: es gilt, der
in lutherifchen Kreifen mannigfach herrfchenden Unter-
fchätzung Zwingli's, über welche mit Recht geklagt wird,
mit dem gefchichtlichen Gegenbeweis entgegenzutreten
und zugleich auch an einer Stelle die Befchuldigungen
Janffen's gegen Zwingli auf ihr richtiges Mafs zurückzuführen
. In erfter Hinficht führt Ufteri die apologetifche
Arbeit Hundeshagen's und AI. Schweizers gegen Stahl's
und Vilmar's Verunglimpfung gegen Zwingli, in der
andern die Polemik gegen Janffen durch Ebrard, insbesondere
durch den viel nüchterner urtheilenden AI. Schweizer
fort. Die Arbeit wird eingetheilt in drei Capitel:

1) Wie Ulrich Zwingli zum evangelifchen Glauben kam,

2) Zwingli's reformatorifches Zeugnifs vom evangelifchen
Glauben, 3) Zwingli und Luther in ihrer religiöfen Entwicklung
. Von diefen drei Capiteln nimmt das erfte bei
weitem den gröfsten Raum ein, über die Hälfte der
ganzen Schrift. Man wird der Schrift im Grofsen und
Ganzen das Zeugnifs mit Freuden geben können, dafs
fie gefchrieben ift mit gründlicher Kenntnifs der Schriften
Zwingli's und der Literatur über Zwingli und dafs das
Urtheil in durchaus ruhiger und fachgemäfser Weife abgewogen
wird. Wir könnten keine Stelle nennen, in
welcher die apologetifche Tendenz irgendwie trübend
auf das Urtheil des Verfaffers eingewirkt hätte. Dagegen
können wir die Anordnung nicht für ganz glücklich
halten. Der erfte und der dritte Abfchnitt hätten füglich
zufammengefchmolzen werden können; überhaupt
wäre eine ftrenger gefchichtliche Entwicklung der Bildung
Zwingli's zum evangelifchen Glaubenshelden der Sache
förderlich gewefen und es hätte dann die Vergleichung
Zwingli's mit Luther, die ja im Plan des Buches
liegt, fchon in diefe Bildungsgefchichte eingefügt werden
können und zwar mit Leichtigkeit, da die Entwicklung
beider Männer eine gröfsere Anzahl von dankbaren
Parallelen bietet, in welchen das eigenthümliche,
unterfcheidende Wefen eines jeden der beiden und feiner
Bildung klar zu Tage tritt. Ich erinnere an den Gegen-
fatz in der Jugenderziehung beider Männer, an den Eintritt
des einen in's Klofter, den Uebertritt des andern in
den Priefterftand etc., Ereignifse, die allerdings Ufteri
auch zur Sprache bringt, aber eben indem er das, was
er fchon im 1. Capitel über Zwingli gefagt hat, im
3. Capitel wiederholen mufs. Dann hätte auf Grund diefer
parallelen Entwicklungsgefchichte Zwingli's und Luther's,
bei welcher natürlich derjenigen Zwingli's die Haupt-
darftellung gehört hätte, das reformatorifche Zeugnifs

Zwingli's im Zufammenhang und in Vergleichung mit
Luther's Anfchauung ausgeführt werden können. Die
dadurch erreichte ftraffere Zufammenfaffung des Stoffes
hätte es dann auch ermöglicht, auf die humaniftifche
Vorbildung Zwingli's genauer einzugehen, als dies in der
Schrift gefchehen ift. Wiffen wir auch z. B. von den
Studien Zwingli's in Wien nichts, fo wiffen wir doch genau
die Studienverhältnifse zu Wien zu der Zeit, da
Zwingli dort verweilte; wir kennen genau den Geift,
welcher die humaniftifche Bewegung in Wien beherrfchte,
und können daraus mit vollkommener Sicherheit die
praktifche Richtung ableiten, welche Zwingli's Wirkfam-
keit fpäter an fich trug. Ich verweife auf die Werke
von Afchbach, auf die Abhandlungen von Horawitz, von
v. Bezold, Kaemmel etc. Ferner ift auf den Einftufs des
Erasmus von Rotterdam auf Zwingli nicht genug eingegangen
; nur von der cxpostitlatio ift öfter die Rede.
Aber Zwingli galt als Erasmianer und war Erasmianer
auch in der Theologie, foweit nicht die Anregung durch
Thomas Wyttenbach feiner religiöfen Bildung eine andere
tiefere Richtung gab. Die Schrift des Erasmus enclii-
ridion militis cliristiani giebt höchft intcreffante Auffchlüffe
über die Gründe und die Art, wie fich Zwingli dem
reinen Bibelftudium zuwandte, und führt zugleich in die
Kenntnifs der Bibelauslegung ein, die Erasmus feinen
Schülern empfahl und felbft ausübte, und welche auch
bei Zwingli fich findet (z. B. das Allegorifiren). Was
den Einftufs der Peffkrankheit auf Zwingli betrifft, fo
fcheint fich Ufteri der Auffaffung von Merle d'Aubigne
gegen Mörikofer wieder zu nähern, m. E. nicht mit
Recht. Wenn Ufteri auch eine eigentliche Bekehrung
Zwingli's ablehnt, fo ftreift er doch nahe daran hin,
während man über eine gemüthliche Verinnerlichung des
vorher fchon mit vollem Wahrheitsfinne erfafsten Evangeliums
durchaus nicht hinauszugehen braucht. Den
Briefen Zwingli's an Myconius (WW. VII, 142 ff.) und an
Berthold Haller {eod. S. 185 ff.) möchte ich noch eine
höhere Bedeutung zufchreiben, als Ufteri, der fie allerdings
hoch fchätzt. Es weht in ihnen ein Geift von
der Höhe und Kraft von Luther's Tractat de libertate
christiana. Ob Zwingli, wie S. 125 gefagt ift, von feinen
Eltern zum Geiftlichen beftimmt war, kann zum minderten
nicht bewiefen werden, eben fo wenig, dafs Zwingli
etwa von Anfang felber daran dachte; für ihn felber
fcheint es mir fogar unwahrfcheinlich, dafs er fich diefes
Ziel gefetzt. Den Beweis dafür zu liefern, mufs ich freilich
an diefem Orte unterlaffen. Doch diefe und andere
kleinere Ausftellungen find nicht dazu gefchrieben, den
Eindruck der Schrift abzufchwächen, die wir vielmehr
aus vollem Herzen empfehlen. Der ruhige Ton, die
treue Beherrfchung des Stoffes kann nur wohlthuend
wirken; wer eine richtige Auffaffung über das Wefen
Zwingli's erhalten will und nicht in blindem Confeffions-
fanatismus befangen ift, wird und mufs dem Herrn Verf.
für feine Jubiläumsgabe aufrichtig zum Dank fich verpflichtet
fühlen.

Weilimdorf bei Stuttgart. Dr. th. Auguft Baur.

Wilhelmi, Heinr., Augusta, Prinzessin von Meklenburg-
Güstrow, und die Dargun'schen Pietisten. [Aus: Jahrbb.
d. Vereins f. Mcklenb. Gefchichte'.J Schwerin, Schmale,
1883. (198 S. gr. 8. m. phototyp. Portr.) M. 2. 50.

Unfere Kenntnifs von dem Pietismus lutherifcher Art
ift im Ganzen noch nicht über die literargefchichtliche
Vorbereitung, oder über die Gefchichte der Streitigkeiten
hinausgekommen. Der erfte, welcher den Pietismus als
ein Bündel von Streitigkeiten dargeftellt hat, ift Chr.
Eberh. Weifsmann (17x9). Diefer aber erklärt fein Verfahren
ausdrücklich für einen Nothbehelf, da die pietifti-
fche Bewegung noch im Fluffe fei, und die Betheiligung
der Laien an ihr noch nicht fixirt werden könne. Darauf