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Ausgabe:

1884 Nr. 13

Spalte:

312

Autor/Hrsg.:

Buddensieg, Rud.

Titel/Untertitel:

John Wiclif, patriot and reformer, life and writings. Quincentenary edition 1884

Rezensent:

Lechler, Gotthard Victor

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 13.

312

unteres Vorfahrs Abraham darin folgen, dafs fie gleich
ihm im Zuftande leiblicher Unbefchnittenheit den Glauben
haben' — gewifs falfch, da alsdann jeder vernünftige
Fortfehritt von v. 11 zu 12 fortfällt. 4, 17b heifst Gott
xaltuv tu jtirj ovza wg ovia, Lor. deutet: er benennt das
noch nicht Seiende wie Seiendes, er fpricht von dem
noch nicht Seienden als wäre es fchon da. Da folch
ein Sprechen und Benennen aber nichts Grofses ift,
nichts, das nicht Jeder könnte, wird es mit diefem Verfe I
wohl trotz Lor. bei der hergebrachten Auffaffung ver- |
bleiben. Auf 5, 6 v.utu /.uiqoi' ,noch rechtzeitig', 6, 17
und 14, 4—6, wo L. 3 Parteien entdeckt, eine, die an
gewiffen Tagen gewiffe Speifen meidet, eine, die nie
irgend welche meidet, und eine, welche gewiffe Speifen
immer meidet, will ich blofs mit einem Fragezeichen
hinweifen ; für unzweifelhaft irrig halte ich die Auffaffung
von 11, 22: ,fiehe Gottes Güte über dich — fofern du
an der Güte bleibft, da auch du abgefchlagen werden
wirft'. Gott habe der Heidenwelt fein Wohlwollen zugewandt
, infofern als üe — hinfichtlich ihres noch nicht
chriftlichenTheils — Gegenftand feines Wohlwollens bleibe,
,denn es kommt eine Zeit, da auch du vom guten Oel-
baum losgehauen werden wirft, (am Gerichtstage wird
die Heidenwelt hinfichtlich ihres dann noch unbekehrten
Theiles aus der gegenwärtigen Beziehung zum Gottesvolk
herausgeriffen werden)'. Aber der unbekehrte Theil der
Heiden ift in gar keine Beziehung zum Gottesvolk eingetreten
, kann alfo auch nicht herausgeriffen werden.
Die alte Erklärung diefer Stelle ift zudem fo finnvoll
und naheliegend, dafs wir nach einer befferen nicht
fuchen. 7, 15—17 hält Verf. für eine uralte Randbemerkung
, die v. 18—22 zufammenfaffen wollte. Bekanntlich
hat Vlkm. das Gleiche von 7, 19. 20 vermuthet. Dies
führt uns auf des Verf.'s Stellung zum Römerbrief überhaupt
. Er hält ihn für den Schwanengefang des Apoftels,
für eine zufammenhängendeDarftellungderneuenReligion,
das ältefte chriftliche Lehrgebäude, frei von allen localen |
Beziehungen, felbft den Römern nur gewidmet, beftimmt '
dagegen für die gefammte Chriftenheit, eine ökumenifche
Epiftel. ,Kaum denkbar ilt es, dafs der Apoftel den ihm j
wohlbekannten Gemeinden, deren Streitigkeiten und
Wirren für die in Rede flehenden Ausführungen im
Römerbrief zur Genüge das Material lieferten, diefe ihnen J
hoch nöthigen Belehrungen vorenthalten und nicht fie,
fondern nur die ihm fremde Römergemeinde damit be- 1
dacht haben follte'. Aerger als durch folche Argumente |
kann man freilich jene m. E. grundverkehrte Anfchauung
uicht discreditiren! Rom. 15 u. 16 hält L. für unecht —
ans den bekannten Gründen — ift aber nicht abgeneigt,
die mehrfachen Brieffchlüffe und Grüfse darauf zurückzuführen
, dafs Paulus den Brief gleichzeitig mit der Abfertigung
nach Rom an andere Gemeinden habe gehen
laffen und dafs fpätere Sammler jene verfchiedenen
Schlüffe unter Beifügung fremder Zufätze zufammenge-
ftellt haben. Trotz diefer Phantafie kann Lor. S. 10
wegen der unfertigen Natur von c. 12—14 vermuthen, dafs
Paulus feine Schrift nicht vollftändig zu Ende geführt
hat! — Auch ich halte in c. 15 f. Vieles für bedenklich, aber
fie in einer Schrift mit dem Titel: ,Der Römerbrief' ganz
wegzulaffen, fcheint mir unfüglich. Man mufs den gebildeten
Laien ,in unferer wiffenfehaftlichen Zeit' (S. 2),
wenn man den Römerbrief für fie auslegt, ein felbftän-
diges Urtheil ermöglichen und nicht das eigene dictiren.
Hier haben wir Recht über ein Zuwenig Klage zu führen.
Der Verf. verheifst im Anfchlufs an das in Rede flehende
Werk eine eingehende Darftellung des im Römerbrief
enthaltenen Lehrfyftems erfcheinen zu laffen, wovon er
bereits hier S. 11 —16 einen kurzen Abrifs liefert. Ich
glaube, dafs diefes Buch, wenn es wirklich nützlich
werden foll, eine andere Haltung tragen mufs als das
vorliegende. Wie weit letzteres den Zweck erfüllt, für
jenes folgende als Grundlage zu dienen, läfst fich natürlich
noch nicht beftimmen; aber die in ihm gewählte Form

fcheint wenig geeignet, Lefer aus weiteren Kreifen in das
Verftändnifs neuteftamentlicher Schriftwerke einzuführen.
Niemand kann zween Herren dienen; will Verf. für die
Laienwelt fchreiben und auf fie wirken, fo mufs er eine
ausführlichere und weniger vorausfetzende Sprache reden,
als die hier angewendete ift; will er aber die Wiffenfchaft
fördern, fo wäre irgendwelche Auseinanderfetzung mit
den wirklich bedeutenden Meinungen, welche der eigenen
entgegenflehen, kaum erläfslich. Da fcheint mir die Art
etwa, wie Hohlen feinen Paulus fchreibt, die fchöne
Mitte zwifchen zuviel gelehrten Apparats und zuwenig
innezuhalten. Jedenfalls genügt es nicht, einfach zu behaupten
; man verlangt Gründe, die darf der Verf. uns
nicht fo völlig vorenthalten, wenn er feinen Refultaten
Einfiufs zu verfchaffen wünfeht.

Rummelsburg b. Berlin. Jülicher.

Buddensieg, Lic. Rud., John Wiclif, patriot and refor-
mer, life and writings. Quincentenary edition. London
, Fisher Unwin, 1884. (164 S. 12.)

Der Zweck diefer kleinen Schrift ift, aus Anlafs des
500jährigen Gedächtnifses des Todes von Wiclif (geftor-
ben 31. Dec. 1384) dem englifchen Lefepublicum die
Perfönlichkeit und die Verdienfte Wiclifs vor die Seele
! zu führen, und die Gemüther zur Dankbarkeit gegen den
grofsen Mann zu ftimmen. Neue Forfchung, felbftändige
Unterfuchung ift damit nicht beabfichtigt. Vielmehr will
Verf. nur die wichtigften Ergebnifse theils englifcher,
theils deutfeher Forfcher (vgl. S. 27 Anm.) in Kürze zufammenfaffen
und zum Bebten der gebildeten Stände in
England verwerthen. Der Inhalt zerfällt in zweiTheile:
der erfle, S. 9—82 enthält eine gedrängte Erzählung des
Lebens und Schilderung des Charakters von Wiclif; der
zweite, S. 85—164 giebt kurze Auszüge aus deffen
Schriften über religiöfe und kirchlich-politifche Fragen,
unter 29 verfchiedenen Rubriken. Was den erften Theil
anbelangt, fo befchreibt derfelbe, nach einer Einleitung
über die weltgefchichtliche Bedeutung Wiclifs und deffen
Verdienfte um England, den Lebensgang, die Leiftungen
und Erlebnifse des Mannes in der Kürze, an der Hand
der anerkannteften Unterfuchungen. Indeffen finden fich
einige Angaben, welche fraglich erfcheinen, z. B. S. 16,
Wiclif fei wahrfcheinlich fpäter, als in der Regel angenommen
wird, (1324), nämlich etwa 1330 geboren.
Eher dürfte Wiclif einige Jahre früher geboren fein
(fo Matthew, welcher auf 1320 geführt worden ift). Denn
war er 1330 geboren, fo war er erft 54 Jahre alt, als er
Harb, während Wiclif in Schriften, welche mehrere Jahre
zuvor verfafst find, von Greifenalter fpricht, ferner feine
Wahl zum Vorftand des Balliol-College 1361 (eher 1360)
ihn nach jener Vorausfetzung faft zu jung für eine folche
Stellung erfcheinen läfst. Was aber Verf. S. 17 über
den Wechfel der Collegien referirt, das ift mit den letzten
Forfchungen D. Lorimer's über diefen Gegenftand
nicht vereinbar. —

Was die Darfteilung und Sprache betrifft, fo hat
Verf. unferes Erachtens nicht feiten dasjenige glücklich
getroffen, was geeignet ift, einen harmonifchen Wiederhall
in englifchen Gemüthern zu wecken, z. B. S. 29. 51
u. a. Ein guter Griff war es, die erregte Scene in der
Paulskirche S. 35 f. unverkürzt vorzuführen, die Be-
fchreibung einzuftechten, welche Chaucer von dem
guten Pfarrer einer Stadt entworfen hat, S. 60 ff. u. f. w.
Einige zufammenfaffende Charakteriftiken find treffend.
Wir wünfehen und hoffen, dafs die kleine Schrift in
England dazu dienen möge, das dankbare Gedächtnifs
des ,evangelifchen Doctors', der zuerft im Geilte des Pro-
teftantismus auftrat, und in welchem der englifche und
der chriftliche Charakter merkwürdig eins war, zu beleben
und zu befruchten.

Leipzig. G. Lechler.