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Ausgabe:

1884 Nr. 12

Spalte:

289-291

Autor/Hrsg.:

Keppler, Paul

Titel/Untertitel:

Die Composition des Johannes-Evangeliums 1884

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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289

Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 12.

290

Verf. finden, fo wenig können wir ihn uns aneignen behufs
wiffenfchaftlichen Veriländnifses der Johanneifchen
Frage'. Der Kritik Keppler's find Hände und Füfse
gebunden. Die Perikope von der Ehebrecherin ift echt,
desgleichen c. 21, das zwar ein Anhang ift, aber vom
Evangeliften felber, der es nur in einige Diftanz von der
eigentlichen Evangelienerzählung gerückt hat, weil es
offenbar zum Hauptthema in keiner näheren Beziehung
fteht und mehr ein perfönliches Anliegen des Verf.'s
vorbringt. Das Intereffe ift hier auf die Einfetzung Petri
in den wirklichen Befitz der oberhirtlichen Gewalt ge-

los zu geliehen, dafs und warum ich zweifelhaft fein
und bleiben müffe. Denn allzu viel ift des pietätlofen
Kritifirens geworden, und es gilt auch davon das Semper
aliquid haeret. Das Ergebnifs meiner Arbeit war zu
meiner eigenen Ueberrafchung die im Vorliegenden aus-
gefprochene Entdeckung, dafs die Sache des vierten
Evangeliums und der evangelifchen Gefchichte überhaupt
fo fchlecht nicht liehe, als etliche glauben machen
wollen'. — NB! Ich bemerke hierzu nur, dafs diefer
Paffus den Schlufs der Paraphrafe des Johannes-Evangeliums
bildet, in welcher auf die kritifchen Fragen überhaupt
nicht eingegangen wird! Darin glaubt der Verf. J richtet. Joh. 21 ,v. 24 u. 25 wird wohl am richtigften
alfo die .Entdeckung' ausgefprochen zu haben, dafs die als Unterfchrift und Siegel jener Mitjunger und Bifchöfe
Sache des vierten Evangeliums fo fchlecht nicht liehe, | angefehen, welche nach dem muratorifchen Fragment
als etliche glauben machen wollen. j zur Abfaffung des Evangeliums in Beziehung Händen'!

S 266 f.: ,Nur von religiöfen Thatfachen, von that- 1 Die Veranlaffung des Plvangeliums wird in dem Auf-
fächlicher Gottesoffenbarung kann Jefus gezeugt haben. 1 kommen bedenklicher chriftologifcher Irrthümer gefehen,
Wie aber follte er dies höher und edler thun als die die Schrift ift ein fortwährender ftiller Kampf gegen die
Evangelien an die Hand geben? Hat man, vom litt- | Gnofis, am meiften die judaiftifche. Einflüffe des ungläu-
lichen, vom religiöfen Recht zu fchweigen, hat man ein bigen Judenthums auf den Apoftel nimmt hingegen
wiffenfehaftliches Recht, die Evangelien mit Gering- 1 Keppler jetzt nicht mehr an. Für feine Auffaffung vom
fchätzung zu behandeln? In Sachen der biblifchen , Charakter des Evangeliums, die bis zu einem gewiffen
Theologie, insbefondere der Lehre Jefu ficher nicht'. j Grade ganz richtig ift, beruft er fich auf den erften
S. 272 f.: ,Es fcheint, als habe man, ohne zu wiffen j Johannesbrief, den man nicht eng genug mit der grofsen
vielleicht, was man gethan, weil man diefem hohen ■ Lehrfchrift desfelben Verf.'s verknüpft denken könne.
Propheten nicht ernft genug ins Angefleht gefchaut hat, In den äufserften Umriffen wird ein johanneifcher Lehr-
ihn ohne Urfache von Neuem gekreuzigt, die Kleider ; begriff fkizzirt, er ftimmt beftens mit der Kirchenlehre,
feiner Lehre aber vertheilen und feine Afche in alle | Der Hauptzweck der Abhandlung ift jedoch der Nachweis
Winde verwehen wollen. Jene kritifche Arbeit war viel- der Compofition des Johannes-Evangeliums. Nach einem
leicht eine gefchichtliche Notwendigkeit nach der ] mehrere treffende Bemerkungen enthaltenden Ueberblick
Selbftüberfpannung des nachreformatorifchen Zeitalters; über frühere Eintheilungsverfuche legt Verf. feinen eigenen
was daran wahr und ehrlich war, wird bleiben und zum j dar. Zweck des Evangeliften fei, die Selbftoffenbarung
Guten führen. Aber der Muth mufs wiederkehren, Jefum Jefu als des Gottesfohnes darzuftellen, von diefem Haupt-
zu kennen und zu lieben. Es ift nicht wahr, was neuer- thema müffe die richtige Einteilung beherrfcht fein und
dings von Holland aus ftärker als je behauptet wird, , zwar habe man hier ein Recht, dramatifche Entwicklung
dafs man Jefum mit Holzem Ignoramus bei Seite fchieben 1 zu finden, ,fo wird man allerdings zum Voraus eine Dreidürfe
, infofern man von ihm durchaus nichts wiffe. Jefus j theilung erwarten'. Diefe Erwartung findet denn auch
hat gelebt. Er hat nicht nur fein Volk, er hat die ganze : der Verf. allerwärts im Grofsen und Kleineren beftätigt.
Welt in Bewegung gefetzt wie Keiner vor oder nach ihm. ] 3 Stücke find abzufondern: Prolog t, 1—18, hiftorifche
Eine folche Perfönlichkeit wird nicht ungeftraft ignorirt; Einleitung 1, 19—2, 12, Anhang c. 21; der Prolog wieder
die Gegenwart krankt an den Polgen folcher Unwahrheit', j enthält drei Gedankenkreifc v. 1—5, v. 6—13, v. 14—1

Und diefe gefchmacklofe Rhetorik nennt der Verf.
einen .Beitrag zur Grundlegung der biblifchen Theologie
und Gefchichte'.

Giefsen. E. Schür er.

in drei Haupttheile zerfällt das Ganze c. 1—4, 5 —12, 13
bis Schlufs; jeder Theil genau in drei Unterabfchnitte.
Der erfte Theil bietet den Anfang, der zweite den Port-
gang, der dritte den Abfchlufs der Selbftoffenbarung
Jefu, diefe durch alle drei Kreife begleitet von Glaube
Keppler Prof Paul, Die Composition des Johannes-Evangeliums, und Unglaube. Ia reicht von 2, 12-3, 36 mit der Ueber-
Univ.-Programm. Tübingen (Fues), 1884. (118 S. 4.) ! ^hr'ft:TAn,fang der Offenbarung in Judäa, durch Zeichen,
fe 6 : 'Wort, lauferzeugnifs. Des Unglaubens erfte Regungen.'

M- 4-— j Ib von 4, 1—52 (42?): Jefu Offenbarung in Samaria

Diefe in fliefsender, nur etwas wortreicher und rhe- : durch das Wort. Erltes Aufblühen des Glaubens. Frohe
torifirender Sprache gefchriebene Abhandlung geht auf Plrnteausficht.' Ic 4, 42-52 (1. 4, 43—54!): ,Die tranfi-
der Bahn weiter vorwärts, welche der Verf. in feiner | torifche Offenbarung in Galiläa. Glaube durch die jeru-
akademifchen Antrittsrede (f. diefe Zeitfchrift 1883, S. 511) 1 falemitifchen Zeichen und aufs Wort' Die Ueberfchrift
betreten hatte. Er zeigt gute Kenntnifs der Literatur j des zweiten Theils lautet: .Zweiter Kreis der Selbftoffen-
über das Johannes-Evangelium, auch der proteftantifchen, , barung Jefu. Das Licht im Kampf mit der Finfternifs.
in manchen Dingen, befonders exegetifchen Prägen ge- j Des Unglaubens Wachsthum und Ausbreitung', die des
fundes Urtheil und giebt eine Reihe fehr richtiger Beob- dritten: .Abfchlufs der Selbftoffenbarung im Wort. Vollachtungen
über Tendenz und Natur des 4. Evangeliums, j endung des Unglaubens im Mord. Sieg des Gottesfohnes
Wenn auch nicht neu, fo ift doch trotz aller augenfehein- i im Tod. Vollendung des Glaubens in der Auferftehung'.
liehen Wahrheit nicht überflüffig was S. 5 f. zu lefen ift Ich brauche nicht noch das charakteriftifche Thema des

über den Unterfchied der fynoptifchen Evangelien von
dem unfrigen. Der ftets in vornehmen Grenzen fich
haltenden Polemik wird man nicht feiten beipflichten;
am fchärfften und häufigften richtet fie fich wohl gegen

Abfchnittes c. 5. 6 herzufchreiben; der Lefer hat längft
eingefehen, dafs er gegen Keppler's Dispofition nicht
viel wird einwenden können, dafs er aber auch mit ihr
nichts gewinnt; denn wenngleich der Verf. fich fchmeichelt,

Thoma und die anderen Allegoriften, im Einzelnen ' den Grundrifs des Evangeliums in klaren und fcharfen
glücklich, um fo weniger überzeugend freilich im Ganzen, j Umriffen vorgelegt zu haben, fo hat er im Grunde doch
Denn wenn Verf. in der Anerkennung fymbolifcher Ele- 1 nur eine gute kurze Inhaltsangabe geliefert. Und wir
mente im 4. Evangelium gewifs weiter geht als z. B. tadeln ihn darum nicht einmal; denn wir find nicht der
Meyer-Weifs fo hat er doch den vorfichtigen Grundfatz j Meinung, dafs dies Evangelium um jeden Preis ein Mufter,
S. 110: Die Symbolik verliert ihre Berechtigung von da ] ja ein Wunder von Aufbau fein müffe; das Streben, eine
an, wo fie den Kampf aufnimmt gegen die Gefchichtlich- ; kunftvolle Dispofition aufzudecken, halten wir bei keiner
keif. So natürlich wir aber diefen Grundfatz bei dem Schrift des Neuen Teftamentes für ausfichtslofer als bei