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Ausgabe:

1884

Spalte:

291-295

Autor/Hrsg.:

Bestmann, H. J.

Titel/Untertitel:

Die Anfänge des katholischen Christentums und des Islams. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung 1884

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Theologilche Literaturzeitung. 1884. Nr. 12.

292

diefer. Die Kunft des EvangeÜften ift in diefer Hinficht
Allem nach nicht hervorragend; auch ift ein ftreng logi-
fcher Bau geradezu unmöglich, wo die Grundlage ein
fertiger gefchichtlicher Stoff ift, in den erft die theolo-
gifchen Ideen hineingegoffen werden wollten. Darin
jedenfalls hat K. Recht, hinter c. 4 und 12 Hauptruhepunkte
zu ftatuiren. — Noch zwei Fragen zum Schlufs:
Warum fchreibt der Verf. immer Hieronimus und woher
hat er die Vorliebe für das abfcheuliche Wort: ,Prophezic?
Rummelsburg b. Berlin. Jülich er.

Bestmann, H.J., Die Anfänge des katholischen Christentums
und des Islams. Eine religionsgefchichtliche Unter-
fuchung. Nördlingen, Beck, 1884. (IX, 151 S. gr. 8.)
M. 2. 80.

Es ift in diefer Zeitung (1883 Nr. 12 ausgefprochen
worden, dafs Beftmann's Arbeiten die bedauerliche That-
fache conftatiren, dafs ,in der Wiffenfchaft vom Chriften-
thum eineContinuität der Arbeit noch immer nicht exiftirt'.
Auch gegenüber diefem neuen Buche empfindet man
das Unangenehme diefer Thatfache auf jeder Seite. Der
Verf. geht feine eignen Wege, ohne mit den verbreiteten
Anfchauungen älterer, geachteterer Forfcher eine wiffen-
fchaftliche Auseinanderfetzung auch nur zu verbuchen.
Columba von Luxeuil weigerte fich einft, einer Synode
beizuwohnen, welche über feine eigenthümliche Ofter-
praxis verhandeln follte; er fürchtete, ihm könne ein
hartes Wort entfahren {cf. ep. Co/. 2. Eibl. max. patr. XII
p. 25 H). Sollte B. von ähnlichen Motiven geleitet ge-
wefen fein, fo läge es nahe, gerade in diefer Zeitung
{cf. 1881 Nr. 7, diefen Mangel feines neueften Buches
von feiner betten Seite aufzufaffen. Allein der Mangel
wäre dennoch ein Mangel, und ein Referent, der die
eigenthümlichen Wege des verf.'s für Irrwege hält, bleibt
trotzdem in einer peinlichen Lage. Ihm bleibt kaum etwas
anderes übrig, als von feinem Standpunkte aus das ganze
Buch als einen Beitrag zur Gefchichte der alten Kirche
einfach abzulehnen. Einzelfragen, denen gegenüber man
fich anders ftellen könnte, werden kaum behandelt und
aufserdem fleht alles Einzelne im Licht bezw. Schatten
der Gefammtauffaffung. Eine Discuffion über diefe wird
aber erft dann möglich fein, wenn der Verf. felbft fie
allen entgegenftehenden Inftanzen gegenüber wirklich zu
begründen verbucht. Entzieht fich der Verf. diefer Auf-'
gäbe, fo wird er vermuthlich vergeblich darauf warten,
dafs andere die Kärrnerarbeit für feine Bauten nachträglich
auf fich nehmen. Denn mit den grofsen Entwürfen
mancher königlichen Baumeifter in unferer Wiffenfchaft
haben die Gedanken des Verf.'s für die anders
Denkenden bis jetzt doch nur die formale Aehnlichkeit,
dafs fie über die wiffenfchaftliche Detailarbeit fich hinwegfetzen
. Man möge deshalb von dem Referenten nicht
mehr erwarten als ein Referat, das auf eine Beurtheilung
fich nur infoweit einläfst, als innerhalb der Anfchauung
des Verf.'s die Gelegenheit dazu fich bietet.

Das vorliegende Buch zerfällt dem Titel entfprechend
in zwei gegeneinander ziemlich felbftändige Abfchnitte,
deren erlter (S. 1—58 u. Anm. S. 125—136) ,die Anfänge
des katholifchen Chriftenthums' behandelt, während der
zweite (S. 61—124 u. Anm. S. 136—151) die ,Genefis des
Islams' darzulegen unternimmt. Im 2. Theile hat der
Verf. feines unvollkommnen fprachlichen Apparates felbft
fich bewufst (Vorrede S. VIII) als nicht fachmännifcher
Gaft .ungeladen an der reich befetzten Tafel der Orien-
taliften Platz genommen'. Da es angemeffen fein wird,
die Zahl der ungeladnen Gälte nicht zu vermehren, darf
diefer Theil unerörtert bleiben. Der Grundgedanke des-
felben, dafs bei der Genefis des Islams Einflüffe des
Judenchriftenthums wirkfam gewefen find, ift nicht neu
und gewifs ebenfo richtig, wie feine Einzelausführung
fchwierig ift und für den Nichtfachmann uncontrolirbar.
Der erfte Theil führt Gedanken aus, die der Verf.

I fchon im zweiten Theile feiner Gefch. der chriftl. Sitte
angedeutet hat. In dem grundlegenden g 1 (Charakter
und Entftehung des jüdifchen Chriftenthums, S. 1 —17)
i hat der Verf. die Refultate feines früheren Buches verarbeitet
{cf. Anm. 1). Referent könnte nur wiederholen,
was fchon Jahrgang 1883 Nr. 12 in df. Ztg. gefagt ift.
^ 2 zeigt fodann, wie ,das gnoftifche Chriftenthum', s' 3
wie ,die Anfänge des katholifchen Dogma's', fj 4 wie ,die
Heiligen des Montanismus', g 5 wie ,die allgemeine Kirche
des gräco-romanifchen Weltreiches' aus dem Juden-
chriftenthum zu begreifen feien. ,Die katholifche Kirche
beruht — fo meint B. (Vorr. S. VIII) — fchon in ihren
Anfängen auf einer durch den Ebionitismus veranlafsten
Nationalifirung des Chriftenthums'. Diefer Gedanke cr-
fcheint ihm (a. a. O.) fo einfach und felbftverftändlich,
dafs er nur fchwer begreift, warum er nicht fchon lange
zuvor ausgefprochen ift. —

Nun neu ift oft nur das Gewand der Gedanken und
1 die Verbindung, in der fie auftreten. Baur'fche, Hof-
mann'fche, Zahn'fche und namentlich Ritfchl'fche Gedanken
findet man wieder in eigenthümlicher Verkleidung.
— Und felbftverftändlich ift der Gedanke auch nicht.
Denn weder trägt die Gefammtanfchauung des Verf.'s
den Beweis ihrer Wahrheit in fich, noch ift jene For-
mulirung derfelben verftändlich. Auf Erfteres will ich,
wie gefagt, nicht eingehen, nur die Frage möchte man
aufwerfen, ob der Verf. wirklich meint, mit folchem
Cäfarwort ,die Feinde fliehen' den Kampf zu gewinnen
gegen alle die Forfcher. die nach jahrelanger, jahrzehntelanger
Arbeit über die Gefchichte der alten Kirche
anders denken. Die zweite Behauptung möchte ich näher
begründen. Was foll jener ebenfo einfache als felbft-
verftändliche Satz der Vorrede bedeuten? Ich finde folgende
Antwort. In dem Kampfe, den die Juden 66—70
um ihre Freiheit fochten, find die Judenchriften zu einer
nationalen Partei geworden (vgl. S. 7). Das Judenchriften-
thum vor 70 deckte fich, ich glaube fo darf man die
Anficht des Verf.'s formuliren, ungefähr mit dem, was
j man die Schärfe theologifcher Diftinctionen vermeidend als
.biblifches' oder .evangelifches' Chriftenthum bezeichnet.
Die Trübungen, welche die urchriftlichen Gedanken feit
70 durch die Judenchriften erfuhren (vgl. über diefelben
Jahrg. 1883. 12 df. Ztg.) beruhten auf einer Nationalifirung
(hier alfo Verjudung) des Chriftenthums, die man
vornahm, ,um das Volk im Grofsen für das Bekenntnifs
von Chrifto zu gewinnen' (S. 8). In ähnlicher Weife ,hat
die katholifche Kirche damals und noch jetzt Wunder
gewirkt dadurch, dafs fie das innerfte Sehnen der Graeco-
Romanen und fpäter der Germanen verftand' (S. 15). ,Das
katholifche Chriftenthum ift das Product aus genuin chrift-
lichen und graecoromanifchen Ideen' (S. I). ,Die Kunft
der Anpaffung hat die Kirche den Judenchriften abge-
| fehen' (S. 15). .Von ihnen haben es die Völker im üften
| und Wellen gelernt' (S. 5). — Wenn dies lediglich der
Sinn des Satzes fein follte, dafs die kath. Kirche auf
einer durch den Ebionitismus veranlafsten Nationalifirung
des Chriftenthums beruhe, fo würde von den Prä-
dicaten, welche die Vorrede diefem Gedanken giebt, das
der Einfachheit ihm ungefchmälert bleiben. Die Sache
felbft ift freilich noch einfacher. Das Chriftenthum je
nach ihren Bedürfnifsen zu nationaliliren, braucht keine
j Nation erft von der andern zu lernen.

In der That will aber der Verf. den Einflufs des
Judenchriftenthums offenbar auch nicht auf das böfe Bei-
fpiel befchränken. Inwieweit er freilich einen materialen
Einflufs behauptet, ift nicht deutlich. Die Vorrede und
manche Partien des Buches machen den Eindruck, als
wolle B. wirklich aus dem Ebionitismus nicht allein die
katholifche Kirche, fondern auch Gnofticismus und Montanismus
ableiten. Um Worte ift der gewandte Verf. bei
feinen Ableitungen nicht verlegen, er bringt es z. B.
fertig, aus der Thatfache, dafs die Judenchriften das Gericht
, das bei Paulus wefentlich ein gefchehenes gewefen