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Ausgabe:

1884 Nr. 11

Spalte:

271-274

Titel/Untertitel:

Der deutsche evangelische Schulkongress; seine Zwecke und Ziele 1884

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1884. Nr. 11.

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Ertrag boten, find namentlich die Acten des lübeckifchen !
Minifteriums und der Centralarmendeputation, die Pro- |
tokolle der Bürgerfchaft fowie die gleichzeitige Zeitungsund
Brofchürenliteratur in ausgiebigfter Weife benutzt.
Ein Blick in die ausführlichen Quellennachweife beweift,
dafs dem Verf. kaum irgend etwas auf feinen Gegenftand
Bezügliches entgangen fein dürfte.

Aber auch abgefehen von dem reichen in diefer
Biographie verarbeiteten Material zur Zeitgefchichte erweckt
der Gegenftand felber lebhaftes Intereffe. Funk
war ein Mann von ebenfo gründlicher theol. und allgemeiner
Bildung wie von unerfchütterlich fettem Charakter.
Im Anfang auf dem Standpunkt des alten Rationalismus
ftehend, ift er unter dem Einflufs Schleiermacher's und
durch die bitteren Lebenserfahrungen, die er machen
mufste, zu einem entfchiedenen Vertreter des pofitiven
biblifchen Chriftenthums geworden. Die Mannhaftigkeit,
mit der er in allen Lagen unbekümmert um Lob oder
Tadel feine Ueberzeugung vertrat und mehr als einmal
feine Exiftenz dafür aufs Spiel fetzte, mufs auch bei
denen, die feinen Standpunkt nicht unbedingt theilen,
lebhaftes Intereffe erwecken. Der Verf. fagt einmal mit
Recht (II, 249), dafs manche von Funk vertretene An-
fchauung ,bei der heutigen Generation kaum Verftändnifs
finden würde'. Dahin gehören nicht blofs feine Ausführungen
über die Immunität der Geiftlichen, fondern
ebenfo feine fcharfe Polemik gegen die Civilehe, gegen
Aufhebung des Johannis- und Michaelisfeiertages, feine
Abneigung gegen den Kirchentag, feine mindeftens fehr
kühle Haltung den Beftrebungen der innern Miffion gegenüber
. Unfer Gefchlecht hat fich bereits daran gewöhnt,
dafs für den ewig bleibenden Inhalt des Evangeliums
fich neue Formen bilden. Trotzdem wird die heutige
Generation einem Manne, der, in einer Zeit gewaltiger
Gährung flehend, mit voller Ueberzeugungstreue für das
Beftehende eingetreten ift, Gerechtigkeit widerfahren
laffen und fich dem Verf. zu aufrichtigem Dank verpflichtet
fühlen, dafs er durch feine ebenfo anziehende wie gründliche
Darfteilung das Bild diefes unerfchrockenen Wahrheitszeugen
der Nachwelt erhalten hat.

Nuffe. PI. Lindenberg.

1. Denkschrift des ersten evangelischen Schulkongresses zu

Frankfurt a. M. vom 2. bis 4. Oktober 1882. Hrsg.
von dem Bureau des Kongreffes. 2. Aufl. Frankfurt
a. M., Schriften-Niederlage des Evangel. Vereins, 1883.
(XVI, 133 S. gr. 8.) M. 2.-

2. Der deutsche evangelische Schulkongress; feine Zwecke
und Ziele, zugleich eine Einladungsfchrift zum zweiten
evangelifchen Schulkongreffe in Kaffel (24 —27. Septbr.
1883). Barmen, Wiemann, 1883. (15 S. gr. 8.)
M. —.50.

3. Denkschrift des zweiten evang. Schulkongresses zu Kaffel
vom 24. bis 27. Septbr. 1883. Hrsg. von dem Bureau
des Kongreffes. Frankfurt a. M., Schriften-Niederlage
des Evangel. Vereins, 1884. (VIII, 216 S. gr. 8.)
M. 2.—

,Der „Deutfche Evangelifche Schulcongrefs" kann
Anfpruch darauf erheben, eine der hervorragendften
Schöpfungen der Gegenwart zu fein, die in dem Geilte
des grofsen Reformators (Luther's) erfolgt find', heifst
es im ,Vorwort' zur Denkfchrift 1883. Etwas volltönend
ift das Wort, aber zu viel fagt es nicht. Beide Congreffe,
der zweite noch mehr als der erlte, find reich an vorzüglichen
Referaten, die jeder Verfammlung von Pädagogen
zur Ehre gereichen würden. Aus Denkfchrift 1882
fei das Referat von Sta etile über ,das Glück der Jugendzeit
und die Pflege desfelben durch Haus und Schule'
und das mindeftens ebenbürtige Correferat des Gymn.-

Lehrers Stamm ausGiefsen hervorgehoben; dereine legt
den Accent auf die Mahnung an die Lehrer: ,Laffet uns
unfern Kindern leben', der andere beleuchtet namentlich
die Hindernifse, die in den Zeitftrömungen, Zeitvorurtheilen
u. f. w. liegen; fie können nicht befeitigt, wohl aber gemildert
werden. Auch auf die Ueberbürdung der Schüler,
das beliebte Thema unferer Tage, kommt die Rede;
gewifs ift fie zuzugeben; fie ergiebt fich aus dem thö-
richten Vielerlei der Volksfchule, der gleichmäfsigen
Werthung, refp. Ueberfchätzung der einzelnen Fächer
in den fogen. höheren Schulen; aber in diefen würde die
Ueberbürdung nicht fo fühlbar fein, wenn die Schüler
mehr in der Schule lebten und webten, wenn die Schule
und ihre Arbeit nicht zu Vielen nur eine unliebfame
Unterbrechung ihrer fremdartigen, gefelligen und genufs-
füchtigen Intereffen wäre; in der Zerfahrenheit unferes
modernen Lebens, die von den meiften Eltern bei ihren
Kindern in unverantwortlicher Weife noch abfichtlich gefördert
wird, liegt die eigentliche Löfung der Ueber-
bürdungsfrage. In der Denkfchrift 1883 lefen wir das
prächtige Referat des Dr. Schlapp aus Erfurt über ,die
Bedeutung des Spieles für Jugendleben und Erziehung'
und das durch die Befcheidenheit des Redners nicht zum
Vortrag gekommene, aber fehr fchätzenswerthe Correferat
des Lehrers Steinhäufer; man lieft beide mit Freuden
wieder und wieder, und das foll ja das Kennzeichen
des Klaffifchen fein. Auch das Referat des Directors
Dr. Leimba ch, wegen Abfage des beftimmtenReferenten
erft 8 Tage vor dem Congrefs vom Redner übernommen,
über ,Luther's Bedeutung für die Schule' ift fehr anzuerkennen
, ebenfo das fachmännifche Referat des Prof.
Dr. Kr am er in Halle über ,den naturwiffenfchaftlichen
Unterricht an den höheren Schulen mit Rückficht auf
ihren chriftlichen Charakter'. Bei Lefung diefes Referates
ift mir die Frage allerdings unabwendbar gekommen, ob
es ganz richtig und haltbar fei, dafs der Congrefs
grundfätzlich die Lehrer an den Univerfitäten, an den
Gymnafien, Realfchulen, Seminarien und Volksfeinden
vereinigt, um Allen viel zu fein. Der ,S 2 der Statuten
(Denkfchrift 1882 S. 114) weift ausdrücklich daraufhin,
und in dem Schlufsworte des Congreffes zu Kaffel
(Denkfchrift 1883 S. 189 ff.) hebt Director Dr. Frick unter
Berufung auf die Francke'fchen Stiftungen dies als be-
fonders werthzuhaltenden Charakterzug des Congreffes
hervor, damit die Einheit der nationalen Schule zur
Vertretung und Darfteilung komme. Gewifs ift die Einheit
des Evangeliums, auf das der Congrefs nach § 1 feiner
Statuten fich ftellt, ein mächtiges Einigungsmittel, und
ohne Zweifel giebt es eine Menge pädagogifcher Fragen,
die höchft fruchtbar für alle Mitarbeiter an der ,Einen
j nationalen Schule' zur Verhandlung kommen können;
| allein das Thema von Dr. Krämer ift auch der Beweis,
dafs für viele, den höheren Schulen fehr werthvolle
i Gegenftände dem Gros der Verfammlung das Urtheil
j abgehen wird, und dafs es für den Congrefs möglicher-
i weife verhängnifsvoll werden kann, wenn über Dinge geredet
werden follte, für welche die Vorbedingungen des
Verftändnifses den am meiften Redeluftigen fehlen.

Der Weisheit der Leiter des Congreffes wird es
hoffentlich gelingen, die angedeuteten Gefahren zu vermeiden
und die gefchichtliche Grundlage des Congreffes
in der weiteren Entwicklung nicht zu verleugnen.
Der Urfprung des Congreffes weift allerdings faft aus-
| fchhefslich auf das Gebiet der Volksfchulen hin.
j Gegenüber der naturaliftifchen Weltanfchauung und den
! diefer entfprechenden Beftrebungen, wie fie fich auf den
.Allgemeinen deutfehen Lehrerverfammlungen' feit 1848
und den fpäteren ,Deutfchen Lehrertagen' breit machten,
bildete fich bereits 1849 der .Verein evangelifcher Lehrer
und Schulfreunde in Rheinland und Weftfalen', dem fpäter
der ,deutfche evangelifche Schulverein', Vereine evangelifcher
Lehrer in Württemberg, Baden, Heffen, Bayern
u. f. w. und 1872 der .Evangelifche Lehrerbund' folgten,